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,Sie haben ihn nicht gekreuzigt!'

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Was hat der als Überschrift verwendete Vers aus dem Koran (Sure 4,157) mit den Handschriftenfunden von Nag- Hammadi in Oberägypten zu Jun? Sehr viel! Denn diese Funde zeigen uns, welcher Art jenes Christentum war, das Muhammad vorfand und teilweise auch übernahm.

Zunächst ist man überrascht, daß Muhammad in den 114 Suren des Koran auf das zentrale Ereignis des Christentums, auf Jesu Tod am Kreuz und die dadurch bewirkte Erlösung, nur in ,dem einen Vers (Sure 4,157) zu sprechen kommt. Doch setzt er sich hier nicht direkt mit dem Christentum auseinander, sondern mit dem Judentum. Sein Spruch über die Kreuzigung ist daher ein anti-jüdischer Spruch.

Er sagt, die Juden hätten seit eh und je nicht an die Wunder Gottes geglaubt und die zu ihnen gesandten Propheten getötet; und schließlich hätten sie die Lüge in die Welt gesetzt (nun wörtlich): „Wir haben den Messias Isa, den Sohn Marjams, getötet“. Demgegenüber dann die Richtigstellung Muhammads: „Sie haben ihn nicht getötet und nicht gekreuzigt!“

Dann folgt noch der schwierige Nachsatz, der verschieden übersetzt wird, aber den einen Sinn hat: „Vielmehr schien es ihnen (nur so, daß sie ihn gekreuzigt hätten, die Wirklichkeit war anders: sie haben ihn nicht gekreuzigt)“.

Man muß doch fragen: Wie kommt Muhammad dazu, die Kreuzigung des Messias Isa, das heißt Jesu Christi, zu leugnen? Das Kreuz Jesu war doch gerade zu Muhammads Zeit zur politischen Triebkraft geworden; Sure 4 wird kurz nach der Hidschra (ungefähr 624 n. Chr.) datiert. Damals rüstete der oströmische Kaiser Heraklius zum Krieg gegen die Neuperser, um das aus Jerusalem geraubte und nach iVrsien verschleppte Kreuz des Herrn wieder zurückzuerobern.

Ja, aber was geschah dann nach muslimischer Auffassung mit Jesus, wenn er nicht gekreuzigt wurde? Nach einer Version soll ein „Ersatzmann“, etwa Simon von Kyrene, oder ein anderer, statt Jesus gekreuzigt worden sein; nach einer anderen sei ihm die Flucht nach Indien gelungen, wo er lange gelehrt haben soll, bis er schließlich eines natürlichen Todes starb.

Andere Deutungen hier beiseite lassend, kann man sagen: der Islam kennt keine Kreuzes- und Erlösungstheologie. - Wia schon Paulus im Korintherbrief sagt, ist das Kreuz für die Juden ein Ärgernis, für die Heiden eine Torheit. Und für die Muslime? Ein Lügengerede der Juden, das von Muhammad korrigiert wurde.

Kann man Muhammad wirklich eine solche Unwissenheit zumuten, wo es doch auch in Arabien ein blühendes Christentum gab?

Verlagern wir aber in den Satz „Sie haben ihn nicht gekreuzigt“ den Akzent, tritt ein anderer Sinn zum Vorschein: „Sie haben nicht ihn (den Christus) gekreuzigt, nicht ihn (den Christus) getötet“. Im nächsten Vers (Sure 4,158) heißt es gleich anschließend: „Vielmehrerhob ihn Allah zu sich …“ Den Messias konnten auch die Juden nicht mit Nägeln am Kreuz festhalten und töten.

Vor der Auffindung der Schriften von Nag-Hammadi war man mehr oder weniger auf Vermutungen angewiesen, wie dieses Christentum ausgesehen haben konnte. Nun aber schildern zwei „Bücher“ das Geschehen am Kreuz. Beide führen uns in die gnostische Christologie. ,

Das eine „Buch“ trägt den Titel: Zweiter Logos des großen Seth. Damit ist jener Seth gemeint, der den ersten Menschen (Adam und Eva) nach der Ermordung Abels durch Kain geboren wurde. Diesen hat Gott die großen Geheimnisse der Geschichte geoffenbart.

Das zweite „Buch“ ist die Petrus- Apokalypse. Gemeint ist der Apostel Petrus, dem das wahre Wesen des Geschehens am Kreuz ebenfalls geoffenbart wurde.

Zweiter Logos des großen Seth setzt mit dem Plan der Juden ein, den Messias zu töten. Doch der Plan des Himmels ist schlauer und das Planen der Menschen wird zunichte: „Ich wurde ihnen nicht ausgeliefert, wie sie geplant hatten; ich war doch überhaupt nicht dem Leiden unterworfen. Jene bestraften mich (mit dem Tod), doch ich starb nicht wirklich …“

Die Petrus-Apokalypse wirkt noch anschaulicher. Auch hier steht am Anfang der Hinweis auf den Plan der Juden, der aber zuschanden gemacht wurde. Das Geschehen am Kreuz wird

in einen Dialog zwischen Petrus und dem Soter (dem Erlöser) gebracht: „Und ich (Petrus) sprach: Wer ist der, der froh ist am Kreuz, der lacht…? Es sprach zu mir der Soter: Der, den du am Kreuze siehst, wie er froh ist und lacht, das ist der lebendige Jesus; der aber, in dessen Hände und Füße sie Nägel schlagen, ist sein Fleischliches (sarki- kon)…

Liest man Muhammads Kampfspruch nun vor diesem (gnostischen) Hintergrund, wird er verständlich. Der Satz „Sie haben nicht ihn gekreuzigt und nicht ihn getötet!“ ist im gleichen Sinn zu verstehen wie in den angeführten koptischen Handschriften. Nicht die Kreuzigung als solche wird geleugnet, vielmehr wird das Geschehen am Kreuze gnostisch gedeutet. Das „Fleischliche“ am Christus, also sein menschliches Erscheinungsbild in Jesus, konnte man ans Kreuz schlagen, ihm selbst aber, dem Geist-Messias- Christus, konnten die Nägel überhaupt nichts antun.

Damit stoßen wir auf eines der schwierigsten Themen der Evangelien und der frühchristlichen Theologie.

Die ersten Jahrhunderte des Christentums waren sicher Jahrhunderte der Verfolgung. Der eigentliche Kampf um den Bestand des Christentums mußte aber im Geiste ausgeforscht werden. Daß es gelang, das gnostische, dualistisch-pessimistische Weltbild, das im christlichen Gewand schier einen Siegeszug durch das Imperium Roma- num und darüber hinaus antrat, zu überwinden, ist ein geistesgeschichtliches Drama ohnegleichen.

Bis sich aber dieses neue Verständnis des Kampfspruches Muhammads auch bei den muslimischen Koranerklärern durchsetzt, werden wohl noch viele Jahre verstreichen. Immerhin dürfte es für den christlich-muslimischen Dialog nicht belanglos sein, wenn wir auf Grund des Zeugnisses der Geschichtsquellen zur Erkenntnis gelangen: Muhammad leugnet in keiner Weise das Kreuzesgeschehen. Er hat zwar dem Tod Jesu am Kreuze seine Kraft genommen, bekennt aber den zu Allah erhöhten und verklärten Messias-Christus.

Univ.-Erof. Dür. Claus Schedl ist Vorstand des Instituts Tür Religionswissenschaft an der Universität Graz. Näheres zu dieser Thematik enthält sein Buch’ MUHAMMAD UND JESUS

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