Sieben Fraktionen im Nationalrat?

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Bisher gab es mindestens drei und höchstens fünf Fraktionen im Nationalrat. Die Zweite Republik hat keine Erfahrungen mit einem Parlament, dem sieben Fraktionen angehören. Genau dazu könnte es aber kommen. von anton pelinka

Das hat es schon immer gegeben: Bei einer Wahl des Nationalrates treten Parteien an, denen die Punze "Kleinpartei" verliehen wird. Bisher haben aber, seit 1945, noch nie mehr als fünf Parteien den Sprung in die für die Regierungsbildung und Gesetzgebung entscheidende Kammer des Parlaments geschafft. Bisher gab es mindestens drei und höchstens fünf Fraktionen. Der Parlamentarismus der Zweiten Republik hat keine Erfahrungen mit einem Nationalrat, dem sieben Fraktionen angehören.

Eben das aber könnte am 28. September der Fall sein. Neben den derzeit vertretenen fünf Parteien können sich zwei weitere Chancen ausrechnen, entweder die vier Prozent-Hürde zu überspringen, oder aber durch ein Direktmandat in den Nationalrat einzuziehen: Das Liberale Forum, das ja schon zweimal - 1994 und 1995 - in den Nationalrat gewählt wurde; und die Liste Dinkhauser, die durch ihren Erfolg bei der Tiroler Landtagswahl mit einem bundesweiten Aufwind oder auch mit einem Tiroler Direktmandat rechnen kann.

Die wesentliche Konsequenz, die sich aus den Erfolgen des LIF und/oder der Liste Dinkhauser ergibt, ist die mögliche Auswirkung auf die Mehrheit- und Regierungsbildung im Nationalrat. Sieben Parteien im Nationalrat - das bedeutet, dass mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine "Große Koalition" keine Zweidrittel-Mehrheit hätte und wahrscheinlich nur über eine knappe einfache Mehrheit verfügen würde. Jede andere Form eines Zweier-Bündnisses wäre fast sicher ohne Mehrheit. Damit aber können weder die Freiheitlichen noch die Grünen für eine Großpartei die Rolle eines Mehrheitsbeschaffers spielen.

Konsequent weitergedacht bedeutet dies, dass die nächste Regierungsbildung sich mit zwei bisher in der Zweiten Republik kaum oder gar nicht erprobten Varianten wird beschäftigen müssen: Mit den Chancen einer Minderheitsregierung oder einer Dreier-Koalition.

Minderheitsregierung?

Eine Minderheitsregierung kann auf das Modell der ersten Regierung Kreisky verweisen, als die SPÖ nach dem Gewinn der relativen Mehrheit 1970 eine Alleinregierung bildete, die sich auf die Duldung der FPÖ stützen konnte. Diese Duldung bestand vor allem darin, dass die FPÖ der Regierung die Verabschiedung eines Budgets ermöglichte und klarmachte, einem von der ÖVP kommenden Misstrauensantrag die Zustimmung und damit die Erfolgsaussichten verweigern zu wollen. Diese formlose, aber klare Vereinbarung ermöglichte der Regierung die Existenz von über einem Jahr. Die Minderheitsregierung Kreisky war das Sprungbrett, das die SPÖ für die 1971, 1975 und 1979 errungenen Mehrheiten und damit für die "Ära Kreisky" zu nutzen verstand.

Chancen durch Wahlrecht

Bei näherem Hinsehen wird aber deutlich, dass sich die Erfahrung von 1970 nicht auf das Jahr 2008 übertragen lässt. Weder wird eine Partei knapp an die absolute Mandatsmehrheit herankommen, noch wird die Duldung einer einzigen, kleineren Partei ausreichen, um einer Minderheitsregierung eine Überlebenschance zu sichern. Das in parlamentarischen Demokratien legitime und oft praktizierte Modell der Minderheitsregierung würde nach dem wahrscheinlichen Ergebnis des 28. September die Duldung einer ÖVP- oder SPÖ-Minderheitsregierung durch zwei kleinere Parteien voraussetzen.

Damit aber ist viel weniger Stabilität gewährleistet als durch eine von der Duldung nur einer Partei abhängigen Minderheitsregierung. Eine solche Regierung ohne aktive Unterstützung einer Parlamentsmehrheit, geduldet von zwei offiziell in der Opposition befindlichen Parteien, müsste bei jedem ihrer Vorhaben um ihr Überleben bangen.

Die Kandidaturen des LIF und der Liste Dinkhauser, aber auch das Antreten des BZÖ werden mit deutlichen Hinweisen darauf verbunden, dass jede dieser Parteien unter bestimmten Voraussetzungen bereit wäre, die für die Bildung einer Dreier-Koalition notwendigen Mandate bereitzustellen. Mit anderen Worten: BZÖ, LIF und Liste Dinkhauser werben direkt oder indirekt mit dem Argument, ihr Einzug in den Nationalrat könnte eine Alternative zur Großen Koalition ermöglichen.

Für die Zweite Republik wäre eine solche Regierungsform ein absolutes Novum. Das spricht natürlich nicht gegen diese Variante der Mehrheitsbildung. Denn in anderen parlamentarischen Systemen - in Italien und in Belgien etwa - sind Koalitionen, bestehend aus drei oder mehr Parteien, an der Tagesordnung. Allerdings machen diese Beispiele auch deutlich, dass die Stabilität einer Koalition mit der Zahl der daran beteiligten Parteien negativ korreliert: Je mehr Parteien ihrer Klientel beweisen müssen, dass die Regierungspolitik ihre spezifische "Handschrift" trägt, desto größer sind die Reibungsverluste und wohl auch die Sollbruchstellen innerhalb des Regierungsbündnisses.

Mit anderen Worten: Eine aus drei Parteien bestehende Koalition ist nicht nur legitim, sie ist auch möglich. Allerdings darf man sich von ihr eines nicht erwarten - Stabilität und die zügige Umsetzung eines profilierten Regierungsprogramms.

Dass die Zahl der kleinen Parteien, die sich Chancen auf Mandate ausrechnen können, eher zu- als abnimmt, ist auch die Folge der Verhältniswahl. Bei dieser ist die Hürde, die es auf dem Weg ins Parlament zu überwinden gilt, relativ niedrig. Dass der in der Bundesverfassung festgeschriebene Grundsatz der Verhältniswahl nicht schon früher eine stärkere Zersplitterung des Parteiensystems ausgelöst hat, war eine Konsequenz der ausgeprägten Loyalität eines Großteils der österreichischen Wählerinnen und Wähler.

Kleine hoffen zu Recht

Das hat sich geändert. Gerade Jüngere finden die Angebote von SPÖ und ÖVP immer weniger attraktiv. Das bedeutet, dass sich ein Teil der Kleinparteien zu Recht Hoffnungen machen können, in den Nationalrat zu kommen und die Mehrheits- und Regierungsbildung beeinflussen zu können.

Dass dies möglich und legitim ist, ist ebenso klar wie auch der Umstand, dass weder ein Vizekanzler Dinkhauser noch eine Außenministerin Schmidt Garantien für ein Mehr ans Stabilität bieten können.

Anton Pelinka, Politologe, Central European University Budapest.

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