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Axel Springer spricht und schreibt

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Das Wichtigste an diesem Buch („Von Berlin aus gesehen“, Seewald-Verlag, Stuttgart) ist sein Autor. Man weiß ja so ungefähr, was in den letzten zehn Jahren alles über Axel Springer geschrieben und geredet worden ist. Er ist, wenn man gewissen Zeitungen und Zeitschriften, Rundfunk- und Fernsehkommentatoren glauben darf, ziemlich der übelste Bursche, der seit Menschengedenken sein Unwesen treibt. Er, und nicht etwa Hitler oder Stalin oder die Leute, die in Berlin die Mauer gebaut oder die Tschechoslowakei, Ungarn und Ostdeutschland überfallen haben; nicht die Initiatoren von Kriegen innerhalb der letzten dreißig oder vierzig Jahre. Nein, er, ein Zeitungsverleger.

Was man früher an einem Zeitungsverleger gelobt hat, nämlich daß er Erfolg hat, das wird Axel Springer übelgenommen. Denn nur so sei es ihm möglich, wie seine Feinde behaupten, Einfluß zu nehmen. Ganz abgesehen davon, daß dem nicht so ist: wer könnte wohl, von allgemeinen Richtlinien abge-

AxjcI Springer

Von Berlin aus gesehen sehen, täglich rund zehn oder wohl auch mehr Zeitungen und annähernd ebenso viele Zeitschriften beeinflussen? Aber selbst wenn — haben das Zeitungsverleger früher etwa nicht getan? Tut es der Verleger (oder Herausgeber oder Chefredakteur) des „Spiegel“, des „Stern“, des „Monde“, der „New York Times“ etwa nicht? Man fabriziert Autos, damit die Leute in ihnen fahren, Kleider, damit die Frauen sie tragen, Nahrungsmittel, damit die Leute sie essen.

Aber wie man niemanden zwingen kann, ein bestimmtes Auto, ein bestimmtes Kleid, eine bestimmte Konserve zu kaufen, so kann auch der Zeitungsverleger nicht viel mehr tun als hoffen, daß seine Ware sich verkauft. Und dann übt diese Ware eben einen gewissen Einfluß aus. Wenn die Zeitungen nicht gekauft werden, üben sie keinen Einfluß. Aber sie müssen auch keinen Einfluß haben, wenn sie gekauft werden. Axel Springer in seinem Buch: „Die .Macht des Verlegers' ist ein Mandat, das täglich gekündigt werden kann. Die .Macht' ist begrenzt vom Votum des Publikums.“

Springer hat wenige Artikel geschrieben. In dem Buch, um das es hier geht, sind wohl die meisten (seit 1966 sieben) sowie einige Briefe, Telegramme, Reden — in Berlin, in Israel, in den Vereinigten Staaten — abgedruckt. Wenn man annimmt, und das darf man wohl, daß es sich hier um den größten Teil des von ihm so oder so Publizierten handelt, dann kann man wohl sagen, daß er sich relativ selten zu Wort gemeldet hat; wesentlich seltener als die von ihm verpflichteten Redakteure und Mitarbeiter. Es ging ihm ja auch nur um Grundsätzliches. Um die Aussöhnung zwischen Deutschen und Juden, um die Ablehnung jeglicher Art von Totalitarismus und um die Verteidigung der freien sozialen Marktwirtschaft. Natürlich ging und geht es ihm immer auch um

Menschen: Politiker, mit denen er übereinstimmt, Schriftsteller oder Künstler, die er schätzt. Er läßt sich selten interviewen. Er ist nur mit Schwierigkeiten auf den Bildschirm zu bringen. Er ist von allen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens — und auch das ist er vor allem durch die ständigen Angriffe seiner Gegner geworden — der Bescheidenste, Zurückhaltendste und Konservativste. (Also nicht nur im politischen Sinn des Wortes.)

Wenn der Name Axel Springer fällt, was heute in Deutschland fast täglich, in Europa und in den Vereinigten Staaten nicht selten, ja sogar in der Sowjetunion und natürlich in Ostdeutschland sehr oft geschieht, denkt wohl die Mehrheit der Angesprochenen, daß es sich hier um einen sehr mächtigen und einen sehr reichen Mann handelt. Mächtig — nun ja, er hat das ja selbst formuliert. Seine Macht muß jeden Tag von neuem bestimmt werden. Sie ist also nichts Absolutes und schon gar nichts auf lange Sicht Vorherbestimmbares. Reich dürfte er wohl sein — warum auch nicht? Er hat sich ja wirklich alles selbst erarbeitet. Er begann nach dem zweiten Weltkrieg vom Punkt Null an. Und er hat niemals dem Erfolg zuliebe sich für etwas eingesetzt, was vielleicht populär gewesen wäre, aber ihm nicht richtig schien. Hingegen setzte er sich oft für ausgesprochen unpopuläre Ideen ein. Sein Philosemitismus — er spricht von der „Kollektivhaftung des deutschen Volkes für das, was damals im Namen Deutschlands geschah“ — kann unmöglich zu seiner Popularität beitragen. Sein Widerstand gegen eine sogenannte Entspannungspolitik, die nicht einmal das Papier wert ist, auf dem sie formuliert wurde, Entspannung oder Freundschaft mit denen, die Menschen unterdrücken, mißhandeln, wie es eben „damals“ in Deutschland geschah, ist im Augenblick auch nicht gerade populär. Die Menschen neigen ja zum Appeasement. Chamberlain hätte wissen müssen, daß ein Freundschaftsvertrag mit Hitler nicht länger Gültigkeit haben würde, als es diesem paßte. In Bonn, Paris, New York und London müßte man wissen, daß kein Vertrag mit den Sowjets länger Gültigkeit hat, als es diesen paßt; daß sie zwar immer vom Frieden reden, aber ihn zum Beispiel in Indien verhindern, und wenn sie sämtliche anderen Mitglieder des Weltsicherheitsrats niederstimmen müssen. Ein Beispiel von vielen.

Springer ist also reich, er ist vielleicht nicht allzu mächtig, aber er hat sicher Einfluß, und das alles weist darauf hin, daß er vor allem das geworden ist, was er wohl immer werden wollte: ein guter Journalist. Das übersieht man heute immer, obwohl es naheliegt. Denn wer könnte so viele so erfolgreiche Zeitungsideen innerhalb weniger Jahre haben wie einer, der das journalistische Metier versteht? Wenn man das Buch, eine Zusammenfassung seiner Artikel und Reden, liest, wird das nur bestätigt. Welche Klarheit der Formulierung! Welche Kürze, welche Prägnanz, welche Fähigkeit, immer in wenigen Sätzen auf das Entscheidende zu kommen, es zu sagen, es zu unterstreichen!

Davon hat noch nie jemand gesprochen. Vielleicht wird man es nach Lektüre dieses Buches tun. Oder vielleicht auch nicht. Denn man ist ja viel zu sehr damit beschäftigt, ihm Vorwürfe zu machen. Der Hauptvorwurf, den man ihm machen kann, ist eigentlich nichts anderes, als daß er sich nicht geändert hat. Er hat sich entschlossen, für gewisse Ideen zu kämpfen und gegen gewisse Ideen und Zustände, und er tut es. „Es geht in diesem Buch nicht um mich, sondern um das, was ich als meine Aufgabe erkenne.“ Und diese Aufgabe hat sich, und das darf man ihm glauben, nicht geändert. Und somit hat sich auch sein Kampf nicht geändert.

Andere, die meisten anderen, finden sich mit dem oder jenem ab, weil es doch nun einmal so sei. Das hat man zu Hitlers Zeiten getan, zu Stalins Zeiten — heute weiß man, was dabei herausgekommen ist. Springer: „Man sagt mir, ich leugnete ... Realitäten. Das ist nicht wahr, denn wenn ich sie anfechte, kann ich sie nicht leugnen. Ich sehe sie schärfer als jene, die sich ihnen beugen ...“

Weil er die Realitäten klar sieht, als mehr oder weniger zufällige Entwicklungen, besser: Phasen von Entwicklungen, die morgen überholt sein können, sieht er klarer als die meisten von uns, daß es sehr bald einmal ganz anders kommen kann. Seine Gegner, wenn sie milde aufgelegt sind, werfen ihm vor, er sei ein Träumer. Springer zitiert Jean Paul: „Ohne politische Träume stürbe jeder Staatskörper; wer nichts will als Gegenwart, wäre gewiß nicht ihr Schöpfer geworden.“ Und Theodor Herzl: „Wenn ihr es wollt, ist es kein Märchen.“

Immer wieder rechnet Springer mit denen ab, die jeden Tag von neuem behaupten, man müsse sich „abfinden“. Er findet sich mit nichts ab, er hält nichts für endgültig: „Vergessen oder verdrängt sind die Erfahrungen nach dem Ende des zweiten Weltkrieges, vergessen sind Ungarn und Polen 1956 und die Tschechoslowakei 1968“, stellt er besorgt, aber keineswegs verzweifelt fest. Und er verspricht: „Wir werden weiter wachen müssen.“

Kein Zweifel, daß er es ernst meint. Und ein Glück für seine Zeitgenossen, wenn auch viele es für ein Unglück halten, seine Zeitgenossen zu sein.

Die Zeitungen von gestern, die Reden von gestern — sie sind schnell vergessen. Ein Buch wird gelesen oder nicht gelesen, aber es existiert über den Tag hinaus. Man kann noch nach Jahren feststellen: Das hat also Axel Springer dann oder dann gesagt. Es ist In unserer vergeßlichen Zeit so wichtig, die Dinge auszusprechen, immer wieder zu sagen, daß man es immer wieder gesagt hat. Dies scheint mir der besondere Wert dieses Buches zu sein, das lange über den Tag hinaus, ja, ich wage zu prophezeien: lange über unsere Zeit hinaus seine Bedeutung haben wird.

VON BERLIN AUS GESEHEN: Zeugnisse eines engagierten Deutschen. Von Axel Spring er. Nachwort von Karl Theodor Freiherr von und zu Guttenberg. Seewald-Verlag, Stuttgart. 300 Seiten. 66 Abbildungen.

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