Günter Brus - © APA-FOTO: APA/APA-IMAGES/IMAGNO/OTTO BREICHA

Zeit der Skandale

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Mit verstörenden Aktionen protestierte die künstlerische Avantgarde gegen die bürgerliche Gesellschaft und eine restriktive Kulturpolitik.

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Mit verstörenden Aktionen protestierte die künstlerische Avantgarde gegen die bürgerliche Gesellschaft und eine restriktive Kulturpolitik.

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Frühjahr 1968: Die internationalen Jugendproteste erreichen vor dem Hintergrund des Vietnamkriegs ihren Höhepunkt. In Österreich geht es vergleichsweise ruhig zu. Aber innerhalb der Kunst- und Literaturszene brodelt und gärt es: Im Mai lädt der 30jährige Künstler Günter Brus zu einer öffentlichen Aktion ins Wiener Kellerlokal "HipHop" am Judenplatz ein. Er nennt sie "Der Staatsbürger Günter Brus betrachtet seinen Körper". Betrachten heißt für den Aktionskünstler das Brechen mit zivilisatorischen Tabus, die Auseinandersetzung mit all dem, was von der bürgerlichen Gesellschaft und der restriktiven Kulturpolitik ausgegrenzt wird.

Noch ahnt niemand, daß dies die vorletzte "Körperarbeit" ist, die der damalige Aktionist in Österreich durchführen wird. Ein dreiviertel Jahr später wird er nach der "Uniaktion" - dem österreichischen 68er-Ereignis schlechthin - in der Boulevardpresse zum "meistgehaßten Österreicher" erklärt und bald darauf vor der sechsmonatigen Haftstrafe mit seiner Familie nach Deutschland flüchten.

Am eigenen Körper möchte der "Staatsbürger Brus" den Kampf gegen die erstarrten Strukturen im Wien der sechziger Jahre durchführen, in dem es unmöglich schien - so Brus - "auch nur kleinste Veränderungen vorzunehmen, ohne Ärgernis zu erregen oder einen Skandal zu verursachen". Auch wenn das primäre Anliegen ein künstlerisches und nicht politisches war, ging es um eine bewußte Provokation, die sich gegen die Nichtaufarbeitung der Nazi-Zeit, Einschränkung des Individuums und eine "indiskutable Kulturpolitik" wendet.

Der "Staatsbürger" als geknechteter Bürger

Dazu sagt Günter Brus heute: "Der Druck war damals so stark, daß man einen Gegendruck erzeugen mußte. Der Begriff ,Staatsbürger' war natürlich aggressiv gemeint, und auch auf dem Plakat war die österreichische Flagge abgebildet. Das war eine Attacke! Der ,Staatsbürger' war das Synonym für einen geknechteten Bürger, der den Zwängen der Staatsfesseln nicht entfliehen kann."

Die österreichische Avantgarde der sechziger Jahre ist zunächst von internationalen Strömungen abgeschnitten: "Wir waren ja damals wirklich hinter den Bergen und wußten zu wenig von den Bewegungen in der Welt hinter dem Arlberg", bemerkt Brus. Gerade die von den Künstlern als so beengend empfundene Situation führt zu extremen Äußerungen. Die Medienkünstlerin Valie Export sieht dies rückblickend als Chance: "Es war eine echte Aufbruchsstimmung, alles war so mit Lust verbunden, mit der Lust an der Provokation, mit der Lust am künstlerischen Material, mit der Lust am radikalen Ausdruck ..."

Heute gelten die Künstler und Literaten, allen voran die "Aktionisten", als die eigentlichen Akteure, die das Jahr des weltweiten Protestes in Österreich eben mit künstlerischen Mitteln austrugen. 1968 ist jedoch nur als Höhepunkt einer Tendenz zu sehen, die sich bereits Jahre zuvor angebahnt hatte. Denn während man sich in der Öffentlichkeit gerade an den "Phantastischen Realismus" gewöhnt, hat die Avantgarde andere Wege eingeschlagen, die den Kunst- und Literaturbegriff an sich hinterfragt und dadurch zunächst die interne Kunstgemeinde schockiert.

Man zweifelt grundlegend an den Medien, an Farbe und Leinwand als traditionelle Bildträger, vor allem auch an der Sprache: Die Skepsis gegenüber der Sprache - auch als Herrschaftsinstrument der Machthabenden mißbraucht - kommt besonders deutlich in Oswald Wieners Roman "die verbesserung von mitteleuropa" zum Ausdruck. Die Skepsis am traditionellen Tafelbild und der Versuch, die Kunst auf die Wirklichkeit auszudehnen, führt bei Günter Brus und seinen Aktionismuskollegen Rudolf Schwarzkogler, Hermann Nitsch und Otto Mühl zum "Ausstieg aus dem Bild".

Bereits dies wird jedoch als extreme Provokation verstanden. Als Brus 1965 als lebendiges Bild - von Kopf bis Fuß weiß bemalt, mit einem schwarzen Strich den Körper in zwei Hälften geteilt - bei seinem "Wiener Spaziergang" unter größtem Aufsehen durch die Innenstadt spaziert, wird er von Polizisten festgenommen und vorbestraft.

Zunächst geht es den Künstlern um ästhetische Anliegen, die in der Kunstgemeinde ausgetragen werden. Zu der künstlerischen gesellt sich aber zunehmend eine politische Komponente. "kunst ist politik, die sich neue wege der kommunikation geschaffen hat", schreibt Oswald Wiener '68 auf dem "Einladungstext zur ,Uni-Aktion'".

"Kunst und Revolution"

Die Berührung von Kunst und Politik führt schließlich zum berühmt-berüchtigten Ereignis von 1968: Als Günter Brus, Oswald Wiener, Otto Mühl, Peter Weibel und Franz Kaltenbäck am 7. Juni im Rahmen der vom SÖS (Sozialistischer Österreichischer Studentenverband) organisierten Veranstaltung "Kunst und Revolution" in den Hörsaal 1 der Wiener Universität zur "Diskussion" geladen werden, kommt es vor 400 Zuschauern zum Eklat, der später zur Verhaftung von Brus, Mühl und Wiener und zur Selbstauflösung der SÖS führt.

Nach einem einleitenden Referat eines SÖS-Mitgliedes über "Stellung, Möglichkeiten und Funktionen der Kunst in der spätkapitalistischen Gesellschaft" werden von den Künstlern Simultanaktionen durchgeführt: Während Mühl ein Pamphlet über die Kennedy-Familie liest und anschließend eine Aktion mit der "Direct Art Group" durchführt, trägt Weibel einen Text über Finanzminister Koren vor. Oswald Wiener hält einen Vortrag über die "Input-Output-Relation" zwischen Sprache und Denken und Brus führt seine 33. Körperaktion durch.

Den Skandal und die Hetzkampagne hat jedoch nicht die unmittelbare Reaktion des geschockten Publikums ausgelöst. Vielmehr war es die Perversionen imaginierende Boulevardpresse und eine großteils falsche und ungenaue Berichterstattung, die die sofortige Verhaftung der "Uniferkel" Brus, Wiener und Mühl forderte. Während die Geschworenen Wiener freisprechen, wird Mühl zu vier Wochen Haft verurteilt - Brus wegen "Herabwürdigung österreichischer Symbole" und "Verletzung der Sittlichkeit und Schamhaftigkeit" zu sechs Monaten strengem Arrest.

Als man die Berufung ablehnt, flieht Günter Brus nach Berlin. Hier gründet er mit Oswald Wiener und Gerhard Rühm als künstlerischen Protest gegen die Repressionen in Wien die "Österreichische Exilregierung", deren Zeitschrift "Die Schaßtrommel" zum wichtigsten Sprachrohr der "Exilavantgarde" wird.

Heute - 30 Jahre später- blickt das ehemalige Enfant terrible versöhnlich auf die 68er-Ereignisse. "Was die Rückschau auf das eigendümmlich volkstümelnde Österreich meiner Wiener Jahre anlangt, fiel es mir in der heimatlichen Fremde nach und nach leichter, Haßgefühle in Spaßgefühle zu verwandeln. Seit Bruno Kreisky und der nachfolgenden Kulturpolitik standen ,Skandale' nicht mehr so zur Debatte."

Provokation ist für den mittlerweile als Aktionisten und als herausragend bildnerisch-literarischen Grenzüberschreiter in die Kunstgeschichte eingegangenen Staatspreisträger längst kein Thema mehr: "Es kann ja in Österreich oder einem anderen Staat schon seit geraumer Zeit kaum mehr provoziert werden. Wenn wir die Gegebenheiten einer verbesserten Gesellschaft haben, dann müssen wir sie annehmen. Die Kunst ist ja nicht ausschließlich gegen etwas gerichtet, sondern auch für etwas. Aber sicher nicht unbedingt für den Staat. Sondern für humanes Denken, Erweiterung der Sinne, eine größere Toleranz ..."

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