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„Story aus Österreich“

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Dr. Peter Hohenfellner, 31 Jahre alt, „Benjamin der Sekretäre Kreiskys“, wie ihn die „Wochenausgabe der Kronen-Zeitung“ in einer Bildreportage beschrieb, hatte Angst. Die Beamtenkarriere des Legationsrates hing an einer maschinengeschriebenen X-Serie, mit der ein von Doktor Kreisky dessen Intimfeind Simon Wiesenthal angeblich verpaßter Ausdruck „jüdischer Faschist“ in einem Kanzlerinterviewmanuskript für eine holländische Zeitung übertippt worden sein soll. Darüber sollte Hohenfellner Montag, den 14. September 1970, vor einem Gericht in Zürich Rede und Antwort stehen. Dr. Peter Hohenfellner war von dieser Angelegenheit sehr betroffen, so sehr gar, daß er, so die „Presse“, „nicht mehr ansprechbar gewesen sei“.

Dr. Peter Hohenfellner griff zur Flasche. In der ,3edermaus“-Bar des Parteifreundes Gerhard Bronner suchte er zwei Tage vor dem Prozeßbeginn Trost und Vergessen Im

Alkohol. Sodann — volltrunken — stieg er in sein Auto mit der tschechischen Nummer DD 36-45, einem Diplomatenkennzeichen, das er längst nicht mehr verwenden dürfte. Nun gut, Dr. Hohenfellner fuhr Samstag nachts durch das nächtliche Wien. Halb über das Lenkrad gebeugt, erfaßte er mit der Kühler -hauba seines Fahrzeuges den Rayonsinspektor Egon Priller, 52, Vater von drei Kindern, der gerade auf seinem Moped eine Patrouillenfahrt absolvierte. Das Fahrzeug des betrunkenen Sekretärs schleuderte den Rayonsinspektor 15 Meter weit. Unter einem geparkten Taxi blieb Priller tot liegen.

Im nächsten Kommissariat versuchte Dr. Hohenfellner noch jene Privilegien auszuspielen, die Doktor Kreisky bald ausräumen will: „Wenn Sie wissen, wer ich bin, dann werden Sie anders reden.“ Sodann wollte er Parteifreund und Justizminister Dr. Broda sprechen, wußten am nächsten Tag die Reporter des oppositionellen „Volksblattes“ zu berichten,

Nach einem vollen Geständnis wurde Dr. Hohenfellner — wie behauptet wird: ohne Interventionen höheren Orts — prompt enthaftet und auf freien Fuß gesetzt. Die verschüchterten Polizisten besorgten ihm, der einen ihrer Kollegen per Auto gekillt hatte — ein Taxi zur Heimfahrt. Wenige Tage später ermahnte Dr. Kreisky alle Beamte, „in und außer Dienst das Standesansehen zu wahren und alles zu vermeiden, was die Achtung und das Vertrauen, das ihre Stellung erfordert, schmälern könnte“.

Ob jene Stress-Situation, die Doktor Hohenfellner zum Alkohol trieb und ein Menschenleben kostete, mehr oder weniger durch den Prozeß gegen Simon Wiesenthal beeinflußt worden war, wird nie geklärt werden. Die ÖVP benützte die Gelegenheit, namens des einzigen ÖVP-Vorsitzenden einer Fachgewerkschaft gegen den Bundeskanzler zu „schießen“. Grund: Die armen Beamten. In den Mülleimern der Boulevardpresse raschelt hingegen das Makulaturpapier künftiger Hohenfellner-Prozesse. Da kann man dem kleinen Mann und Leser zeigen, was Österreich für ein Rechtsstaat ist. Der Polizist Egon Priller, 52 Jahre, Rayonsinspektor, Vater von drei Kindern, ist inzwischen begraben. Der Prozeß in Zürich, den Doktor Hohenfellner für seinen Kanzler bestreiten sollte, wurde vertagt. Jeder hat seine Story.

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