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NICHT MEHR AN DEN LEHRERN VORBEI

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Das Bemuhen, „von oben” neue allgemeine Schulmodelle zu verordnen, war teuer, politisch umstritten und letztlich zum Scheitern verurteilt. Heute sucht man in der Schulentwicklung fiir den jeweiligen Standort und die dortigen Schuler, Eltern und Lehrer adaquate Ldsungen.

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Das Bemuhen, „von oben” neue allgemeine Schulmodelle zu verordnen, war teuer, politisch umstritten und letztlich zum Scheitern verurteilt. Heute sucht man in der Schulentwicklung fiir den jeweiligen Standort und die dortigen Schuler, Eltern und Lehrer adaquate Ldsungen.

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„Die Schulversuche in Osterreich waren ein Zeichen der Schwache der politischen Entscheidung”, meint der Wiener Padagogik-Ordinarius Marian Heitger, einer der heftigsten Kritiker der Vielzahl von Schulversuchen. Er bezieht sich dabei vor allem auf die Bestrebungen in den siebziger Jahren, die Ganztagsschule und die inte-grierte Gesamtschule der Zehn- bis Vierzehnjahrigen einzufiihren. Da fiir diese Schulformen nicht die erforder-liche politische Mehrheit zu bekommen war, sei man auBerhalb des Regelschulwesens den Weg von Schulversuchen gegangen, um den Beweis fiir den Wert dieser Modelle zu erbringen. Das sei ein „Auswei-chen vor einer wirklichen Diskussion der Probleme der Schule von heute” gewesen. Heitger ist nicht der einzi-ge, den die Ergebnisse mancher politisch motivierter Schulversuche - die unter auBerordentlich giinstigen Be-dingungen (mehr und besser bezahl-tes Lehrpersonal) abliefen - nicht iiberzeugt haben.

Das Feld der Schulversuche ist aber weit und sicher differenziert zu be-trachten. Grundsatzlich sind Schulversuche befristet und sollen dann ins Regelschulwesen ubernommen werden oder auslaufen. Mitunter werden sie aber auch verlangert, weil kein politischer Konsens herzustellen ist. Einen Gesamtuberblick vermag auch das Unterrichtsministerium nicht zu liefern, aber iiber Teilbereiche liegt eine Fiille von Literatur vor. Feder-fiihrend ist dabei das 1971 im Zuge der vierten SchOG-Novelle gegriin-dete „Zentrum fiir Schulversuche und Schulentwicklung”, das derzeit drei Abteilungen (zwei davon in Graz) umfaBt.

Dieter Antoni, Leiter der in Kla-genfurt ansassigen Abteilung I, die sich der Planung, Koordination und

Begleitung von Schulversuchen wid-met, weist darauf hin, daB sich die „Philosophie” der Schulversuche geandert habe. Die Einfiihrung neuer Schulmodelle „von oben” habe nur in Teilen funktioniert, heute sei klar: ..Schulentwicklung kann man nicht an den Lehrern vorbei machen.” Das Modell der Autonomic - in deren Rahmen Schulen ein eigenes Profil entwickeln konnen, indem sie etwa eine bestimmte Zahl von Stunden zur Setzung bestimmter Schwerpunkte verwenden diirfen - komme den mo-dernen Vorstellungen von Schulentwicklung sehr entgegen. Man diirfe aber die Schulen nicht allein lassen, sondern miisse ihnen in Form von Supervision Begleitung und Beratung anbieten.

Versuche konnen scheitern

Antoni sieht sich als Schulrefor-mer, fiir den es „gar nicht genug Schulversuche geben kann”. DaB Schulversuche fehlschlagen konnen, raumt er ein und nennt als Beispiele die Lei-stungsgruppen am Ende der Grund-schule und den Polytechnischen Lehrgang. „Die Moglichkeit des Schei-terns ist immer drinnen”, sagt er, ist sich aber sicher, daB die Arbeit nicht umsonst war und die Absolventen solcher Versuche nicht als „gescha-digte Versuchskaninchen” anzusehen sind.

Die von Giinther Grogger geleitete Abteilung II ist mit der Auswertung von ausgewahlten Schulversuchen befaBt. Dazu gehoren die „Neue Mit-telschule” in Wien und Graz (ohne jede Leistungsdifferenzierung, meist zwei Lehrer - sowohl von AHS als auch Hauptschule - gemeinsam im Unterricht, Fachbereiche statt Facher) oder die derzeit noch sechsjahrige „Realschule” in Graz, die mit der (in Deutschland iiblichen) „mittleren Reife” abgeschlossen wird. Mit dem laufenden Schuljahr als Versuch prak-tisch zu Ende, aber politisch noch nicht in das Regelschulwesen ubernommen, ist die Integration behin-derter Kinder - zunachst in der Grund-schule. Hier gibt es - trotz weitgehend positiver Ergebnisse der Versuche -nicht nur Bedenken seitens etlicher Betroffener, sondern auch finanzielle

Barrieren.

Mit Jahresbeginn 1993 hat Grog-gers Abteilung einen Bericht iiber „Erfahrungen mit Unterrichtsmodu-len” vorgelegt: „Analysen und neue Entwicklungsansatze zum schiiler-orientierten Unterricht”. Hier geht es weniger um herkommliche Schulversuche, sondern um als „Module” be-zeichnete „Komponenten der Unter-richtsgestaltung”. Beispiele dafiir sind „kooperativ forschendes Lernen” (etwa iiber Riistung und Friedensbe-wegung oder iiber die Stellung der Frau in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft), der „Umgang mit Kor-troversen”, Cooperatives Verarbei-ten” oder Rechtschreibtraining.

Alle Abteilungen, so wird betont, agieren in standigem undengem Kon-takt mit Praktikern in alien Bundes-landern. Das gilt auch fiir die erst mit November 1992 geschaffene Abteilung III, geleitet von Dagmar Heind-ler. Sie befaBt sich speziell mit Kon-zepten fiir den Fremdsprachenunter-richt, einen Bereich, in dem in den letzten Jahren sehr viel in Bewegung gekommen ist.

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