Was tun in dem Schlamassel?

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Die Debatte. Wenn ich Bundespräsidentin wäre ...

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Die Debatte. Wenn ich Bundespräsidentin wäre ...

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Zum Thema. Was wäre wenn ... ? "Beim Reden kommen d'Leut z'samm!" dachte wohl Bundespräsident Klestil, als er Sondierungsgespräche forderte. Doch in diesem Fall irrte sogar der Volksmund. Zwei Monate nach der Wahl sind die Fronten zwar klarer abgesteckt, aber nicht aufgeweicht. Erneut stellt sich die Frage, wer mit Regierungsverhandlungen betraut wird, und wie es nach einem abzusehenden Scheitern dieser weiter gehen soll. Der Bundepräsident ist mehr gefordert als jemals zuvor in der Zweiten Republik. Was würden Sie in der schwierigen Situation tun, hat die Furche zwei Frauen gefragt. Freda Meissner-Blau kandidierte 1986 für das Amt des Bundespräsidenten; Eva Rossmann hat sich vergangenes Jahr im Präsidentenwahlkampf engagiert und darüber einen Kriminalroman verfaßt. WM EVA ROSSMANN Unter der Schirmfrauschaft der Bundespräsidentin sollen die politisch-kreativen Köpfe ein Konzept für das Land erarbeiten.

Wenn ich Bundespräsidentin wäre, hätte ich längst gesagt, daß ich nicht bereit bin, eine Regierung unter Beteiligung der FPÖ anzugeloben. Damit wende ich Schaden von diesem Land ab - denn eine Partei, die beinahe täglich Menschen gegeneinander hetzt, wird nicht konstruktiv an den vielen nötigen Veränderungen arbeiten. Ein Beispiel: Ein Bub erkrankt an Tuberkulose. Die Eltern kommen aus Kroatien. Sofort nützt die FPÖ die Gelegenheit, um Gesundheitskontrollen für Kinder ohne österreichischen Paß zu fordern. Das suggeriert: Ausländerkinder sind krank, sie können uns anstecken. Tatsache ist, daß Tuberkulose bei InländerInnen und AusländerInnen gleich selten auftritt. Das wurde von einem Arzt öffentlich gesagt, aber was ist die Wahrheit gegen eine Stimmung?

Es ist nicht undemokratisch, noch verfälscht es den WählerInnenwillen, würde ich als Bundespräsidentin eine Partei von vornherein nicht für regierungstauglich befinden. Gewählt wurde nicht die Regierung, sondern das Parlament. Und keinem der FPÖ-Parlamentarier und keiner der - wenigen - FPÖ-Parlamentarierinnen wird das Recht abgesprochen, für oder gegen Gesetze zu stimmen, Anträge einzubringen, Dringliche Anfragen zu starten.

Die WählerInnen haben SPÖ und ÖVP - warum auch immer - noch einmal eine Chance gegeben. Es könnte ihre letzte sein. Jetzt endlich müssen sie selbst Politik machen statt als Ersatzhandlung die Wünsche rechter Populisten und Medien sowie kleiner, mächtiger Lobbies zu erfüllen und sich sonst weitgehend auf Schlagworte zu beschränken.

Neben der Ablehnung der FPÖ in Regierungsfunktion würde ich eine weitere demokratiepolitische Bedingung stellen: Die Hälfte der Regierungsfunktionen ist von Frauen auszuüben - wenn es uns mit Demokratie ernst ist, müssen Männer und Frauen zirka gleich viel zu reden, zu entscheiden, zu verantworten haben. Eine Minderheitsregierung hielte ich nur für einen Ausweg, wenn sie die Chance auf eine gewisse Haltbarkeit böte. Statt andauernder Lähmung und eines Quasi-Wahlkampfes wäre es besser, noch einmal zu wählen.

Ich hielte es für meine Aufgabe, mich auch in anderen Bereichen um die grundlegende - nicht die tagesaktuelle - politische Entwicklung Österreichs zu kümmern. Und da heißt es, etwas gegen den Alltags-Rassismus zu tun. Ich würde unterschiedlichste MigrantInnen-Gruppen einladen, ihre Bedürfnisse, ihre Vorstellungen von Mitgestaltung für ein produktives, spannendes und friedliches Zusammenleben vorzulegen. Gemeinsam mit den Menschen, die an der Basis arbeiten und politisch-kreativen Köpfen sollten sie unter meiner Schirmfrauschaft ein Konzept erarbeiten, wie reale Verbesserungen der Wohnqualität, der sozialen Sicherheit, des kulturellen Lebens, der Chancen für Menschen bisher benachteiligter Gruppen zu schaffen sind - ohne da zwischen ÖsterreicherInnen oder MigrantInnen zu unterscheiden.

Wie dringend nötig es ist, daß nicht bloß kleine Eliten öffentlich gehört werden, machte Hans Rauscher in seiner "Standard"-Kolumne deutlich. Er schrieb: "Bei den deutschen Privatsendern werden die Talkshowgäste ja inzwischen vor den Sozialämtern rekrutiert, weil der Nachschub an exhibitionistischen Verhaltensgestörten anders nicht mehr aufzutreiben ist." Heißt: SozialhilfeempfängerInnen sind exhibitionistische Verhaltensgestörte. Wie weit muß jemand von der Realität abgehoben sein, um derartiges schreiben zu können? Was für ein Menschenbild entsteht da?

Es ist höchste Zeit, daß wir Politik nicht mehr ParteipolitikerInnen und JournalistInnen überlassen. Ich sähe meine Aufgabe als Bundespräsidentin darin, Menschen Mut zu machen, im umfassenden Sinn des Wortes politisch zu werden, ihnen die Chance zu geben, endlich gehört und ernst genommen zu werden.

Die Autorin ist Publizistin, Mitinitatorin des Frauenvolksbegehrens; ihr Kriminalroman "Wahlkampf" ist diesen Herbst im Folio-Verlag erschienen.

FREDA MEISSNER-BLAU Minderheits- und Konzentrationsregierung sind keine Alternativen. Bleibt nur: die Krot von Neuwahlen schlucken.

Wenn ich Bundespräsidentin wäre, hätte ich schon vor den Wahlen erklärt, daß ich der Verfassung entsprechend unsere immerwährende Neutralität für ein kostbares Gut halte, und daß es bessere Wege zur Friedenssicherung gibt, als einem Militärbündnis beizutreten. Freilich, in der NATO wäre man ärgerlich, die Rüstungsindustrie vermutlich auch.

Bei uns wäre Herr Fasslabend bös auf mich, der junge Österreicher gar nicht schnell genug auf dem Feld des Ehrgeizes in nahen und fernen Konfliktherden agieren sehen möchte. Doch ich glaube nicht, daß die österreichischen Frauen und Mütter, wie auch die Jungen, die die Suppe auslöffeln müssen, welche Ältere für sie einbrocken, auf mich böse wären, und das wäre mir allemal wichtiger als das Wohlwollen der Herren diesseits und jenseits des Atlantiks.

Und was täte ich jetzt in dem Schlamassel nach den Wahlen? Zunächst in guter Tradition der Zweiten Republik den Obmann der stärksten Partei mit der Regierungsbildung betrauen. Gewiß ohne ihm vorzuschreiben, mit wem er zu verhandeln hat. Ich hätte ihm keine Vorgaben über Inhalte der Verhandlungen mitgegeben, denn die Gesetze werden im Parlament gemacht und nicht in der Präsidentschaftskanzlei. Noch-Kanzler Klima hätte vermutlich in den Augen der Bevölkerung an Statur gewonnen, hätte er dem Herrn Präsidenten einen Korb gegeben, als er ihm solches zumutete.

Wäre der Versuch gescheitert, hätte ich den denkmöglichen Vorschlag einer Minderheitsregierung sehr kritisch angeschaut. Zu nahe ist die Erinnerung an Zeiten, als in Italien und Frankreich alle paar Wochen die Regierung stürzte. Auch eine Konzentrationsregierung ist nicht wünschenswert. Gäbe es keine Opposition, müßte man sie zur ständigen Kontrolle und Korrektur der Regierung erfinden. Wo eine echte Opposition fehlt - wie etwa in der Brüsseler EU-Kommission -, schleichen sich allzu leicht Mißbrauch und Korruption ein. Je demokratischer die Rechte der Opposition, je besser ihr Einblick in die Regierungsgeschäfte, desto genauer muß die Regierung für ihr Tun und Lassen Rede und Antwort stehen. So müßte ich wohl die Krot von Neuwahlen schlucken, auf die Gefahr hin, nachher einen Bundeskanzler Haider in der Hofburg feierlich seine Verfassungstreue beschwören zu lassen.

Freilich kann's auch anders kommen: So groß ist die Sehnsucht Schüssels, selbst Kanzler zu werden, daß er (so heißt es seit dem 24. 11. aus der ÖVP) mit Haiders Hilfe den Auftrag Klestils auf Regierungsbildung ertrotzen will, nachdem die SPÖ endgültig ausgerutscht ist. Wozu Schüssel kräftig beiträgt. Im Neuen Testament verlangt Jesus: "Liebe deine Feinde!" Das kann wohl kein Politiker, selbst der allerchristlichsten Parteien. Ich kann's übrigens auch nicht. Doch von der Abneigung ist's ein weiter Weg zum Haß gegen andere, nur weil sie anders aussehen. In der FPÖ ist das beinah Usus. Das könnte ich als Bundespräsidentin auch nicht verhindern. Aber ich würde Flüchtlingskinder in die Hofburg oder nach Schönbrunn einladen und sie liebevoll bei Speis und Trank, Musik und Kunst davon überzeugen, daß sie bei uns willkommen sind. Durch Zuneigung kann man ihnen helfen, den Glauben an sich und die Zukunft wiederzufinden.

Ich würde einen möglichst bescheidenen Haushalt führen: Bundespräsident Schärf ging täglich von seiner Wohnung in der Skodagasse ins Amt. Eine Präsidentenvilla gab's noch nicht. Eine prunkvolle Villa, die sich Bundespräsident Klestil kürzlich wünschte und nicht bekam, wäre Schärf nicht im Traum eingefallen. Sein politisches Gegenüber, Kanzler Julius Raab, vergönnte sich zum Mittagessen meist eine Knackwurst, wenn er nicht bei offiziellen Dejeuners sein mußte. Als "grüne" Bundespräsidentin würde ich dafür werben, Österreichs natürliche Schönheiten zu erhalten und die Lebensgrundlagen für unsere Nachkommen zu bewahren.

Die Autorin ist Publizistin und war Kandidatin bei der Bundespräsidentschaftswahl 1986.

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