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Das Urteil einer Frau

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Frauen sind ciie geborenen Menschenkenner. Wenn Männer zusammen sind, unterhalten sie sich über Ding e; wenn Frauen zusammen sind, unterhq|(en sie sich über Menschen: über Frauen, Kinder, Dienstboten und vor allem über Männer — das ist der berühmte „Tratsch“. So zieht sich neben dem Wissensstrom der von Männern geschaffenen Psychologie ein elementarer Unierstrom der praktischen weiblichen Psychologie i— die nicht mit Buchhille erlernt wird, wo jede von neuem anlangt und dennoch den Mann au dem Felde schlägt. Jede Frau studier) ihren Mann, um ihn besser ?y lieben oder ihn besser zu beherrschen. Entweder sie setzt ihre Liebe ein, dann ist es eine schöpferische Erkenntnis, oder sie setzt seine Liebe ein — in die Rechnung. Liebe ist blind, aber auch hellsichtig; sie hat jene höchste Kraft der Erkenntnis, die betrachtend hervorbringt. Der Außenstehende zuckt die Achseln: „So ein trunkenes Paar Liebesseelen verfehlt das Ziel wie zwei Berauschte, die einander nach Haus führen wollen.“ Ihm scheint, als projizierten die zwei einander ihre Idealbilder auf den Leib, und so sieht er die Ehe

Qi5 illysionsreybende Entsehleierungsanstglt- Aber in Wirklichkeit täuscht er, der Aufjen= stehende, sieh — jedenfalls solange die beiden einander lieben, Benn unveränderlich derselbe sein und sich zugleich doch verändern, ist im Grunde eine und heifjt überhaupt erst Perspn sein. -t

Wenn nun zwei einander heben (wobei sich im vollkommensten Falle Persönlichkeits^ liebe und Goltungshebe völlig durchdringen), sp will nicht nur jeder Teil sich um Wahren, Guten und Schönen verändern, sondern es gelingt ihnen auch; dieser neue Mensch, der sich in der Liebe verwirklicht, ist genau sp real wie später das Kind, das sein Symbol isfl Und dieser neue Mensch stirbt in dem Augenblick, wo die beiden sieh nicht mehr auf der Hohe der Liebe halten können — wo sie einander nicht mehr schöpferisch erkennen. Bonn erst beginnt die wahre Täuschung. „Sich keine Illusionen mehr machen:

fq beginnen sie erst!“ hat Karl KRAUS diesen Zustand großartig charakterisiert. In der iebe sind wir am wirklichsten.

Nach höher qber, und fast die höchste Erkenntnis, die zwischen Mensch und Mensch möglich, ist jene, mit der die Mutier ihr Kind umfängt. Lassen wir die Affenliebe beiseite — meistens erkennt die Mutter mit geradezu dichterischer Heüsichligkeit alle, auch die kleinsten Fehler ihres Kindesl Aber weil sie den gans kleinen Menschen liebt, ist dieses Fehlerversfehen von höchster Gerechtigkeit. Dia Frau sieht immer doppell; ihre Unbefangenheit sind Gegensätze, keine Widersprüche. Sie sieht auch in dem jugendlichen Ggiien immer zugleich den Greis („mein Aller!“) und in ihrem Kinde, und sei's queh sechzig Jahre elf, immer noch das Kind („mein Jungel“). Pqs heißt, sie lühll sich immer als Mitte, als den Uebergpng vom Absterbenden um Neugeborenen, Sie sieht alle Fehler ihres Kindes, weil sie queh qll dessen gute Möglichkeiten erkennt. Und erschütternd tönt inr Geschrei im Gerichtssqql: „Mein Kind ist nicht sehlecht!...“ Denn nur wer Menschen macht, erkennt queh Menschen. Alles in dem Kinde stammt von ihr — außer der Person. Darum hat sie das feinste Gefühl für Persönlichkeit. Aber nach und dank der schöpferischen Erkenntnis kommt die mechqnische der lernenden Erfahrung, welche nicht lieben, sondern herrschen will. Keineswegs studiert die Frau den Mann absichtsvoll, sondern sie, die impressionabie, kann einfach nicht anders als ihn beobachten und jede Beobachtung bewahren und anwenden. Was der Mann aehseUuckend „Weiberlaunen nennt, ist oii nichts anderes als ein elementares, instinktives Herumexperimentieren, das mit angehaltenem Atem die verschiedenen männlichen Reaktionen prüft. Und der Zweck dieser Uebung gsh| dahin, die Situation zu beherrschen. Das ist der Punkt, vpn dem aus die Männer den Frauen dumm erscheinen, weil jene dieses ständige Beobachtetwerden gqr nicht bemerken- Denn instinktiv studiert der Mann nicht die Frqu, sondern die Well, wiewohl er, liebend, immer an die Frau denkt: „Ich habe keinen anderen Gedanken als dich, und darum immer neue,“ Entweder liebt er sie blind, das heißt, als Bild, oder er juckt die Achseln; „Kennt einer die Frauen... I“ oder er braucht Gewalt. Der Mann, der die Frau ebense instinktiv beobachtet, wie sie ihn (der Koch, der eben doch noch besser kocht als die Köchin), ist der sogenannte homme ä femme, was nicht unbedingt eine körperliche, sondern eine seelische, fast künstlerische Qualität bedeutet. Und sie ist mit ihm im Einverständnis, weil er die Frau, die sich gern überwinden läßt, mit ihren eigenen Mitteln schlägt.

Der Mann wählt eine Partei. Dqs ist sein Wqhlrecht. Die Frau wählt den Mqnn. Das ist das ihre. Was im Tierreich und auch noch im Märchen stattfindet; daß das Femininum den Sieger im Rivalifätskqmpfe wählt — das wendet sich nun zu einem Urteil der Frau selber. Männer beurteilen und ihr Urleil sprechen ist die entscheidendste, die höchste Fähigkeit der Frqu. Sie spricht ihr Urteil und dqmit sich selbst das ihre.

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