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„Die Mitglieder der Bundesregierung werden dort, wo sich die Möglichkeit bietet, den Vertretern der jungen Generation unseres Landes ein hohes Maß an Mitbestimmungs- und Mitspracherecht einräumen“, stellte Bundeskanzler Dr. Kreisky als Erklärung seiner Aussprache mit Vertretern der österreichischen Jugend voran, zu der er am 27. Mai eingeladen hatte.

Diese Aussprache hatte jedoch einen Schönheitsfehler, der gleich zu Beginn der Veranstaltung zutage kam: War in der ersten Ankündigung von einer „Aussprache“ die Rede, so deutete die kurz vorher ausgesandte Tagesordnung einen völlig anderen Charakter der Kontaktnahme Regierung—Jugend an. In deren Ablauf war nämlich ein Referat des Frankfurter APO-Theoretikers Dr. Negt zum Thema „Die Rolle der Jugend und der Intelligenz für die Demokratisierung“ vorgesehen. Ganz bestimmt wies der MKV darauf hin, daß Negts Ausführungen sicherlich sehr interessant sein würden, daß aber die Probleme der österreichischen Jugend die Priorität genießen sollten. Und zum zweiten mußte der Regierungschef zugestehen, daß er bei der Einladung nicht auf die Gegebenheiten in der Jugendarbeit Rücksicht genommen habe: Wollte er nämlich mit den Jungen — und nicht mit den „Berufsjugendlichen“ — diskutieren, so könne er nicht zu einer Wochen tagsstun de einladen. Denn dadurch werde der Jugendvertreter angehalten, entweder Arbeitsoder Studienzeit zu versäumen, oder auf die Aussprache mit der Bundesregierung zu verzichten. Der Versuch, die Tagesordnung auf den Kopf zu stellen und Negts Referat abzusetzen, wurde schließlich damit beantwortet, daß man die Worte des bundesdeutschen „Genossen“ — wie Negt von einem Diskutanten bezeichnet wurde — „als längeren Diskussionsbeitrag betrachten möge“. Kaum hatte Negt seine „Vorlesung“ beendet, als ein Fragenhagel auf Kreisky und seine Regierungskollegen einsetzte. Erstaunlich war die Wortmeldung einer Vertreterin der sozialistischen „Kinderfreunde“, die sich gegen die generelle Freistellung von Lehrern vom Präsenzdienst aussprach. Andere sozialistische Funktionäre hatten anschließend reichliche Mühe, diese Panne vergessen zu machen. Einen harten Brocken setzte „Forum“-Redakteur Oberschlick Kreisky und Freihsler vor, indem er Gerüchte entkräftet wissen wollte, die besagten, daß es sozialistischen Publizisten untersagt sei, das Volksbegehren auf Abschaffung des Bundesheeres in „einigen“ Presseorganen zu erwähnen. Kreisky („kann mir das nicht vorstellen“) konterte, daß er alle Chefredakteure sozialistischer Publikationen befragen werde und daß — sollte sich der Vorwurf bewahrheiten —. die Konsequenzen nicht ausbleiben würden. Praders „Maulkorb“-Erlaß — Präsenzdiener dürfen sich nicht an der Diskussion über das Bundesheer beteiligen — soll sofort vom Verfassungsdienst überprüft werden — obwohl Freihsler versichert hat, „daß innerhalb meines Ressorts dieselbe Haltung (wie unter Prader) eingenommen wird“.

Den umfangreichsten „Wunschzettel“ deponierte der MKV bei Kreisky. Nicht weniger als achtzehn Punkte umfaßte der Forderungskatalog, und Kreisky sicherte glattweg die Erfüllung und Behandlung von zwölf Punkten zu.

Zweimal nur zog Kreisky im Rahmen der „Aussprache“ den Kürzeren: Zum Antrag, Spenden für Jugendorganisationen steuerfrei zu erklären, sprach sich der Bundeskanzler als „grundsätzlich dagegen“ aus. Nun hatte aber Kreisky am 16. Oktober 1968 in einem Interview mit der MKV-Zeitschrift „couleur“ erklärt, „ich persönlich befürworte eine solche Förderung der Jugendorganisationen“. Zur Rede gestellt, welche Umstände hinter diesem Meinungsumschwung stehen, bemerkte Kreisky: „Ich habe mich geirrt.“ Und in diesem Zusammenhang wies er darauf hin, er habe sich „in einem Gespräch mit dem Finanzminister überzeugen lassen, daß vieles nicht möglich ist“.

Auch die Forderung nach Schaffung einer Verbändekammer im Rahmen einer Demokratiereform lehnte Kreisky entschieden ab und bezeichnete den Vorschlag als „Rückfall in den Ständestaat“. Dabei steht nun freilich der Kanzler Dr. Kreisky im Widerspruch zum SPÖ-Vorsitzenden Dr. Kreisky des Jahres 1969. Zu diesem Thema erklärte er nämlich im Buch „Demokratiereform“ (Paul-Zsolnay-Verlag, 1969; Herausgeber: K. H. Ritschel): „Solche Zusammenfassungen von Berufs- und Interes-sensverbänden sind nur dann gefährlich und abzulehnen, wenn sie an die Stelle parlamentarischer Einrichtungen gesetzt werden... Wenn man dem Zusammenwirken der Verbände eine ratgebende Funktion zubilligt, bestimmte Vorentscheidungen überträgt... so besteht die Gefahr nicht mehr.“

„Von ganz links“ wurde an Kreisky die Frage gerichtet, wann es denn endlich „öffentlich finanzierte Kommunewohnungen“ geben werde.Kreisky zog sich geschickt aus der Affäre und erklärte, „es wäre denkbar, daß man für Jugendliche Wohnungen mit bestimmten Gemeinschaftseinrichtungen schaffen könnte“ — allerdings verstand er unter „bestimmten Gemeinschaftseinrichtungen“ nur gemeinsame Fernsehräume und Kühlschränke, was wiederum den langhaarigen Fragesteller resignieren ließ. Vielleicht war es überhaupt das Merkmal dieser ersten Zusammenkunft der Mitglieder der Bundesregierung mit Vertretern der Jugend, daß zwar eine Vielzahl von Themen angeschnitten wurden, Antworten jedoch nur ausweichend gegeben wurden. Kreisky parierte wohlwollend und elastisch und konnte die jugendlichen Diskutanten jederzeit im Zaum halten. Die Jugend ließ die sonst von ihr gepriesene Härte in der Diskussion vermissen und erklärte damit Kreisky zum Punktesieger der Aussprache.

Da aber die letzte entscheidende Konfrontation ausblieb, einigte man sich, das nächste Mal gegen Ende Juni und später wieder im September zusammenzutreffen. Das Juni-Gespräch ist der Schulreform gewidmet, und zu Herbstbeginn soll das Bundesheer diskutiert werden. Daß Dr. Kreisky allen diesen Wünschen — also auch den Terminen — aufgeschlossen gegenübersteht, unterstreicht das Urteil, welches die Jugendvertreter nach der Aussprache am 27. Mai gefällt haben: „Diesem Kreisky ist schwer beizukommen.“

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