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„Der Alte ist tot

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Oft hat Bruno Kreisky Edouard Herriot zitiert: „On ne stabüiseunedemocratie que par le mouvement." Die Demokratie kann nur gefestigt werden, indem man sie in Be- wegung hält. - Kreisky hat sie in Bewegung gehalten.

Eine der herausragenden Persönlichkeiten der Zweiten Republik und der europäischen Sozialdemokratie, ein bemüh- ter Vermittler in der Weltpoli- tik ist tot. Bruno Kreisky, von vielen geschätzt, manchmal un- ter-, dann überschätzt, hat in 13 Jahren als Kanzler und in 16 Jahren als SPÖ-Vorsitzender Republik und Partei bewegt. Und geprägt. Auch indem er die Politik - Stichwort: „Jour- nalistenkanzler" - öffentlich gemacht und mit der veröff ent- lichten Meinung Politik ge- macht hat. Kreisky war Sozia- list, ein überzeugter sogar, und ist es - „Je älter ich werde, desto linker werde ich" - ge- blieben. Ohne seine Grundsät- ze zu verraten, hat er die SPÖ geöffnet und sie zur tonange- benden politischen Kraft ge- macht. Macht war für ihn Ver- mögen, seine persönliche Inte- grität ließ ihm die Versuchun- gen, denen Umgebung und Partei ausgesetzt waren, nicht vorstellbar erscheinen.

Kreisky war Agnostiker, eine transzendente Dimension war seinem innerweltlichen Huma- nismus fremd. Gegen Wider- stände in der SPÖ hat er der Versöhnung von Sozialdemo- kratie und Kirche den Weg be- reitet. Auch wenn mit der Fri- stenregelung eine Wunde bleibt, war er der Kirche ein offener und entgegenkommen- der Gesprächspartner.

Kreisky war auch Real- politiker, trotzdem oft - rebus sie stantibus - unberechenbar und widersprüchlich. Die Zeit hat ihn wie er die Zeit geprägt. Es war auch die Hochzeit der Expertokratie, die mit ihm bei der Zwentendorf-Volksab- stimmung unterlegen ist.

Kreisky war Weichensteller und Tabuvernichter. Er hat die FPÖ aufgewertet und 1983 noch die kleine Koalition ein- gefädelt, um die ÖVP - deren Spaltung er strategisch verfolgt hat - von der Regierung fern- zuhalten. Dennoch war er ein Mann der Zusammenarbeit, der seiner Politik sozialpart- nerschaftlichen Rückhalt ge- sichert hat.

Kreisky war ein Weltbürger, betroffen von Ungerechtigkeit und Unrecht in der Um-Welt. Motor auch des Nord-*Süd-Dia- logs, bewußtseinsbildend, ob- wohl Österreichs Entwick- lungshilfe mit diesem Engage- ment nicht Schritt gehalten hat.

Bruno Kreisky war eine Au- torität, war respektgebietend „der Alte", der Brücken zwi- schen den Zeiten geschlagen hat. Visionär und irrend, lei- denschaftlich und gouvernan- tenhaft, tolerant und abkan- zelnd, triumphierend und ver- wundbar. Ein Denkmal zu Leb- zeiten ist gestorben.

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