Schau mir in die Augen, Graz

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Das Kulturhaus, das vor 30 Jahren die klassische Moderne nach Graz brachte, verabschiedet sich mit der Ausstellung "As Time Goes By".

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Das Kulturhaus, das vor 30 Jahren die klassische Moderne nach Graz brachte, verabschiedet sich mit der Ausstellung "As Time Goes By".

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In Vorbereitung auf Graz als europäische Kulturhauptstadt 2003 wird eine kulturelle Institution geschlossen. Seit 30 Jahren besteht das Kulturhaus, untergebracht in einem kleinen, noblen Stadtpalais aus der Gründerzeit. Nun findet dort die letzte Ausstellung statt. Unter dem Titel "As Time Goes By" werden Beispiele der österreichischen Bildkunst aus dem 20.Jahrhundert gezeigt.

Damals, bei der Gründung wollte man eine Institution schaffen, die den Ausblick auf eine größere Welt der bildenden Kunst eröffnete, als Graz ihn bieten konnte. Im Jahr 1972 wurde Otto Breicha zum Leiter bestellt. Er war Kunst- und Literaturkritiker, Ausstellungsmacher und arbeitete als solcher für renommierte Galerien und Museen. Für das Grazer Kulturhaus hatte er große Pläne. Es sollte ein Haus nicht nur für Ausstellungen sein. Lesungen, Diskussionen, sogar Filmabende sollten das Programm bereichern.

Die Wirklichkeit war anders. Mit einem Mini-Budget und verhältnismäßig kleinen Räumen konnte man keine großen Sprünge machen. Doch fehlte es Breicha nicht an Ideen. Seine wertvollste Hilfe fand er in Renate Maruschko. In gemeinsamer Arbeit gestalteten sie in den folgenden Jahren nicht weniger als 549 Ausstellungen. Man kann die Liste der präsentierten Künstler nur alphabethisch angeben. Sie beginnt mit Kurt Absalom und endet mit Robert Zeppel-Sperl. Dazwischen finden ich Namen wie Fronius, Kokoschka, Rainer, um nur einige zu nennen. Da gab es immer wieder die Begegnung mit aufstrebenden Talenten wie den damals noch nicht 30jährigen Manfred Erjautz oder den noch jüngeren Klaus Holzmann.

Das Gegengewicht bildeten Ausstellungen arrivierter Künstler, die aber für Graz Neuland waren. Um nur zwei Beispiele zu nennen: Das Kulturhaus zeigte in vorbildlicher Aufbereitung das graphische Werk von Max Ernst aus der Sammlung Würth und Picassos Lithographien aus den Jahren 1919 bis 1969.

Man muss sich in die Atmosphäre der Vergangenheit versetzen, um zu verstehen und zu würdigen, welche Bedeutung diese Begegnungen damals hatten. Heute sind Zeichnungen von Klimt, Ölbilder von Wilhelm Thöny oder die zu seiner Zeit als "entartet" verbotenen Werke von Emil Nolde fast jedem Kunstfreund aus eigener Anschauung bekannt. Damals aber kannte man sie fast nur aus Abbildungen. Breicha machte die Begegnung mit dem Original möglich. Er verstand es, aus öffentlichen Sammlungen und aus Privatbesitz solche Bilder und Skulpturen in sein Haus zu holen, die den Rahmen nicht sprengten, dennoch aber repräsentativ für einen Stil, eine Epoche, einen Künstler waren. Dadurch hatten die Ausstellungen den besonderen Reiz der Intimität.

Nicht alle aber waren von Ernst getragen. So brachte die Schau der "Phantastischen Humoristen" Heiter-Bissiges von Sempe, Topor oder Ungerer.

Von Anfang an litt das Kulturhaus nicht nur an einem mehr als bescheidenen Budget, auch die Räume wurden beschnitten. Im Haus wurden nämlich auch andere Institutionen untergebracht wie das Kulturamt der Stadt Graz, verschiedene Büroräume, ein Kindergarten und ein Nachtlokal. Solchen Zwecken musste auch die vielversprechende Kunstvermittlung weichen. Diese ist nämlich keine Errungenschaft der Mega-Event-Ausstellungen der jüngsten Zeit. Schon viel früher errichteten Renate Maruschko und ihre Mitarbeiter Werkstätten für verschiedene grafische Techniken, von der Lithographie bis zur Radierung, auch mit Holz und Ton arbeiteten Kinder und Jugendliche.

Breicha sagt über all diese Jahre: "Es war, als ob wir mit einem Dreirad über die Autobahn fuhren, als ob wir uns bemühten, mit unzulänglichen Mitteln unseren Weg zu machen." Ein aufgeschlossenes, neugieriges Publikum folgte gern auf diesem Weg und führte die Ausstellungen zum Erfolg.

Da muss man sich wirklich fragen, warum ausgerechnet jetzt, wenn Kultur in Graz so groß geschrieben werden soll, gerade diese Institution ein Ende finden wird. Das Gebäude wird zu einem "Literaturhaus" gemacht für Lesungen und Diskussionen, wie sie auch Breicha geplant hatte. Man verspricht nun für die kommende Kulturstadt den Neubau eines "Kunsthauses" am rechten Murufer. Ob es die spezielle Aufgabe des Kulturhauses übernehmen kann, wird sich zeigen. Vielleicht soll es das auch gar nicht tun, denn gefragt sind angeblich Mega-Events, die nie die Absicht Otto Breichas waren. Nun gilt es also, Abschied zu nehmen und zum letzten Mal eine der charakteristischen Ausstellungen im Kulturhaus zu besuchen.

Ursprünglich bestand der Plan, von allen Künstlern und Künstlerinnen, die ausgestellt worden waren, ein wichtiges Werk zu zeigen, doch hätte das die Möglichkeiten weit überschritten. So sind nun Arbeiten österreichischer Künstler zu sehen. Im Parterre des Kulturhauses sind es Werke etwa von Klimt, Schiele, Kokoschka oder Weiler. Der erste Stock bietet ein Kompendium der österreichischen bildenden Kunst nach 1945. "Ende gut, alles gut", meint Breicha. Nun, das Ende ist von der Qualität des Gebotenen mehr als gut. Ob alles weitere auch gut sein wird, muss sich erst zeigen.

Bis 7. Jänner 2001

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