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Föderalismuskrise in Jugoslawien

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Immer deutlicher wird in Jugoslawien die Tendenz zu mehr Autonomie und Föderalismus. Bestätigt wird dieses Streben durch eine Studie der Universität Laibach.

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Immer deutlicher wird in Jugoslawien die Tendenz zu mehr Autonomie und Föderalismus. Bestätigt wird dieses Streben durch eine Studie der Universität Laibach.

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Daß das heutige Jugoslawien sich in einer wirtschaftlichen und auch währungsmäßigen Krise befindet, ist international hinreichend bekannt. Allein schon der ständige Kursverfall des Dinar, der sich immer rascher fortsetzt, ist ein Zeichen hiefür. Die internationale Stahlkrise macht sich ebenfalls bemerkbar, denn beispielsweise die Eisenwerke im Raum Jesenice (Aßling), die dort übrigens eine Umweltverschmutzung sondergleichen mit sich ge-

bracht haben, sind in großen Schwierigkeiten, deren man nur mit Heranziehung sehr billiger Arbeitskräfte aus Mazedonien und Südserbien einigermaßen Herr wird.

Offiziell ist Jugoslawien allerdings im Begriff, die Krise bis spätestens zum Jahr 2000 zu meistern, dies sogar besser als Westeuropa, soweit dort Krisen feststellbar sind. Die hochoffizielle Studienzentrale Jugoslovenska Stvarnost — Medjunarodna Poli-tika behauptet dies in einer Studie „ugoslawien in der Weltwirtschaft an*der Schwelle des 21. Jahrhunderts“ und beruft sich in einer weiteren Publikation (in Englisch) über „ugoslawien, die Vereinten Nationen und die Blockfreiheit“ auch auf die verbesserten politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zur westlichen Staatenwelt.

Daß die Beziehungen zum Ostblock auch wirtschaftlich nicht nennenswert ausgebaut sind, ist bekannt, man bekommt in Jugoslawien auch kaum Waren aus dem Ostblock, liefert allerdings zum Beispiel nach Polen Autos, die in Jugoslawien in Lizenz (Fiat) erzeugt werden. Zahlungen in Devisen sind nahezu unmöglich. Aber die Krise ist in Wirklichkeit in erster Linie eine politische, da sich verschiedene Gebiete (Teilrepubliken, autonome Gebiete) mit Nachdruck gegen die großserbische Hegemonie wehren und auf mehr echten Föderalismus hinsteuern, der auch ein ethnischer Föderalismus sein sollte.

Bekannt ist die Krisensituation in der Autonomen Region Kosovo, die bereits zu mehr als 75 Prozent aus Albanern besteht. Die Geburtenrate ist dort weit höher als der jugoslawische Durchschnitt und insbesondere höher als in der Teilrepublik Serbien, zu der Kosovo (Autonomna Pokraj-na KoSovo) gehört. Kosovo, das heißt die Albaner in Kosovo, wollen zunächst einmal den Status einer Teilrepublik im jugoslawischen Staatsverband erlangen, wogegen sich aber die Serben erbittert wehren.

Aber immer deutlicher wird die Tendenz zu mehr Autonomie und zu echtem Föderalismus in der Teilrepublik Slowenien. Das ergibt sich überdeutlich aus den Umfrageergebnissen der Delavs-ka enotnost (Arbeitereinheit) Nummer 46 mit dem Titel „Slo-vensko Javno Mnenje“ (Die slowenische öffentliche Meinung) von Ende 1'987, die in sehr großer Auflage in Slowenien verbreitet wird. Die statistischen Ergebnisse dieser Umfragen, die von der Universität Laibach, Fakultät für Soziologie, Politikwissenschaft und Journalismus, gemeinsam mit dem Zentrum für Kommunikationswissenschaft in Laibach durchgeführt wurden, zeigen eine zunehmend größere Distanz zum Kommunismus - die Bezeich-

nung „Marxismus-Leninismus“ ist jn ganz Jugoslawien schon vor mehr als zehn Jähren ünüblich geworden — und der Bund der Kommunisten (Zveza komuni-stov) findet 1987 nur noch bei 31,3 Prozent der Befragten Anklang (1984: 45,3 Prozent).

Tito hatte in ganz Jugoslawien während des Krieges laut dieser Umfrage bei 82,4 Prozent der Bevölkerung Ansehen, in Slowenien aber nur bei 3,3 Prozent, jetzt in Jugoslawien bei 5,6 Prozent, in Slowenien nur noch bei 0,1 Prozent (trotz der großen Namenge-bung von Straßen wie Titova Ce-sta, der längsten Straße in Laibach, oder des Namens Titograd in Serbien), 90,9 Prozent der befragten Slowenen sind nicht Mitglieder des Bundes der Kommunisten und 26,5 Prozent Nichtmit-glieder des Bundes der Sozialisten (Socialisticna Zveza), 43,2 Prozent wünschen mehr Selb-

ständigkeit für Slowenien im Ge-samtstaat, 65,5 Prozent sind für mehr “Berücksichtigung“ der slowenischen Sprache, allerdings sprechen sich 64 Prozent gegen den Verbleib von Bundespräsident Waldheim in seinem Amt aus, 72,4 Prozent wollen mehr Distanz zu Jugoslawien, weil dieser ein von Serben geführter Staat ist.

Aber auch die Zuwanderung von Serben und vor allem von Mazedoniern nach Slowenien wird einhellig mißbilligt, die Befragten äußerten sich strikt im Sinne eines Zuwanderungs- beziehungsweise Unterwanderungsverbots. Auf die vielen Fragen in bezug auf Regionalismus und Föderalismus wird nahezu einhellig eine Stärkung dieser Erscheinungen verlangt.

Ein Gespräch mit dem Metropoliten von Slowenien, Erzbischof Alojzij Sustar ergab, daß die katholische Kirche in Slowenien

durchaus lebendig ist, wie auch (in den Kirchen) die katholischen Wochenschriften wie Drüzinä, Vjera in Dom, Nedelja und so weiter gute Abnahme finden.

Allerdings zeigt das Ergebnis der eingangs erwähnten demographischen Ermittlungen, daß das katholische Glaubensgut im Schwinden begriffen ist. An ein Fortleben nach dem Tod glauben laut dieser Erhebung nur 50,5 Prozent der Befragten, 22,2 Prozent meinen, ein Fortleben sei vielleicht möglich, der Tod könne nicht von allem das Ende bedeuten, an die Erscheinung der Muttergottes in Medjugorje glauben nur 8,3 Prozent und 81,5 Prozent überhaupt nicht, an die Existenz des Teufels glauben 85,4 Prozent nicht und nur sechs Prozent glauben, daß es ihn gibt, aber die Weihnachtsansprache im Laibacher Fernsehen durch den Erzbischof wird von 49,3 Prozent begrüßt. Die Vordringlichkeit der Errichtung einer Moschee in Ljubljana für die Muslime wird von 56,1 Prozent verneint.

Natürlich spielt bei letzterer Frage auch die weitgehende Ablehnung der Zuwanderung von Muslimen aus Bosnien, Kosovo und so weiter eine Rolle. Und dann muß wohl auch bedacht werden, daß bei Kriegsende fast die ganze, durchwegs katholische Intelligenz Sloweniens, die teilweise auch mit antikommunistischen Grundsätzen auftrat (Domobran-ci) entweder die Flucht ergriff (heutige katholische exilslowenische Zentren sind Buenos Aires, Barcelona, England und München) oder liquidiert wurde (die Namen wurden 1986 von „Svobod-na Slovenija“ in Buenos Aires veröffentlicht). Zu erwähnen ist noch, daß reges Interesse für die Lage der Slowenen in Italien und vor allem in Österreich (Kärnten) besteht und das der Beseitigung der slowenischen Volksgruppe in Kärnten dienende sogenannte Pädagogenmodell allgemeine Mißbilligung findet.

Der Autor ist Professor für Nationalitätenrecht und Regionalismus.

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