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Besuch im „Häfen“

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Ich kenne wenige Leute, die es beunruhigt, daß in Österreich mehr Leute in den Gefängnissen sitzen als in jedem anderen vergleichbaren Land. So wie Christian Broda (FURCHE 5/1986) weiß ich nicht die richtige Antwort auf die Frage, warum das so ist.

Mit Christian Broda bin ich der Meinung, daß man sich bemühen sollte, Alternativen zur Freiheitsstrafe zu entwickeln.

Dieses menschlich so sympathische Eintreten für weniger Ein-

sperren öffnet Broda auch die Spalten von Zeitungen, mit denen erweltanßchaulich nicht sehr viel gemeinsam hat. Und es lenkt seine Vision der „gefängnislosen Gesellschaft“ von der Tatsache ab, daß sich an den ganz und gar unhaltbaren Zuständen in Österreichs Gefängnissen in den Jahrzehnten, da Broda Justizminister war, so gut wie gar nichts zum Guten geändert hat.

Für viele Änderungen hätte Broda weder eine Strafrechtsreform noch mehr Kompetenz gebraucht. Er hätte einfach die Ärmeln aufkrempeln und Reformen durchziehen müssen. Das ist viel

mühsamer, als für Parteigenossen zu intervenieren oder in gescheiten Journalen gescheite Artikel zu schreiben.

Warum diese harte Sprache? Weil meiner Meinung nach bei kaum einem Politiker der Nachkriegszeit Reden und Handeln so auseinanderklaffen wie gerade bei Broda. Und weil ich persönlich, freilich nicht als Gefangener, sondern nur als einer, der einen Gefangenen besuchen wollte, meinen Teil erlebt habe.

Ich bin am Weihnachtsabend, während der Besuchszeit im Innsbrucker Ziegelstadel, hinausgeworfen worden, weil der von mir zu besuchende Strafgefangene in dieser Woche schon einen Besuch hatte.. •. • • (. •

Früher, als derselbe Mann noch Untersuchungsgefangener war, konnte ich die Inneneinrichtung des Besuchszimmers, jeweils gleichzeitig mit fünf, sechs anderen Besuchern, genießen: Wir saßen Schulter an Schulter, die von uns besuchten Gefangenen saßen uns in mehr als drei Meter Entfernung gegenüber.

Eine Verständigung war also nur schreiend möglich. Wenn alle schrien, war kein Wort zu verstehen, zumal noch eine Glasbarriere zwischen uns lag. Als sich einmal

die Besucher alle auf den Tisch lümmelten, die Gefangenen desgleichen — um uns näher zu kommen —, da brüllte uns ein Aufseher an, ob wir uns denn nicht die Ohren gewaschen hätten.

Einem Justizminister, dem daran gelegen ist, daß in den ihm unterstellten Gefängnissen die Menschenwürde geachtet wird, der schafft diesen Besuchsraum ebenso ab wie die Bestimmung, daß Strafgefangene ab Samstag mittag (zumindest im Innsbruk-ker Ziegelstadel) nicht mehr besucht werden dürfen. Auf meine Frage nach einer Begründung für diese barbarische Regelung wurde mir immer gesagt, die Justizwachebeamten wollten schließlich auch ein Wochenende haben und heim zu ihren Kindern. So wie Kellner, Eisenbahner, Liftarbeiter und Schichtarbeiter auch?

Als vor Jahren, als Broda noch Justizminister war, ein aus Gars frühzeitig auf Probe entlassener Sträfling eine Familie in der Wachau umbrachte, wurde ruchbar, daß es in ganz Gars nur einen einzigen Psychiater gab, und der sei auch immer betrunken gewesen. War daran auch die rachelüsterne Opposition schuld?

Daß es im Innsbrucker Ziegelstadel bei 400 bis 500 Gefangenen nur zwei(!) Sozialarbeiter gibt, kann man nicht anders als einen ausgewachsenen Skandal bezeichnen. Zwanzig Sozialarbeiter wären sicher nicht zu viel, wenn uns allen an der Resozialisierung der Strafgefangenen gelegen wäre.

Ist uns daran gelegen? Ich fürchte, nicht sehr. Wann immer man mit gutwilligen Mitbürgern über all diese Probleme spricht, schütteln sie ganz bekümmert den Kopf. Das alles hätten sie nicht gewußt — woher auch?

Man hat, unter Broda, über die inneren Zustände in den Gefängnissen nichts Wesentliches gehört. Das hat sich seither natürlich nicht gebessert. Und die Strafgefangenen selbst sind natürlich nicht in der Lage, sich zu artikulieren. Wer es kann, tut es auch nicht — er will ja etwas anderes anfangen, wenn er heraußen ist.

Vor ein paar Jahren sagte Kardinal Franz König in einer Weihnachtsrede, unser Umgang mit den Strafgefangenen und ihren Familien sei eines der Probleme, wo die Kirche mit unserem Staatswesen nicht zufrieden ist. Diese Rede war auch in der FURCHE abgedruckt.

Aber hat diese bemerkenswerte Wortmeldung — die alle meine gutbürgerlichen Freunde, die ich anschließend testete, überlesen haben — irgend etwas geändert?

Broda schreibt, wir brauchten eine „weitere innere Reform des Strafvollzuges“. Wir hatten noch gar keine!

Der Autor ist Forstreferent der Tiroler Landwirtschaftskammer.

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