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Acht Jahrhunderte abendländischer Buchmalerei

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Man traute seinen Augen nicht, als man am letzten Sonntag den Prunksaal der Nationalbibliothek gedrängt voll von Besuchern vörfand; ein solcher Publikumsandrang ln einem musealen Raum ist in Wien selbst dann ungewöhnlich, wenn er einer so unbeschreiblich wunderbaren Ausstellung wie der „Abendländischen Buchmalerei“ gilt… Dde europäische Malerei hat als Buchmalerei begonnen; möge diese Ausstellung wenigstens eine Periode des stärkeren Museumsbesuches in Wien einleiten — die Festwochen hätten damit schöne Wirkungen gezeitigt! 230 von insgesamt 2400 im Besitz der Bibliothek befindlichen illuminierten Inkunabeln und Handschriften werden gezeigt; sie illustrieren, im wahrsten Sinne des Wortes, den Weg, den die europäische Kunst zwischen dem achten und sechzehnten Jahrhundert zurückgelegt hat. Die europäische, wohlgemerkt: denn in diesen frühen Zeiten vermischen und verwischen sich die nationalen Einflüsse leicht und schnell, antikes Erbe geht mühelos Verbindungen mit italienischen, französischen, deutschen und orientalischen Elementen ein — selbst in unserem Jahrhundert der internationalen Stile berührt es uns seltsam, wenn wir das tausendzweihundert Jahre alte „ Cu tbercht“-Evangeliar sehen, das den Namen eines angelsächsischen Mönchs trägt, der in — Salzburg gearbeitet hat.

Welche Schätze! Der „Golgene Psalter“ entstanden um 790 ins Auftrag Karls des Großen; die berühmte „Tabula Peutingerlana“ jene mittelalterliche Kopie einer römischen Straßenkarte, Gebetbücher, Bibeln, Stųndeii-

bücher; und das „Buch vom liebentbrannten Herzen“ von 1465, dieses bekannteste und geliebteste Zeugnis einer ritterlichen Kultur fehlt so wenig wie die barock-überladene, ein wenig barbarische Buchmalerei vom Hofe Maximilians I. Reichtum und Fülle solcher Art können wissenschaftlich beschrieben oder von Dichtern besungen, von Kunstkritikern aber nur angedeutet werden. (Einer von ihnen prägte bei dieser Gelegenheit das unvergeßliche Wort vom „monumentalen Schmiß der karolingischen Buchmalerei“.) Man gehe hin und sehe sich’s an.

Im Konzerthaus stellen der Maler Claus Pack und der Graphiker Kurt Absolon aus: das Bemerkenswerteste, was man in den letzten Wodien an neuer Kunst sehen konnte. — Kurt Absolon benützt eine doinne und scharfe Tuschfeder, mit deren kurzen Strichen er auf aquarelliertem Papier merkwürdige, nicht immer leicht zu bezeichnende Organismen zusammensetzt, die an „wirkliche“ Dinge ungefähr so erinnern, wie Traume an frühere Erlebnisse. Eine starke Hinneigung zum Vegetativen drückt sich in nahezu allen diesen Blättern aus: in sumpfigen Sagenwäldern finden sieh verfallene, pflanzenüberwucherte Städte; Hunde, Pferde und menschliche Eindringlinge werden in der unheimlichen Stille dieser oft genau beschriebenen, oft nur angedeuteten Landschaften in Pflanzliches verzaubert. Eine Welt wird sichtbar, in die bereits ein schweigendes Leben, noch nicht aber das Bewußtsein seinen Einzug gehalten hat. Die spezifischen Eindrücke, die das Märchen erweckt, teilen sich auch von Absolon Blättern mit: Eindrücke von etwas Uraltem, Unheimlich-Unbegreiflichem und dennoch seltsam Vertrautem. Diese Kunst besitzt unzweifelhaft geniale Züge, wie sich an der Eigenheit des Strichs ebenso klar wie an der Eigenart der Thematik erweist. Daß nicht alle BlätteT gleiche Dichte besitzen und einzelne von ihnen eher als Etüden und -Notizen’ wirken, ändert daran nichts. — Anders als bei Absolon spielt im Schaffen Claus, Packs nicht die Phantasie, sondern die Spekulation die Hauptrolle. Packs Gedankengänge laufen wenn wir sie richtig verstehen und -Vergröbernd wiedergeben dürfen — ungefähr darauf hinaus, daß ein Kunstwerk, das ja zweifellos Ergebnis und Teil einer historisch logischen Entwicklungsreihe ist, auch vom Künstler auf logischem Weg erarbeitet und mehr noch i gleichsam von vornherein in die kommende Entwicklung hineingestellt werden könne, wozu allerdings eine genaue Kenntnis über den gegenwärtigen Stand der Dinge nötig wäre.. So zųm Beispiel, meint Pack, sei das Raum- und Simultaneitätsproblem das wichtigste Problem der modernen Kunit überhaupt — und da Picasso bei seiner Behandlung nachweisbare Fehler begangen habe, würde die’Ausmerzung dieser Fehler gleichsam die Überwindung Picassos und die Weiterführung seiner Kunst bedeuten, Nun, wenn in diesen Folgerungen nicht Trugschlüsse stecken, bloße Annahmen stecken, genug darin: Ist das Raumproblem nicht erst in zweiter Linie ein künstlerisches Problem? -Wahrscheinlich doch. Ist das Raumproblem wirklich das wichtigste Problem der Moderne? Sicher nicht das einzige .-r- auch „bei .Picasso nicht, Wäre seine künstlerische. Lösung įdent mit der exakt-mathematischen? Das Weiß vor. läufig der Himmel allein… Wie dem auch sein mag: Claus Pack preßt ein Übermaß von Intelligenz und eine bedeutende Begabung in die Lösung isolierter Dėtailėufgaben hin-: ein, die diese Belastung kaum ertragen. Br vergißt, daß auch das Unbestimmte Teil des- Kunstwerkes ist — und so sterben ihm seine Bilder unter den Hänflen weg, weil sie zu genau, zu oft berechnet, sind. Der Kritiker aber fühlt hier den absonderlichen Wünsch, einem Künstler sagen zu wollen: Sei doch etwas schlampiger! Sei doch, bitte, nicht so gebildet! Und häb mehr Vergnügen äh dem, was du da malst! „

Im Amtshaus am Hietzinger Platz stellen Künstler aus, die in Hietzing wohnen: Bilder und Künstgewerbe, die dem behaglichsoliden und sehr bürgerlichem Geist dieses Bezirks entsprechen und nicht mehr sein wollen als Ornament am Rande des Alltags. Hervorzuheben-die nicht ganz in diesen Rahmen passenden Schablonendrücke Carry H au- s e r s, ein Blumenaquarell und Schmuckstücke der Schwestern M e r 1 i c e k, in etwas weiterem Abstand die Landschaften P a s s i n i s.

Vom Schulwesen zu reden, ist Sache der Pädagogen. Der Kritiker ‘ kann hur feststellen, daß die große Exposition „Unsere Schule“--- im Messepalast— eine Meisterleistung moderner Ausstellungstechnik ist, deren Auswirkungen man in diesem Gebäude leider nicht immer begegnet. Drei und einen halben Kilometer Ausstellungswege zwischen den Objekten — die yqiri Schulheft bis zum Klassenraum alles zeigen, was mit dem Begriff „Schule“ zu tun hat — so zu führen, daß der Besucher keine Ermüdung sondern steigendes Interesse verspürt, das ist eine Leistung, die, wann schon; nicht als Kunst, so doch als Kunststück in einem Kunstberichi zu verzeichnen ist.

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