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DAS GROSSE SCHWEIGEN. Das innenpolitische Ereignis Nr. 1 ist in Österreich zweitellos das Volksbegehren. In allen Städten und Gemeinden wandern Tausende von Staatsbürgern in die Wahllokale und dokumentieren mit ihrer Unterschrift, dafj sie mit der herrschenden Praxis der Regierungskoalition — vermutlich nicht nur in der Angelegenheit Rundfunk und Fernsehen — unzufrieden sind. Diese Unzufriedenheit, von der man schon so viel in den Leitartikeln der Zeitungen gelesen hat, nimmt in diesen Tagen vor aller Augen in höchst dramatischer Weise Gestalt an: bald wird man Näheres über ihre Stoßkraft, über ihre Grenzen und Möglichkeiten wissen. Es ist ein Skandal scheinbar nur am Rande dieses Ereignisses, betrifft aber das Problem genau in der Herzmitfe, daß Rundfunk und Fernsehen, ihre statuarisch fesfgelegte Informationspflicht gröblichst verletzend, über die Volksbegehrenaktion einfach schweigen. Nichts könnte eindrucksvoller zeigen, daß hier etwas geschehen müßte, wie dieses beredte Schweigen. Der Staatsbürger weif) jetzt, daß er mit Hilfe der modernsten „Kommunikationsmitfel , wie sie so schön heißen, manipuliert, ja einfach hinfers Licht geführt wird. Er wird in seinen Grundrechten, die immer wieder feierlich proklamiert und bekräftigt werden, empfindlich eingeschränkt. Die Freiheit der Information ähnelt aegenwärtig einer Rechnung, die in Österreich noch nicht aufge- ganqen ist. Damit sie aufgehf, dafür müssen in diesen Tagen die Bürger dieses Staates selbst sorgen.

WETTERPROGNOSE: VERÄNDER LICH. Nach manchem Zwischenhoch und gelegentlichen Gewittern ist die Großwetterlage in der österreichischen Innenpolitik gegenwärtig sehr schwer zu definieren, geschweige denn vorauszusagen. Am leichtesten könnte man sich auf die Bezeichnung „veränderlich einigen. Kleinere und größere Alarmmeldungen jagen einander, kaum liest man von geheimnisvollen Sitzungen, welche die sozialistische Führungsspitze zur nächtlichen Stunde abhält, wird man schon durch Meldungen über Streikdrohungen der Bauarbeifergewerk- schaft abgelenkf, hinter denen man auch wiederum Olah-Aktionen vermutet, denn Lohnforderungen widersprechen gegenwärtig kraß der Lohnpolitik des Gewerkschaffsbundes, der an einer Stabilisierung der Löhne und Preise nach wie vor stark interessiert zu sein scheint. Die Regierungskoalifion befindet sich gegenwärtig auf dem Abstellgleis. Dio letzte Diensfagsifzung des Mini- sterrafes hat ebenso ergebnislos geendet wie die Sitzung des Arbeitsausschusses der Koalition; man hat sich bei einigen grundlegenden und auch terminisierten Fragen — wie etwa bei dem Wohnungsproblem, das bis Jahresende geregelt werden sollte — nicht einmal auf einen Sitzungstermin einigen können. In der Frage der Pensionserhöhungen, die sowohl der Bundeskanzler wie auch der Vizekanzler bereits mehrmals versprochen haben, scheiterte eine Einigung, wie es vorauszusehen war, daran, daß die Volkspartei zuerst die Bedeckung einer Erhöhung geklärt haben will, während die Sozialisten den leichteren Weg wählen und mit unabdingbaren, aber sicherlich publikumswirksamen Forderungen operieren. Was zu befürchten war, ist jetzt offenkundig geworden: diesmal sind es nicht nur die bevorstehenden Landtagswahlen, die jede konstruktive Arbeit auf Regierungsebene im gegenwärtigen Zeitpunkt erschweren müssen, sondern vor allem sind es die heillosen Zustände in der Sozialistischen Partei und, wie man es schon als sicher annehmen kann, innerhalb des Gewerkschaftsbundes, wo man auch bereits beginnt, in den Methoden des Machtkampfes weniger wählerisch zu sein. Die zarte Pflanze der ohnehin sehr zaghaften Stabilisierungsbemühungen der Regierung wird auf diese Weise durch Kraftmeiereien sich durch die nächste Kollegenschaft bedroht fühlender Gewerkschaftsleitungen früher oder später mit Sicherheit zertrampelt, wenn nicht die Vernunft im letzten Moment noch Oberhand gewinnt.

GESPALTENE NEUTRALISTEN. Die Gipfelkonferenz d'er Neutralisfen in Kairo wurde durch den kongolesischen Ministerpräsidenten Tschombe wider Erwarten mit einer besonderen „Einlage” interessanter, ja brisanter gemacht. Tschombe wurde nicht eingeladen, und Präsident Kasavubu wurde sogar gebeten, von einer Entsendung des mißliebigen Mannes abzusehen. Tschombe fühlte sich aber nicht gekränkt und erschien, freudestrahlend wie immer, in der Türöffnung seines Flugzeuges auf dem Kairoter Flugplatz. Die verdutzten Ägypter brachten ihn daraufhin sofort in einen abgelegenen Palast und setzten ihn unter Hausarrest. Kasavubu protestierte telegraphisch gegen die Behandlung seines Ministerpräsidenten, die tatsächlich nicht den diplomatischen Gepflogenheiten entsprach. Die Konferenz begann inzwischen fieberhaft zu arbeiten: Gegenstand der Beratungen war die Frage, ob man Tschombe doch noch zu den Verhandlungen zulassen soll oder nicht. Daß es dabei bald zwei Parteien gab, ist nur selbstverständlich. Denn auch wenn man ein Neutralist ist, muß man sich schließlich entscheiden, ob man es so oder so meint. Der Prüfsteine gab es in Kairo einige: Südafrika, Deutschland, Vietnam und — eben — Tschombe…

NACH DEM FEST. Als gelernter Österreicher möchte man ausrufen: haben nicht nur politische Parteien ihre krisenhaften Zustände? Im Land der Hellenen wird die Öffentlichkeit gegenwärtig mit einem peinlichen Zwist im Königshaus beschäftigt, den nicht etwa taktlose Journalisten, sondern prominente Mitglieder des Hauses selbst in die politische Arena getragen haben. Und auch hier kann man beobachten, daß offensichtlich nur ein Teil des angesammelten „Materials ausgepackt wird, manches wird nur angedeutet, vieles bleibt unausgesprochen. Das wird, ganz ähnlich wie im Falle innerparteilicher Differenzen in anderen Ländern, wohl auch darauf zurückzuführen sein, daß die eigentlichen Probleme unaussprechbar oder auch unauslotbar sind: unaussprechbar, weil sonst bald eines Tages alles Zur Diskussion gestellt werden könnte, und unauslotbar, weil die akuten Probleme oft nur stellvertretend für die eigentlichen, aus irgendeinem Grund aber nicht einmal noch richtig definierbaren Fragen stehen. Was dann jedermann merkt, ist jenes gewisse Unbehagen, das man aber besser nicht lange anstehen lassen sollte. Das weiß in Griechenland auch König Konstantin, der, wie es so unheilverkündend verlautete, sogar seine Flitterwochen unterbrach, um nach Athen zu eilen und dort die verwirrten Fäden einer „Familienangelegenheit — wo hat man diese Bezeichnung in letzter Zeit schon gehört? — selbst in die Hand zu nehmen. Das glanzvolle Fest, zu dem gekrönte und nichtgekrönte Häupter aus der ganzen Welt versammelt waren, ist vorbei, was übrigblieb, ist ein etwas schales Gefühl bei jenen, die das nach wie vor ungeklärte Zypernpro- blem und noch manches andere im Sinn haben.

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