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Digital In Arbeit

Gibt es in der SPÖ auch Österreicher?

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„In dieser Zeit gab es 470.000 registrierte Arbeitslose. Wir wußten, daß es in Wirklichkeit 600.000 gewesen sind; dabei standen damals höchstens 1,7 Millionen Menschen in Arbeit, während es heute mehr als 2,7 Millionen sind... Daran läßt sich der große Unterschied des Österreichs der Ersten und der Zweiten Republik ermessen.“

Ein brummiger Kanzler - brummig ist er immer, wenn ihn etwas besonders ärgert oder wenn er sehr eindringlich wirken möchte - servierte am 7. März im Floridsdorfer Haus der Begegnung eine Stunde Zeitgeschichte. Kreisky wurde dem Wörtchen „Vergangenheitsbewältigung“ streckenweise mehr als gerecht: Dann nämlich, wenn man Vergangenheitsbewältigung so versteht, daß man damit der Vergangenheit Gewalt antun muß ...

Rhetorisch brilliant vorgetragen, aber dennoch am Rande politischer Fairneß war Kreiskys Passage über die in den dreißiger Jahren durch Nazis unterwanderte Schwerindustrie: „Das zweite Zentrum des Faschismus in

Österreich war also das größte Unternehmen der Schwerindustrie in Österreich. Und so ist nur zu verständlich, warum wir für die Verstaatlichung der Schwerindustrie gewesen sind, nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen, sondern aus politischen Gründen. Denn dort, wo die Schwerindustrie nicht verstaatlicht ist, ist sie das geballte Machtzentrum des Konservativismus.“

Noch viel problematischer und auch symptomatischer für den Umstand, daß die Sozialisten nur einen bestimmen Teil der Geschichte rezipieren möchten, war auch die Art und Weise, wie Kreisky über den politischen Gegner der Ersten Republik sprach: Grundsätzlich war vom „Regime“, vom „damaligen System“ und von den „Anderen“ die Rede. Seipel und Schuschnigg, die bösen Kapuzenmänner der österreichischen Zeitgeschichte. Nein: Es ist schon wirklich ein Kunststück, ein starkes Kunststück, eine Stunde über die Erste Republik zu referieren, ohne nur einmal das Wort „die Christlichsozialen“ oder die „Christlich-Soziale Partei“ in den

Mund zu nehmen. Gewissermaßen das Punkterl auf dem „i“ waren die Kreis-ky-Worte zum Thema Juden: „Mehr noch als die österreichischen Juden haben die Österreicher ihren Blutzoll bezahlen müssen.“ Damit hat der Kanzler sicherlich Applaus von jener Seite geerntet, der die Feier am wenigsten gegolten hat...

Bei einer nüchternen Analyse all der Feierlichkeiten und Aktionen; die es heuer zum Thema Anschluß gab, sollte es eigentlich nachdenklich stimmen, daß einzig die Sozialistische Partei bewußt auf Zeitgeschichte „macht“. Weil sie eben erkannt hat, welche Investition auf die Zukunft es bedeuten kann, wenn die jungen Leute die „richtigen“ Lehren gelehrt bekommen.

Daß der Volkspartei, die sich so viele Jahre für den Staat selbst gehalten hat, zum Thema Anschluß nichts Besonderes einfällt, ist noch viel bedenklicher: Während in Floridsdorf rund 2000 großteils junge Leute den Worten des Vorsitzenden lauschten, scharten sich in der Politischen Akademie der ÖVP etwa 120 Unentwegte um Erika Wein-zierl (die übrigens einen hochinteressanten Vortrag hielt) und Alfred Maleta, der im Plauderton persönlich Erlebtes darbot. Während in Floridsdorf zum Schluß der Veranstaltung 2000 Sozialisten sich von den Sitzen erhoben, um die Internationale und das Lied der Arbeit zu singen (hätten sie wenigstens noch zusätzlich die Bundeshymne gespielt, hätte man gesagt, die österreichischen Sozialisten seien in erster und zweiter Linie Sozialisten und wenigstens in dritter Linie Österreicher, so aber sind sie eben österreichische Sozialisten und keine sozialistischen Österreicher...), traf man sich in der Politischen Akademie der ÖVP anschließend zu Brötchen und Wein. Es lebe der kleine Unterschied!

Zum März 1938 hatte die SPÖ wahrlich so Manches zu bieten: Das Renner-Institut hielt eine Vortragsreihe ab, gab zwei Broschüren heraus, die Freiheitskämpfer hielten eine Veranstaltung ab und brachten auch eine Fibel heraus („Der Austrofaschismus -Wegbereiter der Nazibarbarei“, steht darin zu lesen), die KZ-Verbände trafen sich, Jungsozialisten marschierten, stellten aus, andere schrieben in der „Zukunft“, während das theoretische Magazin der ÖVP nicht eine Zeile zum nämlichen Thema bringt...

Das momentan an allen Wänden affi-chierte Plakat (siehe Büd oben) zeigt, in welch unverfrorener Art die SPÖ Österreichs Zeitgeschichte in eine Zeitgeschichte des Sozialismus umdeuten will. Spätere Generationen werden vielleicht überliefert bekommen, daß unter einer sozialistischen Regierung der Stephansdom gebaut, die Sängerknaben aufgestellt und die Hofreitschule gegründet wurden. Ob das dem Konsens in den Grundwerten, wie er dieser Tage wiederholt beschworen wurde, besonders zuträglich ist, ist eine heikle Frage.

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