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Unter Rechtsextremen kursiert „schwarze Liste”

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In Deutschland sei unlängst in einer neuen Rechtsextremen-Postille eine Adressenliste der „Hauptfeinde” aufgetaucht, berichtet Simon Wiesenthal.

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In Deutschland sei unlängst in einer neuen Rechtsextremen-Postille eine Adressenliste der „Hauptfeinde” aufgetaucht, berichtet Simon Wiesenthal.

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Simon Wiesenthal ist über die vermutlich rechtsextrem motivierte Briefbombenserie nicht überrascht: „Wenn, wie in Deutschland und auch in Österreich, Häuser angezündet werden, weil dort Ausländer wohnen und Menschen sogar getötet werden, dann muß man mit allem rechnen.”

Überrascht ist Wiesnthal jedoch über die präzise Planung und die hohe technische Qualität der Briefbomben: „Bisher war ich immer der Ansicht, daß es in der rechtsextremen Szene vor allem Rabauken gibt, aber keine Spezialisten, die imstande sind, derartige Bomben anzufertigen.” Bemerkenswert sei etwa die Präzision, mit der die Briefmarken an den rechten oberen Rand der Kuverts geklebt wurden, damit der Sprengsatz nicht bereits beim Abstempeln detoniert. „Das traut man den einschlägig bekannten Rechtsextremen nicht zu”, meint der Leiter des Jüdischen Dokumentationsarchivs im FURCHE-Gespräch. Er hält es daher für möglich, daß „Rechtsradikale mit jemandem Kontakt haben, der ihnen die entsprechende Unterstützung gibt. Etwa Leute aus dem früheren Jugoslawien.”

Auch der Psychologe Wilfried Daim (dazu auch Seite 1) erinnert daran, daß etwa die deutschen RAF-Terroristen von (östlichen) Geheimdiensten unterstützt worden waren.

Wiesenthal verweist auch darauf, daß in jüngster Zeit in einer bisläng unbekannten Neonazi-Zeitschrift in der Bundesrepublik mit dem Titel „Einblick” eine rund 250 Personen umfassende Liste von Gegnern der Rechtsextremen aufgetaucht ist. Er habe erst vor wenigen Tagen den

Chef der Staatspolizei, Oswald Kessler, darauf aufmerksam gemacht, da sich auf der Liste eine Reihe österreichischer Adressen befinden: „Ich habe Kessler vorgeschlagen, die Liste umgehend vom deutschen Bundeskriminalamt anzufordern und entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Aber das dauert seine Zeit'

Wiesenthal gibt zu bedenken, daß die Verfolgung des Rechtsextremismus in Österreich in den letzten Jahren nicht mit der nötigen Vehemenz erfolgt sei: „Die Stapo ist teilweise demotiviert. Jahrelang hat es Anzeigen nach dem Verbotsgesetz gegeben, aber die Gerichte sind vor Verurteilungen zurückgeschreckt. Das ist durch die jüngste Novelle des Verbotsgesesetzes nicht von einem Tag auf den anderen wiedergutzumachen.”

Kritik übt Wiesenthal an den österreichischen Parteien, „die im Jugendbereich so gut wie gar nicht tätig sind und nur darauf schauen, daß sie alle vier Jahre eine Wahl gewinnen. Um die Jugend kümmern sich immer nur die Diktaturen, nie die Demokratien.” Wenn man die Jugend vernachlässige, brauche man sich aber nicht zu wundern, wenn sie sich Extremen zuwendet. „Die Parteien sollten von Jörg Haider lernen', wünscht sich Wiesenthal: „Er geht immer dorthin, wo junge Menschen zu finden sind. Vielleicht sollten das auch die anderen Parteien tun, damit die Jugend nicht nur das hört, was Haider ihnen zu sagen hat.”

Gewalttaten heimischer Rechtsextremisten sind an sich kein No-vum, wenn auch die jetzige Briefbomben-Serie, sollte sie sich als das Werk von Neonazis, herausstellen, nach Ansicht von Brigitte Bailer vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes eine

„neue Qualität” darstellt - und zwar sowohl in ihrem Umfang als auch in ihrer präzisen Planung und in der hohen technischen Qualität.

1992 - dem ersten Jahr, in dem alle neonazistisch und fremdenfeindlich motivierten Straftaten detailliert erfaßt wurden - gelangten 441 Delikte, darunter sieben tätliche Angriffe, zwölf Brandanschläge, fünf tätliche Angriffe gegen Asylantenunterkünfte sowie 15 Bedrohungen zur Anzeige. Zwischen 1980 und 1992 wurde in 1.147 Fällen Anzeige nach dem Verbotsgesetz erstattet.

Bereits Anfang der achtziger Jahre sah sich die Bepublik mit rechtsextrem motiviertem Bombenterror konfrontiert: Insgesamt neunmal wurden eher stümperhaft angefertigte Sprengsätze deponiert, darunter auch vor dem Wohnhaus von Simon Wiesenthal und beim damaligen Vizepräsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde. Verletzt wurde niemand. Die meisten Opfer standen auf einer in rechtsextremen Kreisen kursierenden „schwarzen Liste”. Auch Bailer hält es daher für möglich, daß der aktuellen Briefbomben-Serie eine ähnliche Liste zugrunde liegt. Dies würde erklären, warum auch eher unbekannte Personen und Institutionen unter den Opfern sind. 1982 wurde schließlich im Zuge einer parteiinternen Intrige der NDP-Mann Ekkehard Weil als Urheber der damaligen Anschläge identifiziert und schließlich abgeurteilt.

Erstes Opfer rechtsextremistischer Gewalttaten in der Zweiten Republik war der Kommunist Ernst Kirchweger, der im März 1965 bei einer Demonstration gegen den antisemitischen Hochschulprofessor Ta-ras Borodajkewicz vom einschlägig bekannten Günther Kümel erschlagen wurde.

Karel Smolle will die Tür zu einer „Volksgruppenkammer” öffnen Fotos Hopi

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