6646143-1958_24_26.jpg
Digital In Arbeit

Die Brüderlichkeit der Frommen

Werbung
Werbung
Werbung

DARF BEZWEIFELT WERDEN, daß bei ms Frommen eine herzliche Brüderlichkeit herrscht? Nein; es ist nämlich sicher, daß sie nicht allenthalben vorhanden ist. Und- dieses mißfarbene Stück der religiösen Wirklichkeit drängt sich leider sehr ins Blickfeld. Von den Christen wurde zwar einmal gesagt: Seht, wie sie ein' ander lieben!' Vielleicht kam aber diese Meinung durch den Gegensatz zur heidnischen Umwelt zustande: dort ging (und geht) es ja noch gefährlicher zu. Im Evangelium lesen wir von Rangstreitigkeiten unter den Aposteln, und dies sogar beim Letzten Abendmahl. Aber nach der Herabkunft des Heiligen Geistes waren doch alle ein Herz und eine Seele, wie die Apostelgeschichte (4, 32) nicht ohne Nachdruck bezeugt? Sicher, aber das hielt anscheinend nur eineinhalb Kapitel an, denn wir lesen bereits am Anfang des 6. Kapitels, daß die Heidenchristen ihre Unzufriedenheit mit den Judenchristen äußerten. Beide Gruppen standen auch weiterhin recht gegnerisch einander gegenüber. Auf der zweiten Missionsreise des heiligen Paulus kam es zwischen ihm und dem heiligen Barnabas wegen des heiligen Markus zu einer Meinungsverschiedenheit, so daß sie sich voneinander trennten (Ap. 15, 37). Ich habe noch kein Andachtsbild gesehen, das diesen Vorfall darstellt, doch wird er als lebendes Bild gelegentlich gern aufgeführt. An die Korinther schreibt der heilige Paulus, er habe-igehört, daß es unter ihnen Streitigkeiten gäbe' (1 .Kor, 1, 10). Und ganz offenherzig erzählt er im Galater-brief 2, 11, daß er dem Kephas Aug in Aug entgegentrat, weil er schuldig war, und daß er offen vor allen mit ihm redete (2, 14). Bei der Gemütsart des feurigen Apostels mag diese offene Aussprache sehr offen gewesen sein. *

ES'SCHEINT, daß die Brüderlichkeit unter den Frommen eher ein zu erreichendes Ziel ist als ein erreichtes, eher eine Aufgabe als eine Gabe. Man kann es verstehen. Je reifer ein Christ wird, um so mehr wird er zur Persönlichkeit mit eigenem Gepräge. Jeden führt Gott einen besonderen Weg, jedem läßt er sein persönliches Ziel besonders klar aufleuchten. Dadurch treten die Ziele der anderen naturgemäß etwas zurück.

Je persönlicher ein Mensch wird, um so einsamer wird er auch, denn mit wachsender Reife denkt er mehr mit seinem eigenen Hirn und nickt mit dem allgemeinen, jugendliche neigen eher zu einer Verbrüderung: sie sind mehr Naturwesen, die Natur ist aber mehr oder weniger bei allen gleich. Sie sind sozusagen Wiese und Wald, während der persönlich geformte Mensch eine Stadt ist. Wiesen gehen unmerkbar ineinander über, sie haben alle den gleichen Lebensstil, Städte sind eigenartig und begrenzt, md wenn sie dies betonen, werden sie beschränkt. Es ist ja begreiflich. Da haben wir uns bemüht, zu einer Linie zu kommen. Was gefährlicher ist: es ist uns eine selbst eingefallen, die Erleuchtung kam einmal über uns. Wir fühlen uns verpflichtet, dieser Linie zu folgen, und tun es. auch, mit einigen Ab-' weichungen freilich, denn schließlich sind wir Menschen, aber auch unter einigen Opfern. Mehr und mehr erstarren wir (Verzeihung, ein Schreibfehler: „erstarken wir“ muß es natürlich heißen), unsere Linie erscheint uns immer wertvoller, einmal, weil es unsere ist, und dann, weil wir weder Zeit noch Lust haben, uns mit anderen Linien eingehender zu beschäftigen, ja, und auf einmal sind wir linientreue Fromme. Wenn aber ein anderer Frommer mit einer anderen Linie auftaucht, so kann es vorkommen, daß wir ihn mißgünstig betrachten, sogar dann, wenn seine Linie auch zu Gott führt und die Kirche es bestätigt hat. In einem solchen Fall fragte der heilige Paulus die Korinther: „Ist denn Christus geteilt? Ist etwa Paulus für euch gekreuzigt worden? Oder seid ihr auf den Namen Paulus getauft?“ (1 Kor.i 1, 13), Wirklich, manchmal könnte man meinen, jemand sei nicht so sehr auf den Namen Christi getauft, sondern auf den eines Ordens oder Standes, einer religiösen Vereinigung, Strömung, einer Andachtsgruppe, eines apostolischen .Stoßtrupps oder einer sonstigen Erscheinung aus der Oberwelt. *

DIESE DINGE sind wohl nicht zu vermeiden. Der Mensch geht nun einmal den Weg vom Kind zur geprägten Persönlichkeit. Er hört auf, selig-ziellos zu spielen, und schlägt Zielgerade Wege ein. Freilich darf erdabei nicht in die Kindheit insofern zurückfallen, daß er nun aus seinem Weg ein Spielzeug .macht, mit dem er sich fanatisch in einen Winkel setzt. Das heifitr er darf nicht vergessen, daß es im Grunde nicht viele Ziele gibt, sondern nur eines, daß dieses Ziel das Hauptanliegen ist, daß es viele Wege zum Ziele gibt und daß es den Blick einengt, wenn man sich hauptsächlich mit dem Weg beschäftigt, mit dem eigenen nämlich, und ihn liebevoll ausbaut. Man verliert dadurch das Verständnis für andere Wege, aber auch für das Ziel selbst. Und man verliert den brüderlichen Sinn für den andern und möchte am liebsten seine Art unterdrücken, weil er ein Spielverderber ist.

GOTT KANN KEINE FREUDE- HABEN, wenn er Seine Kinder in einem Zank begriffen sieht, wessen Weg der richtige sei. Alle sind richtig, sofern sie auf der herrlich breiten Straße der Kirche liegen. Es muß freilich Erörterungen geben, aber diese müssen als Ziel haben: Wie kommen wir zu Gott? — nicht aber: Inwiefern ist unser Weg der einzig mögliche, und wenn nicht, warum doch?

WIE GESAGT: unbrüderliche Entzweiungen sind schon damit gegeben, daß der Mensch aus der Natur heraus in die Persönlichkeit hineinwächst. Die Natur ist das Allgemeine, die Persönlichkeit das Eigenartige. Aber Gott hat in Seiner Güte gefügt, daß wir in eine zweite, einende Natur hineinwachsen dürfen: in die Uebernatur, in Christus. Und dort könnten wir uns eigentlich wieder zusammenfinden: Ist denn Christus geteilt? Wenn das Hauptanliegen des Frommen die Uebernatur ist, die Gnade, wird er kaum jemanden anknurren, der diese gleiche Gnade auf einem anderen Weg zu erreichen sucht, für sich und andere (dieser zweite Fall ist der eigentlich heikle), i Vielleicht wird er sogar von ihm lernen wollen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung