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Beginnende ,Polonisierung'

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Glanz, Flitter und Erfolg von Sarajevo sind bereits verblaßt, Jugoslawien ist zu vor-olympischer Normalität zurückgekehrt. Sie ist überaus bitter.

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Glanz, Flitter und Erfolg von Sarajevo sind bereits verblaßt, Jugoslawien ist zu vor-olympischer Normalität zurückgekehrt. Sie ist überaus bitter.

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Belgrads Bürger, die mißmutig in den langen Schlangen sich um jene staatlich subventionierten Brathähnchen anstellen, die nun wieder erhältlich und bedeutend billiger sind als das Federvieh der privaten Bauern, entnehmen den Morgenzeitungen keine guten Nachrichten:

Hinter den nackten Zahlen und dürren Berichten versteckt sich nämlich die Aussicht auf eine düstere Zukunft. Im Februar lagen die jugoslawischen Exporte 16 Prozent unter dem Vergleichszeitraum des Vorjahres. Hingegen stiegen die Importe um 4 Prozent, aus den Ländern mit Hartwährungen gar um 5 Prozent.

In Kroatien, dem Sitz der größten jugoslawischen Erdölfirma INA, kann nicht einmal die Hälfte

des geplanten Bedarfs gedeckt werden. Die unausweichliche Folge des Mangels an öl, Erdgas und Elektrizität: Die Industrieproduktion dieser Teilrepublik ist um 6 Prozent unter das Vorjahrsniveau zurückgesunken.

Die Metallproduktion erreichte gar nur 68 Prozent der Leistung des Vorjahres, weil es nicht nur an Devisen, sondern auch an Rohstoffen und Energie fehlt; die Zahl der Betriebe, die deswegen ihren Ausstoß und damit auch den Export hat einschränken müssen, ist innerhalb eines Monats von 46 auf 55 Prozent gestiegen.

Die in der Vorwoche getroffenen Umschuldungsvereinbarun-gen für Jugoslawien mit westlichen Banken, Gläubigerländern und dem Internationalen Währungsfonds waren absolut notwendig, um den Vielvölkerstaat vor der Erklärung der Nichtzah-lungsfähigkeit zu retten. Trotzdem wird Jugoslawien, das heuer 5,1 Milliarden Dollar an Zinsen-und Kreditzahlungen zu leisten hat, alle Mühe haben, seinen Verbindlichkeiten pünktlich nachzukommen. Denn die Exporterlöse werden immer mehr durch den Schuldendienst aufgefressen.

Für diese Finanzhilfe, die nun wieder gegeben wird, hat der Internationale Währungsfonds harte Bedingungen gestellt - etwa die Freigabe der Preise und eine neuerliche Dinar-Abwertung. Dies mag zwar langfristig eine wirtschaftliche Stabilisierung herbeiführen, wird die Bevölkerung aber neuen Belastungen aussetzen.

Seit Jahren galoppiert die Inflation im Vielvölkerstaat zu israelischen oder südamerikanischen Dimensionen. 1980 lag die Inflationsrate bei 30 Prozent, 1981 bei 46,

1982 bei 50 und im letzten Jahr knapp unter 60 Prozent.

Zusammen mit der rapiden Entwertung des Dinar (er verlor

1983 gegenüber dem US-Dollar um 101 Prozent) ist damit völlig klar, daß der Bevölkerung heuer noch schwerere Opfer abverlangt werden. Die Realeinkommen, die von 1980 bis 1983 um 25 Prozent zurückgingen, dürften weiter absinken.

Laut Einschätzung der „Eko-nomska politika" steht „Jugoslawien heute auf dem gleichen Niveau wie Portugal, mit dem bedauerlichen Unterschied, daß der Pro-Kopf-Verbrauch in Portugal um 20 Prozent höher liegt. Nach offiziellen Hochrechnungen werden die Jugoslawen 1990 ihren Lebensstandard von 1980 erreichen." Das ist die beginnende „Poloni-sierung" des Vielvölkerstaates in wirtschaftlicher Hinsicht.

Sie zeigt sich auch in anderen Bereichen. Die Arbeitsverweigerung hat bedrohliche Ausmaße angenommen. 1982 gingen Jugoslawien 93 Millionen Arbeitstage verloren. Streiks, bisher eine Seltenheit, haben 1983 zugenommen. Im ersten Halbjahr 1983 gab es 172 mit 12.000 Streikenden. Nach Angaben der Gewerkschaft ist vor allem beunruhigend, daß die Ausstände „erstmals nicht auf Lohnerhöhungen oder die Beseitigung von konkreten Mißständen zielten, sondern der Unzufriedenheit mit der allgemeinen Situation entsprangen" („Danas" vom September 1983).

So gesehen hat das Wort des Parteichefs von Bosnien-Herzegowina, Hamdjia Pozderac, auf der letzten ZK-Sitzung durchaus seine Berechtigung: „Wir haben einen Sorge erregenden Mangel an Kraft zu beklagen."

Partikularismus und Nationalismus sind weiterhin zerstörende Kräfte im Vielvölkerstaat. Zuletzt zeigte sich das bei der Nominierung des neuen Staatspräsidiums, das im Mai die Amtsgeschäfte antreten wird. Als neuer Vorsitzender des kollektiven Staatspräsidiums wurde nämlich der Montenegriner Veselin Djurano-vic bestimmt — was wütende Proteste aus Slowenien nach sich zog.

France Popit, ursprünglich als Vertreter Sloweniens für das Staatspräsidium vorgesehen, warf das Handtuch. Begründung: Er wolle nicht mit jenem Mann zusammenarbeiten, der als Ministerpräsident Jugoslawien in die wirtschaftliche Misere und Auslandsverschuldung geführt habe.

Djuranovic erhielt Schützenhilfe aus Serbien, das meinte, nicht er, sondern die regionale Wirtschaft sei für die Auslandschulden und ökonomische Misere verantwortlich. Dies war wiederum ein von allen verstandener Seitenhieb gegen Kroatien, das als Teilrepublik hemmungslos Kredite aufgenommen hatte, ohne den Belgrader Regierungschef auch nur zu fragen.

Diese Nationalismen, angefacht durch die Wirtschaftskrise, tragen auch einen großen Teil Schuld daran, daß Papst Johannes Paul II. seinen für Sommer geplanten Besuch in Jugoslawien verschieben mußte. Ausschlaggebend dafür waren folgende ungelöste Probleme:

• Die Serben hätten eine Visite des Heiligen Vaters im KZ Jase-novac gewünscht, wo er die Serben um Vergebung hätte bitten sollen, was die kroatisch-katholischen Ustaschen den Serben im Zweiten Weltkrieg an Gewalt angetan haben.

• Ein Besuch des Papstes beim Grab des kroatischen Kardinals und Märtyrers Stepinac wäre für die Belgrader Führung nicht tragbar gewesen, weil der Kirchenfürst noch immer als „Staatsverbrecher" gilt.

• Eine geplante ökumenische Begegnung mit der autokephalen makedonischen Orthodoxie stieß auf den wütenden Widerstand des serbischen Patriarchats, weil dieser in den Makedoniern Abtrünnige sieht und bereits bestehende Kontakte mit dem Vatikan als „Verrat" wertet.

• Eine geplante Visite von Johannes Paul II. in der von „nationalistischen Unruhen erschütterten Provinz Kosovo (um mit Vertretern der Moslems zusammenzutreffen) schockte das Belgrader Protokoll vollends. Obwohl politisch unerwünscht, erklärte Belgrad offiziell, der Besuch stelle ein zu großes „Sicherheitsrisiko" dar.

So ist also der Papstbesuch in Jugoslawien letztlich auch an den krisenhaften Entwicklungen, widersprechenden Interessen und Nationalismen gescheitert, die die Gesamtlage des Balkanstaates nun schon so lange — und wie zu befürchten ist — dauerhaft prägen.

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