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„Weg für die kleine Koalition...?“

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„Simon Wiesenthals Dokumentą- 1 tionsbüro zur Ausforschung von Kriegsverbrechern befindet sich in ernster Gefahr. Sozialistische ' und freiheitliche Abgeordnete haben dem Parlament in Wien einen Minderheitenbericht vorgelegt, in dem Wiesenithals .semipolitische Tätigkeit“, wie sie sich ausdrücken, verurteilt wird.

Dieses Vorgehen der beiden Oppositionsparteien wurde durch eine parlamentarische Debatte über die kommunistische, namentlich die tschechische Spionagetätigkeit in Österreich hervorgerufen.

Die Oppositionsparteien meinten, noch weiter gehen zu müssen. Sie verglichen die Arbeit Simon Wiesenthals mit der Betätigung kommunistischer Agenten in Österreich.

Der Angriff auf Wiesenthal wurde vom früheren sozialistischen Justizminister Dr. Christian Broda vorgetragen, einem Ex- Kommunisten, der vor 1938 und nach 1945 selbst mit kommunistischer Spionage zu tun hatte und kommunistischen Atomspionen in Amerika half. Im Parlament leistete ihm Dr. Zeillinger, ein Ex-Nationalsozialist, freiheitliches Parlamentsmitglied, Schützenhilfe.

In dieser absichtlichen Klitterung von politischer Spionage mit seiner Jagd auf Kriegsverbrecher sieht Wiesenthal eine Gefährdung seiner Tätigkeit und einen An- . griff auf die gute Ehre Österreichs, das immer behauptet, sich ’ -von Kriegsverbrechern zu distan-311’ zieren.

Das katholische Wochenblatt .Furche“ schreibt, daß dank Wiesenthal auf zahlreiche Anfragen aus dem Ausland mit Bezug auf die Aufklärung von Kriegsverbrechen schnelle Antwort erteilt werden konnte. Daß .verschiedene Regierungen, Ministerien, Polizeibehörden im Ausland, die seit Jahren daran gewöhnt sind, von den offiziellen Stellen in Österreich keine Antwort zu bekommen, sich immer mehr an Wiesenthal wenden“, so das Wochenblatt.“

Im Zusammenhang mit den aim 1. März folgenden Jahres stattfindenden Wahlen in den Nationalrat ist zwischen den österreichischen Parteien ein heftiger Streit um die Stimmen von 400.000 Nazis entbrannt, die, wie die Erfahrung lehrt, rastlos von der einen Partei zur anderen wandern. Die 400.000 Stimmen werden am 1. März darüber entscheiden, wem es gelingen wird, mit der deutschnationalen Freiheitspartei (FPÖ) eine Koalition einzugehen, den Konservativen (ÖVP) oder den Sozialisten (SPÖ). Obwohl auch die ÖVP sich durchaus nicht scheut, mit unverhohlen antisemitischer Einstellung von ihrem Großmut mit Bezug auf die jüngste Vergangenheit Zeugnis abzulegen (so wurde eine allseits angepriesene Welturaufführung eines vom Juden Schnitzler hinterlassenen Stückes im konservativen Parteiblatt ohne Angabe von Gründen abgeurteilt), so ist es die SPÖ, die jetzt in diesem entgegenkommenden Verhalten den Vogel abschießt. Ermutigt vom westdeutschen Beispiel, setzt sie alles daran, der monocoloren konservativen Re-

gierung ein Ende zu bereiten und den Weg für die kleine Koalition mit der FPÖ zu ebnen.

Nur vor diesem Hintergrund wird die Kampagne begreiflich, die in diesen Tagen gegen den Leiter des Jüdischen Dokumentationszentrums, Ing. Simon Wiesenthal, in die Wege geleitet wurde. Ende Oktober kritisierte der sozialistische Abgeordnete Broda — übrigens in perfekter Gleichzeitigkeit mit Zeillinger von der FPÖ — Wiesenthals geschäftiges Gebaren zur Ermittlung von Kriegsverbrechern aus der Nazizeit und zur Klageerhebung gegen diese.

Broda wies dabei auf die Tatsache hin, daß Wiesenthal beim Privatdetektiv Ableitinger Erkundigungen eingezogen hat, der vor einigen Monaten wegen Spionage zugunsten westlicher Mächte verurteilt worden ist. Nicht so sehr in der Formulierung, aber doch für jedermann verständlich, wurde damit suggeriert, daß Ableitinger über Wiesenthal auch für den israelischen Nachrichtendienst tätig gewesen sein soll.

Wiesenthal hat von 1963 bis 1968 sich der Detektivdienste Ablei- tingers bedient, weil dieser im Gegensatz zu den meisten seiner Kollegen kein Ex-Nazi war und weil das Innenministerium, solange es den sozialistischen Ministern Olah und Czettel unterstand, im Ausfindigmachen von Kriegsverbrechern ganz versagt hat. Auf dringende Anfragen westdeutscher öffentlicher Ankläger, die von den offiziellen Österreichischen Stellen auf ihre Ersuchen keine Antwort erhielten, gab Wiesenthal die erforderlichen Auskünf te über österreichische Massenmörder weiter.

Dienste Ab'.e:tingers.

Die Gründe, die Olah, Czettel und den früheren Justizminister Broda bewogen hatten, mit allen Mitteln zu trachten, Wiesenthal in üblen Ruf zu bringen und ihm das Leben auch weiterhin zu versauern, hat Broda einst in privatem Kreise wie folgt'umschrieben: .Jeder Prozeß gegen Kriegsverbrecher kostet unserer Partei Hunderte von Mitgliedern und Tausende von Stimmen.“

Broda hat denn auch aus seiner Meinung, daß unter die Vergangenheit endlich ein Strich gezogen werden müsse, niemals ein Hehl gemacht. Als die Wochenzeitung „Die Furche“ am 1. November Brodas Angriff auf Wiesenthal mit einem Plädoyer für die Fortsetzung der Ausforschung von Kriegsverbrechern beantwortete („Wenn im Zusammenhang mit Kriegsverbrecherprozessen irgend etwas unseren Namen retten kann, so nur die Tatsache, daß wir hier Wiesenthal und sein Dokumentationszentrum haben“), setzte Broda in der Sozialistischen Korrespondenz seinen Standpunkt klipp und klar auseinander.

„Der demokratische Rechtsstaat kann aus grundsätzlichen Erwägungen neben der Tätigkeit der Behörden, für die der Minister dem Parlament gegenüber verantwortlich ist, keinerlei parapolizeiliche Betätigungen dulden.“ Mit anderen Worten: Der Jurist Broda betrachtet jeden Beistand und jede Mitwirkung individueller Staatsbürger bei der Ausforschung von Verbrechern als unzulässig.

Simon Wiesenthal hat hierauf in der jüngsten Ausgabe der „Furche“ — das einzige Blatt in ganz Österreich, das eine so heikle und von Tabus umgebene Materie anzufassen wagt — mit einer verblüffenden Enthüllung über die Tätigkeit Brodas (oder richtiger gesagt, über die Untätigkeit) als Justizminister reagiert, was auf die weitere Wahlstrategie der SPÖ gewiß nicht ohne Folgen bleiben wird.

Wiesenthal bezichtigt Broda unumwunden, er habe während seiner Amtszeit die Verfolgung von Kriegsverbrechern sabotiert. Wiesenthal schildert, wie er Broda anläßlich seines Amtsantrittes aufigesucht und ihn auf die Ursache der Passivität Österreichs in Sachen von Kriegsverbrechen aufmerksam gemacht hat: Ein bis zwei Staatsanwälte, denen die Behandlung aller nationalsozialistischen Angelegenheiten obliegt, sind selbstredend absolut ungenügend.

Riesenkomplexe wie Auschwitz (Voruntersuchung gegen 42 mitschuldige Österreicher), die Gruppe Reinhardt (1,800.000 Morde mit 65 mitschuldigen Österreichern) und Minsk (dort allein 18.000 ermordete österreichische Juden, woran 60 Österreicher mitschuldig waren) und noch andere Prozesse werden in Österreich von einem einzigen Staatsanwalt bearbeitet.

Versprechen nicht gehalten

Broda hat diesbezüglich Wiesenthal feierlich versprochen, Verbesserungen einzuführen, ein Versprechen, das er nicht eingehalten hat. Im Gegenteil, seine völlige Uninteressiertheit fand ihren Ausdruck anläßlich des westdeutschen Minsk-Verfahrens, das 1962 in Koblenz begann. Im Hinblick auf die großen Interessen Österreichs (unter den 18.000 in Minsk ermordeten österreichischen Juden waren auch einige große Künstler) ersuchte Wiesenthal Minister Broda, doch wenigstens einen Beobachter nach Koblenz zu entsenden.

Schließlich waren die sechzig hiebei beteiligten Österreicher alle noch am Leben. Broda er- klärte. kein Geld für die Entsen- ; dun® eines Beobachters zu haben und gab sich, als Alibi, mit dem Bericht eines Publizisten zufrieden, der beim Prozeß anwesend war, dessen Darstellung freilich gar keine amtliche Geltung hatte. Über die Praktiken Brodas als Minister ließe sich laut Wiesenthal ein dickes Buch schreiben.

Die Haltung Brodas stellt unter den führenden sozialistischen Politikern keine Ausnahme dar. Auch ein anderes Paradepferd der SPÖ, der ehemalige Innenminister Czettel, derzeit stellvertretender Landeshauptmann von Niederösterreich, ist wegen seiner Antipathie gegenüber Wiesenthal und seiner früheren Nazi-Sympathien bekannt.

Czettel war im Kriege Parteimitglied, besuchte nach einer Verwundung an der Front eine Parteischule und wurde Parteisekretär. Auch zeichnete er sich durch Dichten von Naziliedern aus, die die berüchtigte westdeutsche Soldatenzeitung unlängst zitiert hat, sicherlich auch, um für die Wahlkampagne ein Steinchen beizutragen.

Das große Problem der SPÖ bildet die Gestalt ihres Vorsitzenden Bruno Kreisky. Kreiskys große Trümpfe sind: sein intellektueller Hintergrund, seine liberalen Auffassungen. Sie verschaffen ihm bei der Jugend und bei den Intellektuellen einen enormen Anhang. Dem kleinen Mittelstand dagegen, den die SPÖ am 1. März 1970 für sich gewinnen will, flößt Kreisky eine gräßliche Abneigung ein: Er ist Jude.

Dieses Handikap muß durch Menschen wie Broda und Czettel und durch Vorgehen wie den spektakulären Angriff auf Wiesenthal im Parlament kompensiert werden. Die SPÖ braucht keine Angst zu haben, daß dies als Bumerang wirken könnte.

Von einigen Ausnahmen abgesehen, findet man überzeugte Anti-Nazis nur in der Kommunistischen Partei, und die befindet sich seit der Invasion der Tschechoslowakei in Agonie;

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