Sloweniens Kunst, aufzustehen

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Slowenien sah sich als neuer Staat vor allem mit großen wirtschaftlichen Herausforderungen konfrontiert. Nach einem halben Jahrhundert relativen Wohlstands als Teilrepublik Jugoslawiens (mit rund 24 Millionen Einwohnern) verlor Slowenien mit der Staatsgründung den wichtigen jugoslawischen Absatzmarkt.

Mit einem Anteil von weniger als zehn Prozent der Gesamtbevölkerung erwirtschaftete die nördlichste Teilrepublik Jugoslawiens vor der Trennung mehr als 20 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP). Der Zweimillionen Einwohnerstaat Slowenien beschäftigte 1990 rund 800.000 Menschen. Die Zahl von rund 20.000 registrierten Arbeitslose war vergleichsweise gering. Diese stieg allerdings in den folgenden zwei Jahren um das siebenfache, auf knapp 140.000. Die Daten aus dem heurigen Jahr weisen 104.000 Arbeitslosen aus.

In der Anfangsperiode als neuer Staat musste unter anderem der Großteil der slowenischen Schwerindustrie die Fabrikstore schließen, da die jugoslawische Armee - zuvor einer der wichtigsten Abnehmer - als Kundschaft wegfiel. Tausende Menschen waren über Nacht arbeitslos. Insbesondere Maribor, die zweitgrößte Stadt Sloweniens und traditionell das Zentrum für Schwerindustrie im Land, traf es mit rund 20 Prozent Arbeitslosigkeit schwer.

Vorrangig geklärt werden musste nach der Staatsgründung vor allem: n die Frage nach der Privatisierung von Unternehmen; n Die Verwaltung musste dereguliert und neue Strukturen aufgebaut werden. Denn im Gegensatz zu den ehemaligen Ostblockstaaten war Slowenien zuvor kein eigener Staat und entsprechende Strukturen fehlten.

n Eine Entstaatlichung von nach dem zweiten Weltkrieg verstaatlichtem Eigentum war ebenso angesagt und n die Deregulation der Wirtschaft, des Finanzmarktes und der Medien stand als wichtiges Tätigkeitsfeld an.

Weniger problematisch schien die Richtung der Außenpolitik, da es unter der Slowenischen Bevölkerung bereits Mitte der achtziger Jahre einen breiten Konsens darüber gab, in Richtung EU-Integration zu steuern. Im Vergleich zu den ehemaligen Ostblockstaaten ging Slowenien bei der Finanz- (ausländische Investoren wurden beispielsweise kaum ins Land gelassen), der Sozial- und Gesundheitspolitik einen besonderen Weg - und hatte damit Erfolg. Der UN-Entwicklungsindex stellt Slowenien ein gutes Zeugnis aus: im Vorjahr lag der junge Staat auf Platz 28 von insgesamt 174 angeführten Nationen (Österreich ist auf Platz 16).

Ein sehr eigener Weg Der Gesandte des Internationalen Währungsfonds (IWF), Dimitri Demakas, meinte dazu bei einem Slowenienbesuch im letzten Februar: "Slowenien hat sich nach der Unabhängigkeit und dem Wechsel des Systems einen sehr eigenen Weg des Überganges ausgesucht, welcher bis jetzt aber anscheinend sehr erfolgreich ist. Entsprechend fast aller makrowirtschaftlicher Kriterien ist Slowenien der erfolgreichste aller Reformstaaten." Bei seinem Besuch unterstrich Demakas, dass Slowenien in der derzeitigen Situation drei großen Herausforderungen gegenübersteht: die relativ hohe Inflation (im Jahre 2000 rund neun Prozent), ein großes Defizit bei den öffentlichen Ausgaben (im Vorjahr rund vier Prozent des BIP) und ein unzureichend liberalisierter Finanzmarkt. Darüber hinaus sieht der IWF-Vertreter eine wesentliche Herausforderung in der Entstaatlichung der zwei größten slowenischen Geldinstitute und der Wirtschaft.

"Sogar die Vergangenheit ist nicht das, was sie einmal war!" Dieser Satz war in der slowenischen Opposition der achtziger Jahre populär. Die Pointe des Satzes ist die Infragestellung sozialer, historischer, wirtschaftlicher, kultureller und nicht zuletzt politischer Zustände der früheren staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung. Oppositionelle, die ihre Wurzeln in der 68er-Studentenbewegung hatten und Manager sowie Wirtschaftstheoretiker, die liberale Ideen im sozialistischen Jugoslawien aufrecht hielten, trugen großen Anteil daran, Slowenien schon in dem Jahrzehnt vor der Staatswerdung von innen heraus zu reformieren. Charakteristisch für diese slowenische "Reform von innen" war im Gegensatz zum restlichen Jugoslawien, dass sich diese Veränderungen des Systems schrittweise vollzogen und radikale Umwälzungen ausblieben. Auch die offene Grenze zu Österreich und Italien trug positiv zu dieser Entwicklung bei.

Umfallen war früher Die durchschnittliche Wachstumsrate betrug in den letzten zehn Jahren vier Prozent jährlich. Die wirtschaftlichen Kennzahlen dieser Periode näherten sich konstant den EU-Staaten an. Entsprach 1995 die durchschnittliche Kaufkraft der Slowenen zu 64 Prozent jener von EU-Bürgern stieg sie bis 1999 auf 71 Prozent an. 1996 erreichte Slowenien das wirtschaftliche Niveau von 1990. Im Jahr 1999 konnten von den Reformländern nur Polen (um 22 Prozent) und Slowenien (um neun Prozent) das Niveau ihres BIP aus 1989 übersteigen.

Bis 1997 budgetierte Slowenien ausgeglichen. In den folgenden Jahren machte der Staat Schulden, wogegen die Nationalbank unter ihrem damaligen Präsidenten France Arhar scharf protestierte. Arhar war zentraler Vertreter der vorsichtigen Linie bezüglich einer Öffnung Sloweniens für ausländische Investoren. In einem seiner letzten Interviews als Nationalbankpräsident (mit April dieses Jahres ist Nachfolger Mitja Gaspari im Amt) nannte Arhar das Motto seiner Arbeit, das auch für den wirtschaftlichen Erfolg Sloweniens in den letzten Jahren stehen könnte: "Die wirkliche Kunst ist, aufzustehen und stehen zu bleiben und nicht aufzustehen und dann wieder umzufallen. Das haben wir im vormaligen Staat zu oft getan."

Der Autor ist Redakteur bei Radio Slowenien und Vorsitzender des Verbandes slowenischer Wissenschaftsjournalisten.

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