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Der Dritte aus dem Dreigestirn

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Noch lebt ein Großer aus dem engsten Kreis um Klimt und Schiele, einer, der das Erbe der sezesoionistischen Graphik bewahrt und vermehrt hat: er heißt Ludwig Heinrich Jungnickel, lebt seit Jahrzehnten in Jugoslawien — und die Albertina ehrt ihn in diesen Tagen anläßlich seines 70. Geburtstages mit einer großen und sehr eindrucksvollen Ausstellung.

Die Zeichenkunst Jungnickels ist, kunst- historisch gesehen, ein Kuriosum: sie zeigt nämlich sozusagen, wie sich der Sezessionsstil der Jahrhundertwende weiterentwickelt hätte, wenn nicht Expressionismus und Kubismus sein Konzept zerstört hätten — nämlich in der Richtung auf einen neuen Manierismus oder ein modernes Rokoko hin, das voll von Sinnlichkeit und durchtränkt von Intellekt wäre. Jungnickels Werk beweist aber zugleich, wie stark der Geist der frühen Sezession bei aller scheinbaren Morbidezza war; zwischen Klimts und Schieies Arbeiten wurzelnd, sind seine Blätter so „frisch“ und wirken so unmittelbar, als wären sie heute gezeichnet worden. Man liest von Zeit zu Zeit, daß es Gelehrten geglückt sei, in jahrtausendealten Gräbern und Graburnen gefundene Samenkörner zum Keimen zu bringen — dem Leser solcher Meldungen teilt sich oft ein wenig Ergriffenheit über das natürliche Wunder mit; dieselbe Ergriffenheit mag ihn, wenn er über die Kunstgeschichte der letzten fünzig Jahre Bescheid weiß, vor den Arbeiten Jungnickels befallen.

In einem Punkt freilich unterscheiden sie sich ganz und gar von denen seiner Lehrer und Freunde: Jimgnickel zeichnet fast aus- schießlich Tiere (und der Direktor dar Albertina hat zweifellos recht, wenn er ihn den größten Tierzeichner unserer Zeit nennt). Aber es ist kein Zufall, daß es im Grunde nur wenige Tiergattungen sind, die Jung- nickels Interesse auf sich ziehen: überfeine Gazellen, geschmeidige Raubkatzen, lang- gKedrige Affen und Pferde in den eleganten

Posen der Hohen Schule. Man hat den Eindruck: nicht weil diese Tiere „vitaler“, sondern weil sie eleganter und bizarrer sind als selbst die Modelle Gustav Kirnte, hat sich Jungnickel ihrer Darstellung verschrieben.

Eine bedeutende, eine unbedingt sehenswerte Ausstellung.

Mit peinlicher Genauigkeit und einer Fülle von Beispielen unterrichtet uns die Schweiz in der Akademie der bildenden Künste über Art, Entstehungsgeschichte und Vielfalt ihres Bühnenbildes. Seine Anfänge scheint es, wenn wir uns recht unterrichtet haben, bei mehr oder minder lokalen Gelegenheiten gefunden zu haben — bei der Staffage von heimatlichen Festspielen und dergleichen; die weitere Entwicklung stand offenbar durchaus unter dem Eindruck der angelsächsischen oder russisch-deutschen Bühnenbildnerei. Erst in den letzten Jahrzehnten hat es die szenische Ausstattung der Schweizer Theater im Einklang mit der außerordentlichen, ja bewunderungswürdigen Entwicklung einer durchaus eigenartigen schweizerischen Gebraudisgra- phik zu Besonderheit und hoher Qualität gebracht. In der Tat finden wir in den zeitlich letzten Abteilungen der umfangreichen Exposition unzählige Entwürfe, die mit Einfällen und bühnenbildmerischen Aperęus buchstäblich brillieren: hier könnten auch unsere Regisseure und Bühnenbildner noch einiges zulernen.

Die Ausstellungen debütierender „Abstrakter“, „Konkretisten“ und wie sie sich alle nennen mögen, häufen sich allmählich — und der Kritiker unterzieht sich ihrer Besichtigung zwar nicht mit Unwillen, aber unter Seufzen. Nicht, weil er einer neueren oder neuesten „Richtung" abhold ist — eine „Richtung“ ist genau so viel wett wie der, der sie einschlägt —, sondern weil sich ihre Anhänger über ihren Verlauf meist selbst nicht klar sind. Da versuchen sie bald dieses, bald jenes, stellen neben fingerlange Kompositionen drei- meterlange, zeichnen oder malen sie auf Holz, Papier und alle möglichen anderen Stoffe, hängen plötzlich eine handgroße Zeichnung dazwischen, die eigentlich in eine ganz andere „Richtung" gehört — .und dann machen sie wie Wolfgang Erwin Erben (in einem behelfsmäßigen Ausstellungslokal hinter dem Volkstheater) eine „Kollektivschau“ daraus und heischen Anerkennung oder —seltener — die Begründung einer Ablehnung. Worauf der Kritiker, wenn er ehrlich ist, nur sagen kann: Hier gibt's noch nichts zu sagen. Warten wir noch sechs Monate oder ein Jahr ..,

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