Rabauken der Kunstgeschichte

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Das Linzer Kunstmuseum Lentos zeigt künstlerische "Störenfriede" vom 19. Jahrhundert bis 1968 und macht vergessene Provokationen in ihrem Kontext nachvollziehbar.

Ist Günter Brus schuldig?", wurden die Geschworenen am 31. Juli 1968 im Wiener Landesgericht gefragt. Die Schöffen entschieden: schuldig. Der damals dreißigjährige Künstler wurde zu sechs Monaten "strengem Arrest" verurteilt. Die Begründung lautete: "Herabwürdigung österreichischer Symbole" und "Verletzung der Sittlichkeit und Schamhaftigkeit". Vorausgegangen war der Verhaftung die berühmt-berüchtigte "Stoffwechselparty" im Rahmen der vom Sozialistischen Österreichischen Studentenbund organisierten Veranstaltung "Kunst und Revolution", bei der Brus eine "Körperanalyse" zeigte. In der Verhandlung betonte Brus, dass es sich bei seiner Körperarbeit um eine neue Kunstform handle, die den Menschen in den Mittelpunkt stelle.

Von Feinden …

Dass Günter Brus, den die Medien damals zum "meistgehassten Österreicher" erklärten, 1996 mit dem Großen Österreichischen Staatspreis ausgezeichnet wurde, erstaunt nur auf den ersten Blick. Denn Brus ist längst in die Kunstgeschichte eingegangen und gehört heute zu den international renommiertesten österreichischen Künstlern. Ein ähnlicher Skandal wäre jetzt nicht mehr möglich, meint das ehemalige Enfant terrible: "Es kann ja in Österreich oder einem anderen Staat schon seit geraumer Zeit kaum mehr provoziert werden. Wenn wir die Gegebenheiten einer verbesserten Gesellschaft haben, dann müssen wir sie annehmen. Die Kunst ist ja nicht ausschließlich gegen etwas gerichtet, sondern auch für etwas - für humanes Denken, Erweiterung der Sinne, eine größere Toleranz."

Günter Brus' Aufstieg vom Skandalverursacher zum geschätzten Staatspreisträger ist keine ungewöhnliche Entwicklung. Häufig waren es gerade die einstigen Provokateure, die später zu den Superstars der österreichischen Kunstszene avancierten. Viele Künstler, die heute international als größte Werbeträger dieses Landes gelten, waren zu Beginn ihrer Laufbahn heftig angefeindet. Egon Schiele, Gustav Klimt, Oskar Kokoschka - sie alle riefen mit ihren neuen Sichtweisen so heftige Reaktionen hervor, dass es zu Verhaftungen, Rücktritten von Politikern und Zerstörung von Kunstwerken kam.

… zu Werbeträgern

Diesen Störenfrieden hat das Linzer Lentos jetzt eine interessante Ausstellung gewidmet. Die Schau mit dem Untertitel "Der Schrecken der Avantgarde" ist nicht nur aufgrund des spannenden Themas sehenswert. Für ihre Qualität spricht auch, dass sie von Sabine Fellner kuratiert wurde, einer Kunsthistorikerin, die sich bereits in den 1990er Jahren durch ihr Buch "Kunstskandal!" einen Namen in Bezug auf die "Nestbeschmutzer" gemacht hat. 100 Werke geben Einblick in die Denk- und Arbeitsweise dieser Rabauken - beginnend mit der Malerei aus den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts bis zur radikalen Körperkunst der Wiener Aktionisten im Jahr 1968.

Zu Lebzeiten attackiert, …

Gerade weil das Thema so publikumswirksam ist, könnte es leicht zu einer verkürzten Darstellung verleiten: Kunst müsse immer durch Anstößiges und Tabubrüche provozieren. Im Lentos ist man nicht in diese Quoten-Falle getappt, sondern zeigt in einer fundierten Präsentation, dass häufig gar nicht die Themen und Sujets provozieren, sondern die neuen Sicht- und Darstellungsweisen. Mindestens genauso wie ein Akt oder das Brechen von Tabus können grelle Farben oder ein lockerer Pinselstrich für Aufregung sorgen.

Um die heute oft nur noch schwer nachvollziehbare Provokation zu vermitteln, hat man zu einer gelungenen dialogischen Text-Bild-Gestaltung gegriffen: In unmittelbarer Nähe der Bilder befinden sich an den Wänden jeweils zeitgenössische Kommentare. Wenn man sie liest, gerät man nicht nur aufgrund der drastischen Sprache ins Staunen. Da wird Egon Schiele als "modernster Seelen-Höllen-Breugel mit sterbenskranken todsehnsüchtigen Nerven" bezeichnet und Gustav Klimts Kunst als das "Aergste, was man an künstlerischer Unverfrorenheit in Wien gesehen hat".

Und wer hätte gedacht, dass sogar der historistische Malerfürst Hans Makart zu Beginn seiner Wiener Zeit heftig angefeindet wurde. Für einen "unseriösen Blender" hielt ihn sein Kollege Moritz von Schwind, weil seine Kunst von "ungesunden kleinen geilen Farbeneffekten lebe". Noch schlimmer fiel das Urteil der Kritiker aus, die fanden, dass die erotischen Sujets "nicht scharf genug gegeißelt werden" können.

… postum rehabilitiert

Während Hans Makart allerdings noch zu Lebzeiten umjubelt wurde, erlebte Anton Romako seine Rehabilitierung nicht mehr. Erst Jahrzehnte nach seinem Tod erkannten Kunstsammler und Künstler wie Oskar Kokoschka, dass Romako mit seiner früh-expressionistischen und psychologisch ausgerichteten Malerei der Zeit kühn voraus galoppiert war. "Mädchen mit Früchten" (1875) nennt sich ein faszinierendes Bild aus der Sammlung des Lentos. Das Porträt zeigt in seiner expressiven Farbgebung, dem nervös-vibrierenden Pinselstrich und der sensiblen Charakterisierung einer jungen Frau, warum Romako heute gerne als Vorläufer der österreichischen Moderne gesehen wird.

Dass neue Kunstformen immer wieder für Aufregung sorgen, hängt mit den Grenzüberschreitungen zusammen, die herausragende Kunst ausmacht. Wenn Kunst ungewohnte Wege beschreitet, so müssen auch die Betrachter ihre Sehgewohnheiten und ihre Vorstellungen dessen, was Kunst angeblich zu sein habe, ständig hinterfragen. Provokation spielt dabei durchaus eine Rolle, meist aber nicht um ihrer selbst willen.

Kunst ist Provokation

Der Architekt Adolf Loos hat in einer romantisierten, aber pointierten Sicht charakterisiert, warum es dabei zwangsläufig zu einem Konflikt zwischen Künstler und Nicht-Künstler kommen muss. Da der Mensch in einer "gesicherten Position" aufgrund der Errungenschaften seiner Vorfahren lebt, bereitet es ihm Unbehagen, dass er diesen Platz verlassen soll, so Loos. "Und daher haßt er den künstlermenschen, der ihm die liebgewonnenen anschauungen durch neue verdrängen will."

Wie stets bei thematisch ausgerichteten Ausstellungen lässt sich über die gewählte Zeitspanne streiten. Allzu gerne hätte man im gleichermaßen erkenntnisreichen wie sinnlichen Parcours eine bedeutende feministische Position wie Valie Export mit ihrem "Tapp- und Tastkino" (1968) auch in der Tradition der Störenfriede gesehen. Vielleicht auch Elke Krystufeks Performance "Satisfaction" (1994) - selbst wenn ein Fortspinnen des Themas bis in die Gegenwart ohne die notwendige historische Distanz sicher dem seriösen Gesamteindruck geschadet hätte.

Störenfriede.

Die Schrecken der Avantgarde

von Makart bis Nitsch.

Lentos Kunstmuseum Linz

Ernst-Koref-Promenade 1, 4020 Linz

www.lentos.at

Bis 18. 5. Mi-Mo 10-18, Do 10-22 Uhr

Katalog: Störenfriede, Lentos Kunstmuseum, Linz 2008, 176 S., € 29, 90

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