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„Briefe, die keine waren…“

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Man traut seinen Augen nicht. „Du mußt es dreimal sagen!“ möchte man mit Goethe sprechen. Da steht es schwarz auf weiß: „Packt die Juden nicht in Watte!“ So etwas hat man seit dem Ende des zu spät verstorbenen Julius Streicher nicht mehr gelesen. Heute liest man es. Und zwar in der deutschen Wochenzeitschrift „Stern“.

Der „Stern“ war bis vor relativ kurzer Zeit die größte deutschsprachige Illustrierte. Das hatte sicher auch, wenn auch ebenso sicher nicht nur, damit zu tun, daß er recht gewagte Geschichten aus der Intimsphäre brachte. Sie waren nicht immer ganz stubenrein, und von manchen war zu hören, daß die sogenannten Opfer der Schlafzimmerenthüllungen im Begriffe waren, zu klagen, es dann aber doch unterließen, weil ihnen der Verfasser mitteilte, es würde noch Schlimmeres über sie veröffentlicht werden.

Nun, dergleichen zieht immer. Aber die Leitung des „Stern“ hatte diese Masche dann satt und wollte politisch und seriös werden. Das heißt im heutigen Deutschland meist: links. Der „Stern“ wurde also links trotz (oder vielleicht wegen) der nationalsozialistischen Vergangenheit einiger seiner Leute. Nun, Linkspolitik erwies sich als weniger publikumswirksam denn Nacktphotos und Enthüllungen aus Schlafzimmern. Der „Stern“ verlor einen stattlichen Prozentsatz seiner Auflage.

Warum dann nicht Antisemitismus? Der hat doch vor relativ kurzer Zeit noch recht gut gezogen. Und links sein und Antisemit sein, ist durchaus kein unüberbrückbarer Gegensatz, das hört man täglich aus der DDR und aus der Sowjetunion. Also?

Also erscheint an prominenter

Stelle ein Artikel „Packt die Juden nicht in Watte!“ Der Autor ist — angeblich — qualifiziert, weil Jude.

Nun könnte man dem ja entgegen- stellen, daß die Juden in Deutschland (und Österreich) so lange so schlecht behandelt wurden, daß man sie ruhig ein bißchen besser behandeln dürfte. Aber wer behandelt sie denn schon besonders gut?

Die einzige Ausnahme scheint mir der Verleger Axel Springer zu sein. Er hat nicht nur einmal, er hat hundertmal erklärt, daß er es als seine Pflicht ansieht, möglichst viel zur Wiedergutmachung an den Juden beizutragen.

Robert Neumann, der sein Geld verdient, indem er für den „Stern“ schreibt oder auch für die im gleichen Verlag erscheinende „Zeit“ spricht von den Alibi-Juden Springers. Damit will er andeuten, Springer brauche ein Alibi. Er braucht es aber nicht. Feme sei es von mir, Springer als einen Mann hinzustellen, der während der Hitler-Zeit Widerstandspolitik bis zum Grade der Selbstgefährdung trieb. Aber er war im Widerstand, er hat einiges getan, und die zuständigen Stellen wissen es, und jeder, der es wissen will, kann es ohne Schwierigkeit erfahren. Und weiter? Hat Springer die Juden in Watte gepackt? Dazu wäre wohl nicht einmal er in der Lage. Er hat nur, wann immer er konnte, Juden oder Halbjuden als Redakteure oder Mitarbeiter für seine Blätter geholt. Man darf wohl fragen: Ist ihm das schlecht bekommen? Ist das den Blättern schlecht bekommen? Ist der „Spiegel“, in dessen Redaktion sich nicht ein einziger Jude befindet, so ein feines Blatt geworden durch diesen Ausschluß der Juden? Natürlich ist man beim „Spiegel“ nicht antisemitisch! Wie könnte man auch? Aber man ist nie auf die Idee verfallen, einen Juden in eine wichtige Stellung zu engagieren. Zufall?

Ich persönlich halte es für ausgeschlossen, wäre aber bereit, mich davon vor Gericht eines Besseren belehren zu lassen, daß der gute alte Neumann von sich aus auf die Idee verfallen ist, Nannen diesen Alibi- Artikel zu liefern, nach dem man nicht nur Juden nicht in Watte zu packen braucht.

Wobei der „Stern“ mit keinem Wort verkündete, der unsägliche Artikel des Herrn Neumann sei nicht spontan erfolgt, dafür druckt er später einige spontane Briefe von Persönlichkeiten ab, die der Ansicht Neumanns sind. Keiner war dagegen. Sind auch diese beistimmenden Briefe spontan geschrieben worden?

Ich gestehe, daß ich von Anfang ah ein bißchen skeptisch war. Obwohl die Briefe eigentlich gar nicht anders als spontan geschrieben werden konnten. Denn der Artikel von Neumann war in Nr. 20 erschienen, die spontan zustimmenden Briefe standen in Nr. 23. Also hatten die Briefschreiber eine gute Woche, vielleicht auch zehn Tage Zeit, um spontan zu reagieren. Oder war die Sache anders?

Ja, sie war abgekartet und noch viel bösartiger, als es auf den ersten Blick möglich erscheint. Die Herrschaften kannten nämlich den Artikel von Neumann keineswegs erst aus dem „Stern“, sie hatten ihn bereits vor Jahresfrist in der „Tribüne“ gelesen.

Und sie reagierten auch keineswegs spontan. Sondern die Stellungnahmen, die der „Stern“ abdruckte, waren im wesentlichen schon in der „Tribüne“ erschienen.

Ich weiß, daß der „Stern“ an die damaligen Schreiber herantrat und ihnen vorschlug, ihre Artikel „in gekürzter Form“ noch einmal abdruk- ken zu lassen. Es war keineswegs die Rede davon, daß diese Artikel nunmehr als Briefe an den „Stern“ fungieren sollten. Sonst hätten sie ja auch nicht bezahlt werden können.

Es erübrigt sich, zu den Briefen, die keine waren, Stellung zu nehmen. Oder doch: Zu einem möchte ich Stellung nehmen, nämlich zu der Alibi-Arbeit des Übersetzers Erich Fried, der in London weilt und von dort — aber dies ist meine ganz persönliche Ansicht — ungewöhnlich schlechte und fehlerhafte Shakespeare-Übersetzungen liefert.

Was hat Erich Fried mit der Affäre

Neumann-„Stern“ zu tun? Vor allem, daß er Jude ist, in diesem Zusammenhang also unverdächtig. Was hat er vorzubringen? Er wirft England vor, Juden und Araber gegeneinander ausgespielt zu haben. Das stimmt, das stimmte insbesondere. Es stimmt auch, daß Engländer die geheimen Bundesgenossen Hitlers waren, wenn es galt, Juden zu vernichten. Oder sagen wir, es waren die Männer des Colonial Office, also im Grunde genommen doch wohl nur eine Handvoll Missetäter, während die britische Nation unter der Führung von Churchill Hitler bekämpfte.

Sodann stellt Fried fest, in Israel gebe es eine Nachrichtensperre „fast aller Massenmedien über Folterungen politischer Gefangener in Israel, Mord an gefangenen arabischen Guerillas, über Untaten zionistischer Freischärler in den Nachbarländern usw.“.

Er fährt fort: „Wer erfährt in England oder in der Bundesrepublik von großen israelischen Zeitungen, die im Geburtenüberschuß in Israel lebender Araber die Gefahr völkischer Überfremdung sehen und dagegen Auswanderung oder Sterilisierung vorschlagen und den Juden erhöhte Zeugungspflicht predigen?“

Ich frage mich vergebens, woher Fried das weiß. Ich lese nicht nur deutsche und englische Zeitungen, die solche schrecklichen Begebenheiten also offenbar verschweigen. Ich lese auch amerikanische und französische und viele andere Zeitungen, und noch nie habe ich von solchen Folterungen oder Forderungen nach Sterilisierung von Arabern gehört.

Und wenn es nun keine Folterungen gab? Und wenn nun Fried, der nur unter Beweis gestellt hat, wie schlecht man Shakespeare verstehen kann, auch Zeitungen mißverstanden hat?

Genug, genug. Wir leben offenbar in einer Zeit der Fälschungen.

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