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Digital In Arbeit

Antwort an Dr. Broda

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Ich danke der „Furche“ für ihre Glosse „Arbeit für Wiesenthal“; sie drückt in wenigen Zeilen das aus, worüber ein ganzes Buch geschrieben werden müßte: Dr. Brodas Amtszeit als Justizminister.

Die „Sozialistische Korrespondenz" hat in einer Aussendung und die „AZ“ hat in deren Abdruck geleugnet, daß der Abgeordnete Dr. Broda gegen die Verfolgung von NS-Ver- brechen sei, noch daß er dies in verschiedenen Aussprüchen partei- und wahlpolitisch noch sonstwie begründet habe. Was die Aussprüche betrifft, so gibt es eine Reihe von Personen, denen gegenüber Dr. Broda sich in jenem Sinne geäußert hat — Leute, deren Glaubwürdigkeit auch er nicht bezweifeln dürfte. Lassen wir jedoch Aussprüche und Worte, und reden wir von der Praxis. Derjenigen des Justizministers Broda.

Als Dr. Broda sein Amt antrat, haben manche Leute gehofft, daß sich nun etwas an der, in der österreichischen Justiz herrschenden Passivität bei der Verfolgung der großen NS-Verbrechen ändern werde.

Ich habe damals Dr. Broda aufgesucht und ihm dargelegt, daß, meiner Meinung nach, die Crux darin bestehe, daß die ein bis zwei für den NS-Komplex eingesetzten Staatsanwälte völlig - überfordert seien: Riesenschuldblöcke, Wie Ausschivitz (Vorerhebungen gegen 42 der Beteiligung an den dortigen Massenmorden verdächtigte Österreicher), „Einsatzgruppe Reinhardt“ (1,800.000 Morde mit 65 daran mitschuldigen Österreichern) und Minsk (allein rund 18.000 dort ermordete österreichische Juden, woran 60 Österreicher beteiligt waren), und noch andere solcher Schuldblöcke werden hierzulande von einem Staatsanwalt bearbeitet. Ein Zeichen, welche Bedeutung dem eingeräumt wird, wenn anderseits in der deutschen Bundesrepublik für einen solchen Block bis zu 15 Staatsanwälte bestellt werden. Die Folge: dort gibt es fortlaufend Prozesse über die großen NS-Verbrechenskomplexe und in Österreich nicht. Hier wirft man — eher der internationalen als der österreichischen — Öffentlichkeit alle zwei, drei Jahre einen Prozeß gegen einzeln herausgegriffene Leute wie Novak in den Rachen, um zu zeigen, daß „was g’schicht". Die großen Schuldblöcke bleiben unbehandelt.

Dr. Broda hat damals Abhilfe versprochen. Es ist nichts geschehen; an der vordem geübten Praxis — oder vielmehr Nichtpraxis — hat sich auch in seiner Amtszeit nichts geändert. Sein geringes praktisches Interesse an einer Aktivität im NS- Komplex erwies sich zur Gänze im Falle des Minsk-Prozesses. Im Herbst 1962 begann in Koblenz ein großer Prozeß gegen die Hauptfunktionäre der SS-Polizeidienststelle Minsk während der deutschen Besetzung 1941 bis 1944. In jener Zeit wurden dort rund 150.000 weißrussische und an die 100.000 dorthin deportierte deutsche und österreichische Juden ermordet. Unter den mindestens 18.000 österreichischen Juden haben sich die Dichterin Alma Johanna König und der Schöpfer des ersten so berühmten WIM-Pla- kates der Wiener Messe, der Maler Julius Kling er, befunden. Ich sprach damals bei Dr. Broda vor, er möge doch in Hinblick auf das besondere österreichische Interesse einen Beobachter seines Ministeriums zu dem Prozeß entsenden. Das Interesse war nicht nur wegen der Ermordeten, sondern auch wegen der Mörder gegeben: 60 Österreicher waren — oder vielmehr sind — impliziert. Sind, weil die deutschen Behörden keine Anklagen gegen Österreicher eröffnen; sie sagen, darum sollten sich die österreichischen Behörden kümmern, sie hätten genug mit ihren eigenen Kriegsverbrechern zu tun. Faktisch waren zum Beispiel sowohl der Vorgänger dis auch der Nachfolger im Amt des Hauptangeklagten und Hauptverantwortlichen, des Leiters des „Judenreferates" in Minsk — Österreicher. Dr. Broda erklärte damals, er hätte kein Budget für die Entsendung eines offiziellen Beobachters. Später entschloß er sich dazu, einen honorierten Bericht von einem beim Prozeß anwesenden Publizisten und Zeitgeschichtler schreiben zu lassen, was natürlich keinerlei amtliche Bedeutung haben konnte.

Es war dies letzten Endes ebenso eine Augenauswischerei wie die Entsendung eines Beamten durch Innenminister Olah zu einem dreitägigen Aufenthalt in Koblenz — zu einem Prozeß, der sechs Monate dauerte. Seither sind sechs Jahre vergangen. Die deutschen Angeklagten wurden in Koblenz verurteilt und sitzen indessen ihre Strafen ab. Die Österreicher blieben unbehelligt und gehen in allen Teilen Österreichs frei herum, wenn sie nicht Unterdessen an Altersschwäche gestorben sind. Zwei Beispiele von vielen anderen, die das Buch über Dr. Brodas Wirken als Justizminister füllen würden.

Wie steht es mit seiner Tätigkeit als Abgeordneter? Seine letzte diesbezügliche Manifestation ist sein Auftreten gegen mich im Parlament. Ihm, wie dller Welt, ist bekannt, daß ich es mir zur Lebensaufgabe gemacht habe, dabei mitzuhelfen, daß die Schuldigen an der Ermordung von sechs Millionen Juden zu Gericht gebracht werden. Zu diesem Zwecke liefere ich den Behörden in meinem Dokumentationszentrum gesammelte Unterlagen über Opfer, Schuldige, Zeugen und Dokumente. Die Gerichts- und Polizeibehörden verschiedener Länder haben meine Hilfe in Anspruch genommen und mir zahlreiche Dankschreiben geschickt. Nicht Dr. Broda. Er weiß mir keinen Dank. Im Gegenteil.

Mit — man kann es gar nicht anders nennen — autoritärem Hochmut erklärt Dr. Broda in der SK-Aussen- dung: „Der demokratische Rechtsstaat kann jedoch aus grundsätzlichen Erwägungen neben der Tätigkeit seiner Behörden, für die der Minister im Parlament verantwortlich ist, keine parapolizeiliche Tätigkeit — mit welcher Absicht immer — dulden. Das gilt auch für das Dokumentationszentrum von Diplomingenieur Wiesenthal.“

Das ist mehr als Hochmut, es ist Unkenntnis. Die Behörden der NS-Pro- zesse führenden Länder wenden sich nicht nur an mich, sondern auch an andere Personen und Organisationen um Angaben und Unterlagen — an Vereinigungen von NS-Verfolgten, Widerstandskämpfern und so weiter. Wenn Dr. Broda das im Namen des demokratischen Rechtsstaates nicht geduldet haben möchte, dann heißt das, daß er eine wesentlich für die Verfolgung von NS-Verbrechen nötige Tätigkeit verhindern will. Mit dem Ausdruck „parapolizeilich“ versucht Dr. Broda diese Tätigkeit zu verteufeln, eine Tätigkeit, die angesichts seiner und seiner Vorgänger Einstellung und Praxis auf keinen FaTl entbehrlich erscheint. Im Übrigen: Wenn es nach der Broda’schen Auffassung ginge, könnte es überhaupt keine Mitarbeit und Hilfe der Bevölkerung für das Funktionieren der Justiz und bei der Ausforschung von Verbrechen geben.

Noch etwas ist mir an dem parlamentarischen Minderheitsbericht aufgefallen: die seltsame Abwendung vom eigentlichen Hauptziel der

Untersuchung — der von Oststaaten in Österreich betriebenen Spionage. Statt dessen erblickten Dr. Broda und seine Kollegen anscheinend ihre Hauptaufgabe darin, denen eins auszuwischen, die an der Verfolgung oder Klarstellung von NS- Sachverhalten mitwirken oder sonstwie interessiert sind. Hoffen wir, daß diese Abwendung nicht absichtlich, sondern nur zufällig war.

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