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Unter dem Damoklesschwert

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Eine Minderheitsregierung könnte vieles einfacher machen. Welche Chancen hat sie gemäß unserer Verfassung?

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Eine Minderheitsregierung könnte vieles einfacher machen. Welche Chancen hat sie gemäß unserer Verfassung?

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Eine Minderheitsregierung ist eine Regierung, die im Parlament nicht über die absolute Mehrheit verfügt. Obwohl für wichtige Entscheidungen von der Verfassung der Grundsatz der Mehrheit vorgeschrieben ist, ist das bei der Regierungsbildung und bei der Willensbildung der Regierung nicht der Fall. Bei dieser herrscht das Einstimmigkeitsprinzip, bei jener muß der Bundespräsident nur darauf achten, daß ihr nicht gleich nach der Vorstellung im Nationalrat das Vertrauen versagt wird. Keine Begierung bedarf eines ausdrücklichen Vertrauensvotums; aber jede Begierung ist aufgrund eines Mißtrauensvotums des Nationalrats vom Bundespräsidenten unverzüglich zu entheben.

Von ihm hängt es ab, ob eine Bundesregierung als ' Minderheitsregierung berufen wird, von ihm und vom Parlament hängt es ab, ob und wann sie abberufen wird. Minderheitsregierungen sind also in erster Linie nur durch den Bundespräsidenten möglich. Ihre Funktion muß sie aber dann so ausüben, daß sie das Vertrauen des Nationalrats nicht verliert. Beim derzeitigen Mehrparteiensystem ist wahrscheinlich eine Minderheitsregierung die einzige Begierung, die leicht und rasch klare Konzepte erstellen und einheitliche Beschlüsse fassen kann. Will sie aber längere Zeit tätig sein und sollen ihre Konzepte auch gesetzliche Konsequenzen haben, so muß sie darauf achten, daß sie nicht durch einen Mißtrauensantrag gestürzt wird. Dem Damoklesschwert eines drohenden Mißtrauensvotums kann sie freilich dadurch entgehen, daß sie dem Bundespräsidenten die Auflösung des Parlaments vorschlägt und er dementsprechend vorgeht. So oder so, die Begierung muß Zeit haben und den richtigen Zeitpunkt erkennen, um von der Minderheits- zur Mehrheitsregierung zu werden. Kreisky ist seinerzeit beides glänzend gelungen. Aber die Verhältnisse sind nicht mehr so wie Anfang der siebziger Jahre.

Die Bundesminister einer Minderheitsregierung, und diese in ihrer Gesamtheit, haben dieselben Bechte und Pflichten wie die einer Mehrheitsregierung. Die Minderheitsregierung kann also einen Voranschlag an den Nationalrat vorlegen, Gesetzesvorlagen einbringen, Vorschläge zu Akten des Bundespräsidenten erstatten, Anträge an den Bundespräsidenten auf Ernennungen stellen, die Überprüfung eines Landesgesetzes auf seine Verfassungsmäßigkeit stellen, bestimmte Kategorien von Staatsverträgen abschließen, innerhalb ihrer Wirkungsbereiche aufgrund der Gesetze Verordnungen erlassen und so weiter. Schon in der Bundesverfassung allein findet man über 60 Zuständigkeiten der Begierung. Dazu kommen Zuständigkeiten aufgrund anderer Bechtsnormen und die nahezu unvorstellbar große Zahl von Zuständigkeiten der einzelnen Bundesminister, die im einzelnen noch niemand gezählt hat. Österreich ist ein großer Verwaltungsstaat und eine große Ministerrepublik. Insofern zahlt sich eine Minderheitsregierung aus! Freilich muß sie zunächst nach der Technik des Einsiedlerkrebses die leeren Positionen nach dem letzten Bundesministeriengesetz beziehen und wäre in weiterer Folge diesbezüglich von jener Mehrheit im Parlament abhängig, die sich als Ministeriengesetzgeber formiert. Zahl, Wirkungsbereich und Einrichtung der Bundesministerien werden durch Bundesgesetz bestimmt.

Ist die Existenz einer Minderheitsregierung durch einen Toleranzpakt mit anderen im National-rat vertretenen Parteien absolut gesichert, ist die Funktionsfähigkeit dieser Begierung relativ groß. Sie hat weder eine Ministeranklage noch ein Mißtrauensvotum zu befürchten und eine etwaige Abstimmungsniederlage im Wege der Gesetzgebung hat nicht einen Bücktritt oder gar eine Enthebung zur Bechts-folge. Im übrigen ist auch eine Minderheitsregierung hinsichtlich Information, Personal und Kapital dem Parlament weit überlegen. Trotzdem ist das Parlament in allen seinen Funktionen bei einer Minderheitsregierung aufgewertet. Schon jetzt sind Gesetzgebung und Kontrolle von der Begierung selbständiger geworden. Bei einer Minderheitsregierung würde diese Aufwertung des Parlaments noch größer werden oder zumindest scheinen.

Eine Minderheitsregierung kann unter Umständen die einzige Begierung sein, die regieren kann, das heißt politische Ziele und Initiativen setzt, einheitliche Beformkonzepte erstellt, untereinander kooperiert, die gesamte Staatsverwaltung koordiniert und die Verwaltung vereinheitlicht und vereinfacht. Auch die Vorbereitung und Vorberatung kann in einer homogenen Begierung besser funktionieren als in diversen Koalitionen. Trotz dieser rationalen Botschaft fehlt mir aber der Glaube an eine längere Funktionsfähigkeit. Zu sehr ist der politische Wettbewerb ein Kampf um Begierung und Begieren.

Der Autor ist

Rechtslehrer an der Universität für Bodenkultur in Wien.

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