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Kreuzigung überlebt ?

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„Ich bin nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt” (Mt 15,24) heißt es in der Bibel. Ob das jene Leute, die Jesus Indienaufenthalte andichten, wahrhaben wollen?

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„Ich bin nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt” (Mt 15,24) heißt es in der Bibel. Ob das jene Leute, die Jesus Indienaufenthalte andichten, wahrhaben wollen?

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Der scharfe Spürsinn in der phantastischen Literatur hat die in neutestamentlichen Texten nicht bezeugten Erlebnisse Jesu zwischen seinem 12/13. und 29/30.

Lebensjahr und sogar danach aufgestöbert. Eine Gestalt wie Jesus kann doch nicht die Zeit in Nazaret, in einem Nest in den Bergen von Untergaliläa, vertrödelt haben.

Wie kommen nun eine Untersu-ohungskommission „J” (wie Jux), ein Archäologe Hassnain, ein Hotelier Saleem oder Jesusbuchautoren zum mysteriösen indischen

Ausflugsziel Jesu?

Sie knüpfen haarscharf und mit viel Phantasie an Evangelienstellen wie z. B. Joh 19,34 („... und sogleich floß Blut und Wasser heraus”) oder Joh 19,38-40 (Joseph von Arimathäa und Nikodemus tehmen den Leichnam und salben ihn) an und folgern daraus: Jesus ist gar nicht am Kreuz gestorben, sondern lebendig heruntergenommen, von den Essenern gesund gepflegt worden und nach Indien entfleucht.

Trotz der Vorurteile gegenüber Evangelientexten, weil sie doch relativ spät entstanden seien (40 bis 70 Jahre nach dem Tod Jesu) und keine historischen Befunde abgäben, greift man auf sie zurück. Viel gewichtiger sind die rein historischen Befunde vom Ende des vorigen Jahrhunderts (der Reisebericht von Notowitsch) und aus unserem Jahrhundert (das Wassermann-Evangelium, verfaßt in Amerika), natürlich das Turiner Leichentuch und sonstiges aus der jüngsten Zeit.

Eine weitaus authentischere Belegstelle für den nicht am Kreuz gestorbenen Jesus bietet der Koran in der 4. Sure, Strophe 158f.: „Es schien den Juden nur so, sie hätten Jesus gekreuzigt, in Wirklichkeit war ihm der Gekreuzigte nur ähnlich. Allah hat Jesus direkt zu sich erhoben.” Ein Kreuzestod Christi ist nach dem Islam strikt abzulehnen (vgl. auch 3. Sure, Strophe 56). Da bieten sich schon mehr Möglichkeiten einer phantasievollen Anknüpfung: Wo war Jesus während der Kreuzigung des anderen, wo vor und nach der Erhebung zu Allah?

Man sollte auch noch lesen, bis man erfährt, daß Jesus bei seinem zweiten Indienaufenthalt nicht mehr weiß, was er tut, und einen unbeweglichen Gott im Zentrum der Sonne verehrt. Das allerdings dürfte die Vorstellungskräfte des Leichtgläubigsten übersteigen.

Glaube und Geschäft

Günter Stemberg, Professor für Judaistik in Wien, gesteht, in zwei Buchrezensionen (zu S. Obermeier, Starb Jesus in Kaschmir? 1983, und H. Kersten, Jesus lebte in Indien, 1983) in der Zeitschrift „Bibel und Liturgie” (Heft 4/1983), daß er sich unter Sachbüchern etwas anderes vorstellt und Romane kennt, die logischer und schöner sind. Wer noch Genaueres wissen will, greife gleich zu Däni-ken. Welche plausiblen Gründe gibt es, Jesus nach Indien zu schicken?

Es könnte sich erstens um die stark verbreitete Neuheitssucht handeln, die sich an zwei Dauerbrennern, Jesus und Indien, aufrichtet, aber zweitens sind auch wirtschaftliche Interessen möglich. So weiß auch der Hotelier Saleem, daß Bakschisch fließt, solange die Gruft verschlossen und die Dubiosität aufrecht bleibt. Und der „Forschungsgruppe” und dem Verkauf der seltsamen Jesusbücher nützt die Wahrung eines vermuteten Geheimnisses bei zornigem Abzug der Presse mehr als die frühzeitige Bekanntmachung eines Schwindels. Ob man sich auch mit Professor Hassnain wird einigen können, für den Jesus schon am 21. März wiedergekommen ist?

Es ist vielleicht jetzt für den Leser unverständlich, was Jesus noch in Galiläa und Judäa soll, wo doch der Indienaufenthalt viel interessanter ist.

Nach all den Exkursionen wird dann kommende Generationen völlig überraschen, daß Jesus über den geographischen Raum von Palästina nicht hinausgekommen ist. Man kann auch nur aus Nazaret kommen und nur Israel missionieren wollen und berühmt werden. Und man kann jemand nach Indien verpflanzen, ohne zu wissen, wozu und warum, wenn es finanziell etwas bringt. Gegen derlei Verquickung von Glaube und Geschäft hat einmal einer gewettert und auf dem Tempelplatz in Jerusalem aufgeräumt. Damit hat er auch einen Grund für seine Kreuzigung in Jerusalem geliefert.

Mag. Anton Kalkbrenner ist Mitarbeiter im Osterreichischen Katholischen Bibelwerk.

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