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Österreich ist kein Schweden

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Nach der Wahl des Bundespräsidenten am kommenden Sonntag beginnt wieder der politische Alltag, der trübe genug ist. Die aus wahltaktischen Gründen zurückgehaltene Preislawine kommt nun auf uns zu und trifft infolge der bevorstehenden Preiserhöhungen von Milch, Butter, Käse, Mehlwaren, Zucker und Fleisch insbesondere die ärmeren Schichten der Bevölkerung.

Aber auch Benzin, Diesel- und Heizöl, Kfz-Haftpflichtprämien sowie Waren verschiedenster Art werden teurer, und Lohnforderungen werden dafür sorgen, daß das Preisrad unaufhörlich weitergedreht wird., Der Sparer aber sieht nicht nur die’ Zinsen, sondern auch die Substanz seines Geldes dahinschwinden: „Lege dein Geld in die Sparkasse, damit du immer weniger herausbekommst” — müßte der neue Werbeslogan heißen. Doch nicht nur Preiserhöhungen (sie sind ein europäisches Problem), sondern auch eine Anzahl von wichtigen politischen Problemen harrt der Lösung: Steuer-, Heeres- und Strafrechtsreform, Wohnbauförderung und Schulgesetze, von Problemen wie Umweltschutz, Gesundheitsförderung und betriebliche Mitbestimmung gar nicht zu reden.

Die Frage stellt sich nun: Wie soll es weitergehen? Kann die derzeitige innenpolitische Machtkonstellation wenn schon nicht alle, so wenigstens etliche der aufgezählten Probleme lösen? Die Antwort heißt ganz schlicht: Nein!

Die sozialistische Minderheitsregierung hat zweifellos im innenpolitischen Demokratisierungsprozeß eine wichtige Aufgabe erfüllt, doch eine Dauerlösung ist sie nicht, kann sie nicht sein. Der Slogan: „Laßt Kreisky und sein Team arbeiten” klingt zwar gut, verfälscht aber die innenpolitische Machtsituation. Die Minderheitsregierung ist nur mit Unterstützung einer der beiden Oppositionsparteien handlungsfähig, das heißt aber, daß die Ungewißheit in Permanenz erklärt wird. Es hat zwar etwas Faszinierendes an sich, in jeder Frage im Parlament um die Mehrheit zu ringen, doch der Staatsbürger will auf längere Sicht wissen, wie er dran ist und was er zu erwarten hat. Eine Minderheitsregierung veranstaltet dauernd eine Wahl, nur fehlen bei dieser Wahl die Wähler. An die Stelle der Wähler tritt der Abgeordnete, und aus der Wahl wird ein Handel. Dies gilt zwar auch für eine Allein- oder Koalitionsregierung, nur ist dann die Verantwortung geklärt. Eine Minderheitsregierung aber verfälscht mit der Zeit die Verantwortung. Sie wirft der Opposition vor, daß sie nichts zustande bringt, wo es doch umgekehrt sein sollte, daß die Opposition gegen die Regierung einen derartigen Vorwurf erhebt. Die Opposition gelbst spaltet sich in eine brave und in eine böse Opposition, je nachdem, ob sie die Regierung unterstützt oder bekämpft. Bisweilen wird auch die Regierung zur Oppo- stition und die Opposition zur Regierung, was die Verwirrung vollständig macht.

Herrschten in Österreich schwedische Verhältnisse, dann wäre eine kommunistische Partei im Parlament, die die sozialistische Minderheitsregierung gegen einen Mißtrauensantrag der nichtsozialdstischen Oppositionsparteien absichem könnte. Dann hätte Kreisky auch mehr Chancen, den Bauernbund gegen den ÖAAB und beide gegen den Wirtschaftsbund auszuspielen. So aber gehen seine Versuche ins Leere. Österreich ist nicht Schweden und wird es sobald nicht sein. Je eher Kreisky dies erkennt, desto besser kann er sein taktisches Konzept darauf ausrichten. An der Dreiheit der Parteien wird sich hiezulande so schnell nichts ändern. Kreisky vermag den beiden anderen Parteien Stimmen abzunehmen oder zuzuführen, aber nicht ihr Gefüge umzustoßen. Daß er die dritte Partei ins Spiel brachte, war vom Standpunkt der Demokratie ein Fortschritt, vorausgesetzt, daß damit auch die Chancengleichheit und die Koalitionsfreiheit für alle gewahrt bleiben.

Die politischen Probleme, die es nun zu lösen gilt, können zum größten Teil von einer Minderheitsregierung nicht bewältigt werden. Sie mag einige Gesetze durchbringen und sie mag andere hinauszögem, ein klar abgesteektes Arbeitsprogramm aber kann sie nicht durchführen, weil sie dazu nicht die Macht weder aus eigener Kraft noch auf Grund eines Bündnisses mit einer anderen Partei besitzt. Es gibt deshalb nur drei Möglichkeiten: Neuwahlen zum Nationalrat, eine große Koalition oder eine Konzentrationsregierung. Die beiden anderen Möglichkeiten der kleinen Koalition sind nur theoretische Auswege, im gegenwärtigen Augenblick und ohne Neuwahlen aber nicht in die Praxis umzusetzen. Die Koalition SPÖ-FPÖ scheitert an der Selbstkastrierung der FPÖ auf Grund ihrer Jänner- Erklärung 1970, die Koalition ÖVP- FPÖ verfügt über eine zu schwache Mehrheit im Parlament und scheitert außerdem noch an der Mutlosigkeit der ÖVP-Führung. Welche von den drei angeführten Möglichkeiten realisiert werden kann, wird nicht zuletzt auch der Ausgang der Bundespräsidentenwahl entscheiden. Es kommt nicht auf das Gleiche hinaus, ob Jonas oder Waldheim in die Kaiserburg einzieht. Denn gerade Kreiskys Regierungsstil und sein schillerndes Kombinationsspiel in der Innenpolitik haben es mit sich gebracht, daß die Stellung des Bundespräsidenten so wichtig geworden ist.

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