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Der Eiswind weht

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Wenn am 27. und 28. November die Abgeordneten des Nationalrates zur Plenardebatte über die Strafrechtsreform zusammentreten, werden noch einmal viele jener Argumente vorgebracht werden, die es vor allem für und wider die umstrittenen Bestimmungen über den Schwangerschaftsabbruch gibt. Die sehr scharf und vielfach emotionell geführte Diskussion über dieses Thema zeigt gerade, wie sich die Meinungen — quer durch die Parteien — unterscheiden.

Waren die Beratungen im Strafrechtsunterausschuß und im Justizausschuß des Nationalrates zur Strafrechtsreform insgesamt vom Geist der Kooperation getragen (wie alle Beteiligten immer wieder ausdrücklich betonten), so liegt doch der düstere Schatten der Nicht-Einigung

über die Abtreibungsparapraphen über dem Ergebnis. Daß es keine Einigung über dieses Problem gibt, weil die Alternative nur „Fristenlösung“ oder „keine Fristenlösung“ heißt, war nur einem Hauptbeteiligten von Anfang an klar: dem erfahrenen Juristen und Rechtspragmatiker Justizminister Christian Broda, im Privatberuf Rechtsanwalt.

Denn nirgends kommt so sehr zum Vorschein, wo eigentlich die Grenzen einer generellen Rechtsprechung, aber vor allem einer generalisierenden Gesetzgebung liegen; und Broda hat gewußt, daß seine ursprüngliche Regierungsvorlage mit einer sogenannten „erweiterten Indikationenlösung“ sowohl von kirchlichen Kreisen wie von den Ultras in der SPÖ abgelehnt werden würde. Womit Broda nicht rechnete: daß die Ultras ihn selbst in die politische Ecke drängen würden.

Daß aber innerhalb der SPÖ nicht allen wohl in ihrer Haut ist, wenn man sie auf die Fristenlösung anspricht, zeigt nicht zuletzt die Haltung der Tiroler Sozialisten. Den Parteien muß aber in diesem Zusammenhang vorgeworfen werden, daß sie es offenbar nicht einmal in einer solchen Situation fertiggebracht haben, ihre Abgeordneten vom Klubzwang zu entbinden.

Die Sozialisten werfen nun der Volkspartei vor, sie könne sich zu der „klaren menschlichen Lösung“, nämlich der Fristenlösung, nicht durchringen, weil sie unter dem Druck von „konservativen Kräften“, etwa der „Aktion Leben“ stehe; sie wage auch nicht, nach Ansicht der SPÖ offenbar aus Furcht davor, daß etwa ein ÖVP-Abgeordneter die Fristenlösung nicht ablehnen könnte, für eine geheime Abstimmung einzu-

treten. Bemerkenswert ist, daß der Vorwurf jetzt fehlt, die ÖVP stehe unter dem Druck der katholischen Kirche und müsse daher die Fristenlösung ablehnen. Aussagen der Amtskirche in dieser Frage wurden von den Sozialisten ja besorgt registriert, obwohl gerade in der Endphase der Diskussion die Kirche mit ihrer Ablehnung nicht hinter dem Berge hielt: So wurden am vergangenen Sonntag während der Messen Resolutionen gegen die Fristenlösung verlesen, die von der Synode im Sommer verabschiedet worden waren. Darin heißt es, daß eine Gesellschaft, die den Anspruch des Menschen auf sein Leben in Frage stelle, unmenschlich sei; die Abtreibung sei weder ein Weg zur Konfliktbewältigung noch ein vertretbares Mittel der Familienplanung.

In der ÖVP wird darauf hingewiesen, daß' die Ablehnung der Fristenlösung nicht zuletzt deshalb unumgänglich sei, weil sich etwa 80 Prozent der österreichischen Gynäkologen und sämtliche Universitätsfrauenkliniken gegen die Abtreibungsfreigabe aus medizinischen Gründen aussprechen. Die Volkspartei bemüht auch Meinungsforscher, die erhoben haben, daß etwa 60 Prozent der Bevölkerung gegen die Fristenlösung sind. Sie wirft der SPÖ daher vor, die Meinung großer Bevölkerungsgruppen in einer so grundlegenden Frage unberücksichtigt zu lassen.

Die SPÖ habe keineswegs einen Wählerauftrag für das Durchdrücken der Fristenlösung, weil sie in ihrem Wahlprogramm genau das Gegenteil von dem in Aussicht stellte, was sie jetzt durchführt. Tatsächlich war im SPÖ-Justizprogramm für die Natio-

nalratswahlen des Jahres 1970 die Möglichkeit eines richterlichen Schuldspruches ohne Strafe für Frauen in echten Konfliktsituationen enthalten; in diesem Programm war weit und breit keine Rede von einer Fristenlösung.

Wie wird sich nun diese Entscheidung der SPÖ, die Volkspartei in dieser echten Grenzfrage der Gesetzgebung kalt zu überstimmen, auf das politische Klima in Österreich auswirken?

Die Frage ist schwer zu beantworten. Gerade an dem Tag, an dem die Abstimmung über die Strafrechtsreform im Justizausschuß des Nationalrates stattfand, bei der die ÖVP überstimmt wurde, saßen im Bundeskanzleramt Delegationen von SPÖ und ÖVP unter der Leitung von Bundeskanzler Kreisky und Parteiobmann Schleinzer beisammen, um einen ganzen Katalog offener Fragen im außerparlamentarischen Raum zu klären. Parteiobmann Schleinzer

hatte schon vor diesem Gespräch verlauten lassen, daß er sich eine Ubereinstimmung der Standpunkte bei der Lösung des Problems der Bevorratung vorstellen könne. Das Gespräch selbst verlief jedoch, wie Beobachter bestätigen, in sachlicher und loyaler Weise. Dies spiegelte sich auch in der geradezu herzlichen Art wider, wie sich Bundeskanzler Kreisky vor den surrenden Fernsehkameras von den Herren der ÖVP mit Händeschütteln verabschiedete. Eine Vereisung des Klimas zwischen den politischen Kräften ist also wegen der Abtreibungsfrage offenbar noch nicht eingetreten. Ob der Bundeskanzler allerdings das von ihm besonders betonte Klima einer distanzierten Hochachtung der SPÖ-Regierung gegenüber der katholischen Kirche aufrechterhalten kann, wird sich vermutlich bereits in der nächsten Woche zeigen. Der Eiswind weht jedenfalls.

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