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Vor den Wahlen in Jugoslawien

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Am 86. März läßt Tito das jugoslawische Volk den Bundes- und Nationalrat wählen.

über Wahlen in einem totalitören Staat zu schreiben, ist deshalb mißlich, weil es keine Alternative der Entscheidung gibt und weil das Ergebnis schon im voraus feststeht. So verhalten sich die Dinge auch im heutigen Jugoslawien. Tito und die Volksfront werden den Sieg davontragen, die Voraussetzungen dafür sind geschaffen. Es kann sich lediglich darum handeln, ob es dem Volke leichter oder schwerer gemacht wird, das von ihm geforderte unweigerliche Ja zu sagen.

Nun, Tito heroisiert den mühevollen Aufstieg zum Wohlstand und zwingt sein Volk, diesen Weg zu gehen:

Er führt ins Treffen, er habe den Schlüssel für die richtige Lösung der nationalen Frage, des chronischen Leidens jedes jugoslawischen Staates gefunden: sprachliche beziehungsweise nationale Besiedlungsgrenzen und geschichtlich begründete territoriale Einheiten bestimmen im gleichen Maße die jetzige Struktur des Staates. In Verwaltung und kulturellem Leben will man dem Streben nach Eigenleben der südslawischen Stämme weitgehend Rechnung tragen.

Tito führte eine hundertprozentige Nationalisierung der Industrie, des Verkehrs, des Kreditsystems, des In- und Außenhandels durch, er entriß „revolutionär“ die Wirtschaft aus den Händen des „volksfremden“ in- und ausländischen Kapitals und schuf damit die Basis für eine staatskapitalistische Wirtschaftsplanung. In seinem Lande stand eine verhältnismäßig kleine Schichte von Reichen seit jeher der großen Masse der Armen gegenüber, und von den großen westlichen Nationen verstanden es nur die Franzosen, psychologisch geschickt, sich dauernde Sympathien zu erwerben. In Anbetracht der großen Überfremdung des einheimischen Kapitals und der einheimischen Industrie klingt heute die Nationalisierung für das jugoslawische Ohr gut und schmeichelt dem angeborenen stolzen Nationalismus, mag sie auch vom Verzicht auf gar manche Standardbequemlichkeit begleitet sein. Das Engerschnüren des Leibriemens wurde dadurch leichter gemacht, da man von anderen gelernt hat, dem Volke greifbar nahezubringen, was Geld in staatlichen Händen zu leisten vermag: eine eigene Schwerindustrie wird aus dem Boden gestampft, Industriegiganten wachsen, Eisenbahnlinien werden gelegt, Straßen gebaut, Sümpfe getrocknet, Städte und Siedlungen entstehen, und das Volk mit Zahlenkult berauscht.

Im Wahlaufruf der Volksfront lesen wir: Die Steigerung der Produktion habe die Arbeitslosigkeit beseitigt, den Lebensstand vieler Menschen gehoben. Es mangle aber noch immer an bestimmten Artikeln des täglichen Bedarfs, an Wohnraum, an Gütern, die das Leben angenehmer und kultivierter gestalten. Man habe zwar eine eigene Industrie, doch immer noch sei man gezwungen, Maschinen und Rohstoffe aus dem Ausland einzuführen und sie mit der Ausfuhr eigener Waren, vorwiegend Agrar-produkten, die zu Maschinen im schlechten Tauschverhältnis stehen, zu bezahlen, was große Anstrengungen von Stadt und Land notwendig mache.

Es ist nicht leicht, die Interessen des Volkes eines Landes, in dem sich zwei Welten, Ost und West, mittendrin die Hände reichen, unter einen Hut zu bringen. Marschiert das fleißige slowenische Volk in der Industrialisierung an der Spitze, so muß erst der Süden das ostische Erbteil, das „ima Jos wremena“ — es hat noch Zeit“ — überwinden und folgt daher nur sprunghaft und unorganisch unsolid dem allgemeinen Schwung.

Keineswegs zufällig erblickte noch vor den Wahlen ein neues umfangreiches allgemeines Sozialversicherungsgesetz das Tageslicht, das Arbeiter, Angestellte, .alle, die nützliche Arbeit verrichten“, mit ihren Familien, die Studenten der Hoch- und Fachschulen, in der gesamten sozialen Versorgung rechtlich gleichstellt. Die Versicherungsleistungen des Arbeitnehmers werden abgeschafft und dem Staat zur Last gelegt.

Das Anwachsen der Industrie brachte natürlich ein Anwachsen der von der nährenden Scholle losgelösten Bevölkerung mit sich. Die staatlichen Zwangseinhebungen und der Ankauf freier Spitzen müssen heute in Jugoslawien fünfeinhalb Millionen Menschen ernähren. Nach dem Bruche mit dem Ostblock ist die Frage der Beschaffung der Lebensmittel in ein akutes Stadium getreten. Tito selbst ist weitsichtig genug, der Welt und seinem Volke diesen Zustand nicht vorzuenthalten. 19,7 Prozent der Anbaufläche sind zwar mehr oder weniger sozialisiert, das heißt in Staatsgüter und eine der vier Genossenschaftstypen eingeordnet. Die Struktur des jugoslawischen Dorfes begünstigte diese Entwicklung, hatten dcch 67,8 Prozent aller Besitze nur bis zu 5 Hektar Boden, 20,5 Prozent bis zu 10 Hektar, 11,7 Prozent über 10 Hektar Boden, wobei die letzteren mehr als 40 Prozent der gesamten Anbaufläche ausmachten. Das schon vor dem Kriege gut entwickelte Genossenschaftswesen wurde als Steigbügel für die Sozialisierung der Landwirtschaft benützt. Das übrige Land aber gehört heute noch den Mittelbauern, auf die man noch keinen vollen Einfluß ausüben kann. Die zunehmenden Zwangsabgaben haben die Bauern verärgert, die allgemeine Landflucht bewirkt Arbeitermangel, der Staat versagt die Hilfe und der Bauer wehrt sich seiner Haut. Er verringert die Anbaufläche und senkt damit die landwirtschaftliche Produktion. Die letzte, wegen ihrer außenpolitischen Schärfe bekannte Rede Titos, stellt eine breit fundierte Rechtfertigung des staatlichen Druckes auf die Bauern dar und gipfelt in einem Appell an sie, die Produktion zu steigern und mehr abzuliefern, die Verpflegung der Bevölkerung und wichtige staatliche Aufgaben machen das unumgänglich notwendig.

Es wird heute nicht breitgetreten, doch es ist Tatsache, daß sich Tito die Sympathien der intellektuellen Kreise im Staate erworben hat. Hat sie das alte Jugoslawien durch die schlechte materielle Versorgung in die Hände der sozial-revolutionären Ideologien getrieben, den Universitälsprofessor genau so wie den Studenten, im Süden stärker als im Norden, so hat der neue Staat ihren Lebensstandard gehoben, zum großen Teil haben sie sich als Volkstribune im Namen eines nationalen Aufstieges dem neuen System zur Verfügung gestellt. Sie haben aber auch den Koniakt mit den Massen noch nicht so wie in anderen Ländern verloren und ihr Wort hat im Volke Gewicht.

Armee, Polizei, Organe der Staatsgewalt haben dank der Struktur des Landes die privilegierte Stellung beibehalten. Dem natürlichen Trieb des Volkes, dem das Wehrhafte stark im Blute liegt, wird hiemit weiter Spielraum eingeräumt. Die Staatsmacht ist dort, landläufig gesprochen, in byzantinischen Traditionen verankert.

Und die Kirche: In den Ländern des europäischen Ostens und Südostens hat sich die Kirche, ich meine hier die orthodoxe Kirche, als dogmatisch und organisatorisch zu schwach erwiesen, um den neuen Heilslehren ernsthaften Widerstand leisten zu können. Anders die katholische Kirche Sloweniens und Kroatiens; man versuchte zunächst die Spitzen der katholischen Kirche unter dem Vorwand kollaborationistischer Rechnungen der Volksfeindlichkeit zü bezichtigen. Aber noch ist die Behandlung der Mitglieder der Ordensgemeinschaften grausam, Gerechtigkeit und Freiheit für sie zumeist ein leerer Schall.

Die Wahlreform, die für die Bundesratswahlen der Skupschtina keine Volksfrontlisten mehr vorsieht und theoretisch auch einem Kandidaten, der nicht der

Volksfront angehört, die Tür zum Parlament öffnet, hat in der Wahlpraxis keine Bedeutung, da ja 95 Prozent der Bevölkerung in der Volksfront oder anderen sozialistischen Massenorganisationen, welche die Kandidaten aufstellen, organisiert sind.

Ob das Jasagen des jugoslawischen Volkes einen echten Klang haben wird oder nicht, wird erst die Zukunft beweisen.

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