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„Geheimniss' von Wien" werden immer unfaßbarer
Selten sind die Österreicher so heftig hinters Licht geführt worden wie in der vergangenen Woche.
Monatelang hat der Finanzminister behauptet, daß er mit der Finanzierung des von seinem Schwiegervater aufgenommenen Villenkredits nichts zu tun gehabt habe, und der Justizminister hat im Nationalrat versichert, daß sein Kollege „in keiner Weise" auf die Kreditverhandlungen „eingewirkt" habe.
Dann trat der Rechtsanwalt Michael Graff auf den Plan und legte Dokumente auf den Tisch, die eigentlich keinen Zweifel' darüber lassen, daß Androsch immer wußte, wovon die Rede war.
Nun gibt es zwei, vielleicht drei Möglichkeiten. Entweder Androsch und Broda haben die Unwahrheit gesagt -dann sind sie als Regierungsmitglieder untragbar geworden. Oder Graff hat gefälschte Dokumente vorgelegt (was bis heute niemand behauptet hat): Dann gehört er als Verleumder vor Gericht zitiert!
Eine dritte Möglichkeit ist allenfalls, daß alle drei subjektiv die Wahrheit sagen, die eine Seite sich aber geirrt hat. Dann müßten jetzt alle Beteiligten mit roten Köpfen die Ursache ihres Irrtums suchen und dann mit einer großen Entschuldigung anrücken.
Keine Spur ist von alledem zu sehen. Man klagt an, dementiert und geht zur Tagesordnung über. Die Tagesordnung aber lautet: Weitermachen!
So hat Justizminister Broda wenige Tage, nachdem Wissenschaftsministerin Firnberg davon gesprochen hatte, daß der Konflikt zwischen Bundes- und Vizekanzler die ganze Regierungsarbeit lähme und „nur noch ein Wunder" ihn heilen könnte, glatt in Abrede gestellt, daß es diesen Konflikt überhaupt noch gibt.
Dabei brauchte man nur ein Nasen-spitzl des Kanzlers ins Fernsehbild zu bringen, um erkennen zu können, daß dieses aus Zorn über den Androsch bebt.
Was aber sagt der Bundeskanzler? Er sagt: „Ich sag's ganz offen, das ist eine haarsträubende Ungleichheit vor dem Gesetz - wer reich ist, kann sich's richten, wer arm ist, bleibt im Dschumpas. Hier muß was geändert werden!"
Eine malerische Sprache. Leider aber war der Satz nicht auf aktuelle Regierungsverhältnisse, sondern darauf gemünzt, daß Reiche sich mit Kautionen aus der Untersuchungshaft „freikaufen" können, während „eine Rentnerin sich fürchten muß, daß die Kobra-Truppe ausrückt, weil sie im Supermarkt vergessen hat, ihr Kukident zu bezahlen."
Also wieder nicht, was wir erhofft haben. Das sind so „die Geheimniss' von Wien", die der Nestroy schon im „Mädl aus der Vorstadt" besungen hat und von denen dieser Tage von der Burgtheaterbühne herunter in Coupletform versichert wird, daß es längst keine Geheimniss' mehr seien - nur werden halt keine Konsequenzen daraus gezogen.
Der Papst hat eben verkündet, daß Gerechtigkeit zuwenig sei, um das Leben erträglich zu machen: Ohne Erbarmen ließe sie die Welt erkalten. Wie wahr, wie wahr! Österreichs politische Verantwortungsträger leben längst von der Verheißung dieser Enzyklika.
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