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Erinnerung an Kurt Absolon

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Das ist der Vorzug edlerer Naturen, daß ihr Hinscheiden in höhere Regionen segnend wirkt, wie ihr Verweilen auf der Erde; daß sie uns von dorther gleich Sternen entgegenleuchten, als Richtpunkte, wohin wir unseren Lauf bei einer nur zu oft durch Stürme unterbrochenen Fahrt zu richten haben; daß diejenigen, zu denen wir uns als zu Wohlwollenden und Hilfreichen im Leben hinwendeten, nun die sehnsuchtsvollen Blicke nach sich ziehen als Vollendete, Selige. Goethe

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Das ist der Vorzug edlerer Naturen, daß ihr Hinscheiden in höhere Regionen segnend wirkt, wie ihr Verweilen auf der Erde; daß sie uns von dorther gleich Sternen entgegenleuchten, als Richtpunkte, wohin wir unseren Lauf bei einer nur zu oft durch Stürme unterbrochenen Fahrt zu richten haben; daß diejenigen, zu denen wir uns als zu Wohlwollenden und Hilfreichen im Leben hinwendeten, nun die sehnsuchtsvollen Blicke nach sich ziehen als Vollendete, Selige. Goethe

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ÄTbr einem Jahr ist Kurt Absolon, 33 Jahre ’ alt, bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Am 24. April habe ich ihn zum letzten Male gesehen Vor der Verleihung des Theodor-Körner-Stipendiums, das uns beiden für eine geplante Gemeinschaftsarbeit zuerkannt worden war, besuchte er mich in meiner Wohnung, die ich einer Unpäßlichkeit wegen nich,t verlassen konnte. Er war in Eile; eigentlich kam er nur, um mir ein Buch zu leihen: Fritz Novotnys Werk über „Adalbert Stifter als Maler“. Doch trotz der knappen Zeit ließ er sich’s nicht nehmen, mir diejenigen Sätze vorzulesen, die ihm als der Kern der Sache erschienen: „Aus den malerisch eindeutigen und vollendeteren, unproblematischeren Bildern der früheren Zeit spricht der Dichter der Naturschilderungen, die nie zur Vollendung gelangten letzten Landschaften sind Ausdruck des ganzen Menschen: so wie Stifter in der Zeit des erreichten malerischen Könnens malte, so dichtete er, aber so wie er in den letzten Jahren seines Lebens malte, so war er.“ Zwei Tage später war Absolon tot. Und ich begriff, warum er diesen Satz mir zitiert hatte: weil er selber mit seiner Kunst nie irgendeine Meinung, nie irgendeine Ansicht, nie irgend etwas Inhaltliches ausdrücken wollte, sondern immer nur seine Existenz. Ihm ging es nie um Stoffe, nie um Techniken, nie um die Kunst um der Kunst willen, sondern um die größtmögliche Identifikation von Mensch und Werk, also um die Einheit der Person, um das Einverständnis mit dem Schicksal. Künstler sein, das hieß für Kurt Absolon: ein ganzer Mensch sein.

Dieses äußerste Ziel, wo die artistische und die humane Sphäre in eins zusammenklingen und sich gegenseitig fundieren, hat Absolon in der kurzen Frist seines Lebens denn auch erreicht; sein Werk bezeugt's. Freilich: in den etwa tausend Blättern des Nachlasses zeigt sich, wenn wir diesen ästhetisch sichten, nirgendwo ein Fortschritt; die artistische Qualität der frühen Bilder ist nicht geringer als die der letzten, trotz aller eklatanter Unterschiede in Stoff, Thematik und Technik. Der stete Fortschritt — denn auch Absolon ist nicht als Meister vom Himmel gefallen — würde sich nur offenbaren, wenn auch die drei- oder vier- oder fünftausend Zeichnungen erhalten wären, die den selbstkritischen Anforderungen des Künstlers nicht genügten und deshalb von eben der Hand, die sie geschaffen hat, vernichtet wurden. So aber gewahren wir in dem auf uns gekommenen Oeuvre ganz rein die geistige Entwicklung der Person; eine Entwicklung, die sich in der Zunahme der humanen Qualität manifestiert.

Mit arbeitshypothetisch gebotener Vereinfachung lassen sich im Werk Kurt Absolons zwei Tendenzen und zwei damit ungefähr übereinstimmende Epochen unterscheiden: Anfangs gebrauchte er seine Technik vornehmlich dazu, das zu zeigen, was nach Ausdruck, nach Aus sage drängte: er zeichnete Empfindungen, keine Anschauungen. Er war als Zeichner ein Literat, ein lyrischer Erzähler, worauf auch hindeutet, daß er zwischen 1950 und etwa 1954 wenn nicht das ganze Thema, so doch den Anlaß gern aus der Literatur bezog: wir kennen Bibelzyklen, einen Don Quixote, einen „Jardin du mal“ in Anlehnung an Baudelaire, dann ein „Coeur vole“ nach Rimbauds Gedicht, einen Zyklus zu Hemingways „Old Man and the Sea“; auch Visionen vom Stierkampf stammen aus jener Zeit, wiewohl Absolon erst etliche Jahre später, nämlich im Frühjahr 1957, in Südfrankreich, solchen Schauspielen beigewohnt hat. Es triumphierte vorerst die graphische Erfindung über den graphischen Rechenschaftsbericht, die Idee einer Wirklichkeit- über diese selbst, die Vision über das Bild.

In der zweiten Schaffensperiode, etwa ab 1955, sucht und findet der Künstler seine Gegenstände meist außerhalb seiner Phantasie: in der menschlichen Gestalt, in der Landschaft, in Tier und Bauwerk, in der gegenständlich erfahrbaren Natur. Er plant ein Wien-Buch, zu welchem eine Reihe von Skizzen entsteht. Die Mutterschaft seiner Frau gebiert in ihm den künstlerischen Mut zur Schönheit des menschlichen Körpers. Aus Frankreich bringt er zahlreiche Landschaften und nun auch geschaute Bilder vom Stierkampf heim. Von seinem Fenster im obersten Stockwerk eines Wohnblocks in Meidling aus zeichnet er Stadtlandschaften, im nahen Schönbrunn die Alleen, auf der Straße einen Hund. Im Spätsommer 1957 fährt er mit mir nach Carnuntum, bannt den immer noch römischen Geist jenes schicksalsträchtigen Landstrichs auf seine Blätter. Der Tod ereilt ihn auf einer Exkursion ins Burgenland; das dort noch gezeichnete Bild, sein letztes, wird unversehrt aus dem zertrümmerten Auto geborgen: eine stille Landschaft mit Bäumen. In dieser zweiten Periode spricht nicht mehr er selber, sondern die Wirklichkeit spricht durch ihn hindurch; der Künstler bescheidet sich damit, ein Diener, ein Medium der Realität zu sein, und gerade in dieser Bescheidung findet er, auf gleichsam klassisch-heitere Weise, ganz zu sich selbst.

Es fiele nicht schwer, für die künstlerische Entwicklung Absolons irgendeine Formel zu finden: etwa: von der Romantik zur Klassik, oder: von der Vision zum Bild, oder: von der Phantasie zur Realität. Im Grunde aber ist sein geistiges Fortschreiten, wie es sich in seiner Kunst manifestiert, gar nicht anders zu verstehen denn als ein einziger, ununterbrochener Akt der Selbstbefreiung. Gewiß: die phantastischen Bilder der ersten Epoche erscheinen uns als ebenso echte und objektive Dokumente wie die realistischen Bilder der späteren Zeit; aber die Darstellung der Daseinsfigur geschieht in jenen auf eine direkte, in diesen jedoch auf eine indirekte Weise, also frei von subjektiver Verzerrung, frei von Meinung und Affekt. Die visionären, die phantastischen Zeichnungen sprechen ganz unmittelbar die Seele, die realistischen Bilder sprechen das Auge an; in jenen entdecken wir die Figur mittels der Psychologie, in diesen mittels der Anschauung. Jene enthalten die Figur als Inhalt, diese bieten uns die Figur als Form. Hierfür ein Beispiel:

Unter den späten Blättern finden sich zahlreiche Darstellungen eines Flußlaufs, einer Allee, einer Häuserzeile, denen immer dieselbe Struktur des Dreiecks bzw. des spitzen Winkels zugrunde liegt. Ein breiter, oft nur vage skizzierter Vordergrund spitzt sich nach hinten zu, wobei die Zeichnung selbst immer mehr an Schärfe und Stabilität gewinnt. Nicht der Inhalt eines solchen Blattes, wohl aber die Form enthüllt uns die Figur — oder wenigstens einen Aspekt der Figur —, die Kurt Absolon mit seinem Leben dargestellt hat: Er war ein Mensch von breiter Apperzeptionsbereitschaft; ob Doderers Romane oder ein Fußballmatch oder die ungarische Revolution oder irgendwelche Sorgen eines Freundes: immer nahm er Anteil, immer tastete er sich in das Problem hinein, engte es, denkend und diskutierend, immer mehr ein, dabei immer konkreter, immer intensiver werdend, bis er die Sache ganz buchstäblich zugespitzt und damit auch schon hinter sich gebracht hatte. Dieser Ort der äußersten Konkretion war, vom Zufälligen und Beiläufigen ausgehend, zu erreichen: im Leben wie in der Kunst.

In solcher. Uebereinstimmung von Kunstfigur und Lebensfigur besteht die humane Qualität des Werkes von Absolon; ja mehr noch: es offenbart sich darin die sittliche Ambition des Künstlers. Mit Symbolismus und mit Moralis- mus hat das freilich gar nichts zu tun; es geht ihm, dem Künstler, ja immer nur um das Heil, das er stellvertretend für die von ihm zum zeichnerischen Anlaß genommene Welt zu erwirken trachtet; es geht ihm immer nur um ein vorbildhaftes Dasein in der Form, um eine beispielhafte Verwandlung des ihn umstehenden Chaos in Gestalt. Eben deshalb auch hält er die konkrete Wirklichkeit für den Ort der Sittlichkeit: wo Subjekt und Objekt, wo Mensch und Welt, wo Person und Schicksal identisch werden.

Praktisch bedeutet das für den Künstler: für sich nicht eine Ausnahmeposition zu beanspruchen — als Künder oder als Clown, als Heros oder als Psychopath —, sondern auch in seinem privaten Dasein die Wirklichkeit des Lebens zu akzeptieren, wie sie nun einmal ist. Absolon hätte sich zu Tode geniert, wenn sein Aussehen, sein Benehmen und seine Lebensführung darauf hingedeutet hätten, daß er Künstler sei. Denn seine ganze und einzige Ambition ging dahin, ein ganzer Mensch zu sein: ein Mensch, der sich zufällig nicht im Führerstand einer Lokomotive oder im chemischen Labor oder über einem Gesetzestext, sondern vor einem Blatt Papier zu bewähren hat. Und da beanspruchte er nicht, wie manche seiner Berufskollegen, irgendwelche Rechte, sondern er, der sich selbst nie schonende Arbeiter, reklamierte für sich nur die Pflicht. Wie Stifter, den er liebte, glaubte er an die humanitäre Aufgabe des Künstlers: natürlich nicht in dem primitiven Sinn, daß er dem Publikum zu gefallen habe; sondern im Sinne einer Verantwortung für das Allgemeine, im Sinn einer indirekten, einer stellvertretenden Wirksamkeit.

An jenem Abend, nachdem ich vom Tod des Freundes erfahren hatte,., geriet mir ein Goethe- Almanach in die Hände. Gedankenverloren blätterte ich das Büchlein auf, begann irgendwo zu lesen, und was ich da las, war der Brief, den Goethe an Zelter geschrieben, nachdem er die Nachricht vom Tod seines Sohnes erhalten hatte: „Hier nun allein kann der große Begriff der Pflicht uns aufrecht erhalten.“ Und ich begriff jetzt ganz das Element, in dem Kurt Absolon sich bewegt hatte; begriff es als das Element, in dem wir alle uns zu bewegen und zu bewähren haben; im Führerstand einer Lokomotive, im chemischen Labor, über einem Gesetzestext, vor einem Blatt Papier: nicht als Techniker unseres Berufes, sondern als Zeugen für die Möglichkeit unseres Heils, auf das er nämlich hinweist, der „große Begriff der Pflicht“. Und ich verstand diesen Satz des alten Goethe als eine letzte Botschaft des toten Kurt Absolon; als eine Botschaft, die eigentlich an uns alle gerichet ist, weshalb ich nicht zögere, sie hier mitzuteilen.

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