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Restauration des Absolutismus?
Die Regierungsbank erbebte von sittlicher Entrüstung, nachdem ein Abgeordneter der Opposition ein von Kreisky schon lange zuvor ins Spiel gebrachtes Wort wieder aufgriff: Schiebung. Zwar hatte der Bundeskanzler, der sich jetzt beleidigt fühlte, vor gar nicht sehr vielen Monaten in einer vergleichbaren Situation geäußert, in der Politik stünden eben andere Ehrbegriffe in Geltung als im Privatleben; und jetzt erst wieder hat er versichert: „Jeder harte Angriff ist mir recht“, und jede „noch so harte Kritik“ sei ihm ein „Anlaß zum Nachdenken“. Das steht zwar in eklatantem Widerspruch zu der bekannten Tatsache, daß Kreisky, seit er Kanzler ist, die Journalisten mit Hagiographen verwechselt, aber die Babylonische Sprachverwirrung des Sozialismus macht halt auch vor den ganz großen Staatsmännern nicht halt. Und schon unter diesem Aspekt war die ganze Debatte um die UNO-City ein Schmierentheater, denn eine Regierung mit weißer Weste hätte spätestens nach den kritischen Presseberichten im Frühjahr 1972 die Befassung des Rechnunghofes beantragen können und müssen; und wenn die Regierung tatsächlich korrekt gehandelt hat, dann war die Debatte nicht bloßes Theater, sondern — das Wort im populären Verstände gebraucht — Schiebung. Kreisky, in praktisch jedem Ressort am Ende seiner Regierungskunst, hat offenbar jetzt, vor den Parlamentsferien, eine Show gebraucht, um das bereits mit den Füßen scharrende zahlende Publikum von seiner jüngsten Rekordleistung abzulenken: der Inflationsrate von 6,4 Prozent. (Der seinerzeit von den Sozialisten als Preistreiber verteufelte Klaus hat es nur auf durchschnittlich etwa dreieinhalb Prozent gebracht.)
Jedenfalls: Kreisky sowie Kirchschläger und Moser waren beleidigt, und sogar Androsch bot, wiewohl gar nicht betroffen, seine erbarmungswürdigste Märtyrermiene feil, und das alles nur, weil diese Regierung keine Lust mehr hat, die Volksvertreter rechtzeitig, hinlänglich und wahrheitsgetreu zu informieren, und noch weniger Lust, sich von der Volksvertretung kontrollieren und kritisieren zu lassen. Diese Regierung hält die Freiheit für teilbar. Dazu sagt Johann Gottfried Seume, wahrhaftig kein Reaktionär, vor mehr als anderthalb Jahrhunderten: „Wo Freiheit ist, kann man seine Meinung über einen öffentlichen Mann nie zu früh äußern; man läuft leicht Gefahr, zu spät zu kommen. Tut man ihm durch falschen Argwohn Unrecht, desto besser für ihn und das Vaterland! Wenn er sich für beleidigt hält, hat man ihm nicht ganz Unrecht getan.“
Es stimmt wohl, daß die Volkspartei noch nicht gelernt hat, in dem System der parlamentarischen Demokratie die Rolle der Opposition mit optimalem Effekt zu spielen. Doch eben so sicher ist — das weiß man seit diesen ersten Julitagen —, daß die Sozialisten oder, um niemandem unrecht zu tun: die Kreisky-So-zialisten noch nicht gelernt haben, in diesem System zu regieren, und zwar so zu regieren, daß dieses System keinen Schaden nimmt.
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