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Der Mann, der nach Utopia geht

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Liselotte Böhm, entführte Frau eines Wiener Großkaufmannes, hatte, als sie am Montag von maskierten Männern in ein Auto gezerrt wurde, vielleicht noch die Worte Karl Blechas im Ohr: .. nur keine Überreaktionen des Staates!“ Was als Uberreaktion zu werten ist, bleibt unklar.' Christian Broda versteht unter Uberreaktion scheinbar das Einsperren von Rechtsbrechern in Gefängnissen, womit sein bedenkliches Verhältnis zum Straf- recht nach der zweiten spektakulären Entführung innerhalb kürzester Zeit neuerlich zur Diskussion gestellt Werden muß.

Der Gedanke der Vergeltung, der primitiven Rache ist im modernen Strafrecht längst zurückgetreten. In den Vordergrund gerückt sind dagegen das Verlangen nach bestmöglichem Schutz der Gesellschaft vor Rechtsbrechern sowie die stärkere Betonung der sozialen Aspekte des Strafrechts. In diesen Punkten, die übrigens auch zutiefst christliche Ideen zum Kern haben, sind sich Wissenschafter, Juristen, Kriminalsoziologen, Ärzte, Verhaltensforscher und andere kompetente Personenkreise grundsätzlich längst einer Meinung.

Nicht aber Christian Broda. Er will mehr. Er träumt vom fernen Utopia: Im Kabinett Utopia 1 will er alle Haftanstalten auflassen, sie allenfalls in ein Mahnmal spätfeudaler Verirrungen umwandeln. Im Kabinett Utopia 2 will er die Gerichtsverfahren „für die Betroffenen möglichst untraumatisch“ gestalten, also Roben, erhöhten Richtertisch sowie andere „Demutsgesten und obrigkeitsstaatliche Ehrbezeu- gungen“ - so steht es im SPÖ-Pro- blemkatalog - abschaffen, um anschließend die Paragraphen des Strafgesetzbuches durch das Urteil der Masse zu ersetzen, wie es heute in bestimmten Verfahren in der Volksrepublik China üblich ist. Im Kabinett Utopia 3 schließlich wird der Justizminister um seine eigene Abschaffung ansuchen, womit er einem alten Wunsch der Österreicher aus dem Jahre 1977 nachkommen wird, die auch keinen Justizminister wollen: Zumindest keinen, der Christian Broda heißt.

Der Hinweis, es werde nicht alles so heiß gegessen wie gekocht, ist im Falle Broda sicher fehl am Platz. Die vom ÖVP-Justizsprecher Walter Hauser zitierte „Brodaphobie“ hat ihren realen Hintergrund: Der Justizminister selbst hat allen Verharmlosern und Beschwichtigungshofräten den Wind aus den Segeln genommen, als er am ersten Tag der heurigen Budgetdebatte, bezugnehmend auf die Frage, wie stark Regierungserklärung und Regierungsvorlagen mit dem Programm der SPÖ zusammenhingen, einen vielsagenden Zwischenruf vom Stapel ließ: „Ich bin sehr zuversichtlich, daß alles das, was wir hier (im Parteiprogramm, Anm. d. Red.) vorschlagen, Gegenstand der Vollziehung wird.“

Kein Zweifel: Christian Broda spielt in einer teüweise bürgerlichen Regierung die Rolle des Nachlaßverwalters marxistischen Ideengutes, die Rolle desjenigen, der die ungerechte zugunsten einer neuen Gesellschaft überwindet, in der die Schwerter durch Pflugscharen, der böse Wolf durch das Rotkäppchen und der Rechtsbrecher durch Franz von Assisi ersetzt werden.

Daß Christian Broda mehr an der Auflösung vorhandener/ unangenehmer Bindungen als an der Beseitigung gesellschaftlicher Ursachen der verschiedenen Formen des Miß Verhaltens gelegen ist, hat man, obwohl er immer wieder das Gegenteil behauptet, mehrfach verfolgen können: Mit der Aufhebung der Strafbarkeit der gleichgeschlechtlichen Unzucht machte er einen noch der Diskussion werten Anfang. Es folgten die Fristenlösung und nun die Scheidungsreform, wobei in beiden Fällen nicht zu leugnende gesellschaftliche Tendenzen durch wohlgefällige Paragraphen zusätzliche Schubkraft erhalten, anstatt daß man sich nur irgendwo bemüht, den Grundwert Familie als unbestreitbare Bastion gegen die Tendenzen zu stärken.

Nicht viel anders ist es in der Frage der weiteren Strafrechtsreform. Broda widmet sich Utopia, die vor den Füßen liegenden Probleme will er nicht sehen. In dieser Einseitigkeit könnte man eine Parallele sehen zu jenem Verhalten, das der CSU-Chef Strauß unter dem Aufheulen der Linken in seiner umstrittenen Sonthofe- ner Rede gefordert hat; Auch Broda scheint nicht immer bereit zu sein, die vorhandene Gesellschaft zu verbessern, er scheint lachenden Auges der langsamen Auflösung der Gesellschaft zuzuschauen, da und dort ein klein wenig nachzuhelfen, um dann auf den Trümmern sein Reich Utopia erstehen zu lassen.

In neuem zielbewußten Utopismus ä la Christian Broda ist die Verbrechenswirklichkeit zugunsten des Verbrechers in den Hintergrund gerückt Sixtus Lanner wartete in der Sicherheitsdebatte im Parlament mit unwiderlegbaren Zahlen auf: 200 Wohnungseinbrüche, 40 Pkw-Diebstähle, 30 Verbrechen gegen die Sittlichkeit, das ist die Bilanz nur einer Woche! Jeden zweiten Tag läuft ein Verbrecher davon, die Zahl der Verbrechen nimmt zu, die Aufklärungsrate sinkt. Ganz richtig hat Lanner daran das Versprechen geknüpft: „Deshalb werden wir nicht aufhören von der Rolle der Familien in dieser Gesellschaft zu sprechen!“

Und was verspricht Christian Broda? Er verspricht die Auflassung der Gefängnisse, unterstellt seinen Zeitgenossen, ein Interesse daran zu haben, daß möglichst viele Gefängnisse existieren.

Viele Probleme, zu denen sichBroda äußert, können gerade von Christen blindlings unterschrieben werden: Humanisierung des Strafvollzuges, Kampf der Todesstrafe, Abschaffung der Folter in allen Teilen der Welt. Viele Österreicher, auch solche aus dem sozialistischen Lager, wünschen sich aber, daß diese wertvollen Anliegen einen weniger verdächtigen Fürsprecher bekommen!

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