Kirche, Kunst und Konfrontation

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Auf spannende und zugleich sensible Art und Weise kommt es in der Wiener Jesuitenkirche zu einer Gegenüberstellung von Geschichte und Gegenwart. Im Mittelpunkt dieses Dialogs steht das Bild eines toten Hasen, der im christlichen Kontext neue Betrachtungsweisen eröffnet.

Wer die Jesuitenkirche im Herzen von Wien im Frühjahr betritt, sollte länger bleiben. Denn dort findet derzeit ein Dialog der besonderen Art statt. Es ist ein Dialog zwischen Kunst und Kirche, wie man ihn sich intensiver nicht wünschen könnte. Auf spannende und zugleich hochsensible Art und Weise kommt es hier zu einer Konfrontation zwischen Geschichte und Gegenwart, zwischen barockem Ensemble und gegenwärtiger Fotografie, zwischen Üppigkeit und Reduktion, zwischen schillernder Farbigkeit und zurückhaltendem Schwarzweiß. Dass es dabei zu alldem noch um zentrale Themen des Daseins wie den Übergang vom Leben zum Tod, die Relation von Mensch und Tier und das Verhältnis von Natur und Kultur geht, macht die Intervention umso sehenswerter.

Gustav Schörghofer, Rektor der Jesuitenkirche und seit dem Jahr 2000 Vorsitzender der Otto-Mauer-Preis-Jury, kämpft vehement gegen die zerbrochene Beziehung zwischen Kunst und Kirche. Seit Jahren ist die Jesuitenkirche ein Ort der Begegnung zwischen aktuellster Kunst auf internationalem Niveau und Religion. So wurde die Fasten- und Osterzeit auch heuer wieder genutzt, um die Wahrnehmung durch Gegenwartskunst zu schärfen. Inmitten des goldenen Hochaltars und vor das Altargemälde von Andrea Pozzo gehängt, prangt ein neun Meter hohes und über vier Meter breites Bild von Gabriele Rothemann mit dem Titel „Fatsche I“. Die in Offenbach am Main geborene Künstlerin leitet seit dem Jahr 2001 den an der Universität für angewandte Kunst damals neu errichteten Studienzweig für Fotografie. Das Schwarzweißbild – ein Digitaldruck auf weißem Stoff – zieht beim Betreten des Kirchenraums den Blick unweigerlich auf sich. Zugleich ist es so behutsam in die barocke Ausstattung eingepasst, dass man meinen könnte, es wäre speziell für diesen Ort geschaffen. Dabei ist die Darstellung alles andere als gewöhnlich. Zu sehen ist ein toter Hase im Profil. Die Ohren sind aufgestellt, das Auge offen. Der überlang erscheinende Körper ist nicht sichtbar, denn das gehäutete Tier ist sorgfältig wie ein Säugling in ein Hasenfell gewickelt. Irritierend ist nicht nur der Zustand des Schwebens, sondern auch der weiße Bildhintergrund, aus dem sich der gräuliche Hase konturiert hervorhebt.

„Sinnbild des schwachen Menschen“

Das Tier erinnert an ägyptische Tiermumien und geht auf Rothemanns langjährige Auseinandersetzung mit toten Tieren zurück, wie sie erzählt: „Ich hatte immer Felle zu Hause. Und als meine Tochter ganz klein war, begann sie, ihre Stofftiere mit Fell zu umwickeln. Da habe ich mir gedacht, wenn ganz kleine Kinder das machen, dann ist das eine archaische, urmenschliche Handlung. Nämlich Dinge, die wichtig sind, zu bewahren und zu schützen. Zunächst habe ich mit Fell umwickelte Stofftiere fotografiert, bis ich mich dazu überwunden habe, diesen toten Hasen zwei Tage lang zu fotografieren.“

Rothemanns Arbeit überzeugt, da sie nichts Spektakuläres an sich hat. Vielmehr spricht aus dieser Fotografie Zärtlichkeit und Konzentration. Die Drastik und Expressivität der Wiener Aktionisten ist Rothemann fremd. Vielmehr ergeben sich Referenzen zu Joseph Beuys’ Aktion „Wie man einem toten Hasen Bilder erklärt“ (1965). Auch Beuys hatte den Hasen ins Zentrum einer künstlerischen Auseinandersetzung gestellt, gilt er doch in allen Kulturen und Religionen als Tier mit umfassender Symbolbedeutung. In der griechischen Mythologie gehört er zur Liebesgöttin Aphrodite, bei den Römern und Germanen ist er Symbol der Fruchtbarkeit, in der Sage fungiert er als Lichtzeichen.

Was aber macht der tote Hase im Hochaltar einer christliche Kirche? Schließlich hat es das noch nie gegeben. Gustav Schörghofer hat keinen Zweifel daran, dass Rothemanns analoge Fotografie gerade im christlichen Kontext neue Betrachtungsweisen eröffnet. Denn der Hase ist Symbol der Auferstehung Christi, auch „Sinnbild des schwachen Menschen, der vor seinen Verfolgern in den Felsen (Christus, Kirche) Zuflucht sucht“. Im Rahmen der Kirche fällt es Schörghofer „nicht schwer,, Fatsche I‘ in vielfältigen Bezügen zur christlichen Bildwelt zu sehen. Der Bogen reicht vom Kind,, das, in Windel gewickelt, in einer Krippe liegt‘ (Lk 2,12) bis zum Leichnam Jesu, der in ein Leinentuch gehüllt ins Grab gelegt wird (etwa Joh 19,40).“

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