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Ein Krieg ohne Befehlshaber

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Es ist ein absurder Krieg sehr ungleicher Gegner, der sich vor unseren Augen abspielte • oder noch abspielt, niemand weiß es genau zur Stunde. Im Vergleich zu dem jüngst überstandenen Golfkrieg, der sich wie eine antiseptische Therapie ausnahm, wird uns jetzt eine Wirklichkeit ins Wohnzimmer geliefert, bei der Nachbarn, die wir kennen, vor unseren Augen sterben.

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Es ist ein absurder Krieg sehr ungleicher Gegner, der sich vor unseren Augen abspielte • oder noch abspielt, niemand weiß es genau zur Stunde. Im Vergleich zu dem jüngst überstandenen Golfkrieg, der sich wie eine antiseptische Therapie ausnahm, wird uns jetzt eine Wirklichkeit ins Wohnzimmer geliefert, bei der Nachbarn, die wir kennen, vor unseren Augen sterben.

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Einen regelrechten Einsatzbefehl für die jugoslawische Volksarmee hat es am 25., 26. Juni nicht gegeben. Lediglich der Kommandant des 5. Militärbezirks (Slowenien und Kroatien) hatte erklärt, die jugoslawische Volksarmee werde die Staatsgrenzen Jugoslawiens schützen. Den Einsatzbefehl hätte ja auch niemand geben können, weil der Oberste Befehlshaber in Gestalt des Staatspräsidiums gerade wieder nicht existent war.

Der Krieg, der vier Tage lang die Europäer - und nicht nur die Slowenen - das Fürchten lehrte, war eine halb-legale, begrenzte militärische Operation, die dennoch offiziellen Angaben folgend mindestens 64 Menschen das Leben kostete, während von den mehr als 100 Verletzten so mancher sein Leben lang gezeichnet bleiben wird. Dieser Krieg aber brachte gleichzeitig weder der Volksarmee noch der serbischen politischen Führung auch nur das winzigste Ruhmesblatt. Hingegen richtete er unermeßlichen Schaden an in psychologischer, in außenpolitischer Hinsicht, ganz zu schweigen von den materiellen Folgen. Er wird eine schwer zu heilende Wunde in der Volksseele hinterlassen bei den Slowenen ebenso wie bei denjenigen, die als Soldaten der Armee diesen Krieg ausführen mußten.

Noch immer, fast eine Woche später, ist nicht zu erkennen, wer die eigentliche, die politische Verantwortung für Blutbad und Desaster zu tragen hat. Registriert wurde, daß sehr schnell das serbisch-dominierte Rumpfpräsidium sowohl der Volksarmee als auch der Bundesregierung in Belgrad die Anerkennung für die schnelle und effektive Maßnahme des Armee-Einsatzes ausprach. Aber auch Ministerpräsident Ante Markovic ist nicht der legitime Oberbefehlshaber der Armee, er könnte den Einsatz höchstens empfohlen haben; und das wäre schlimm genug.

Rundschreiben an Rekruten

Ein wesentliche Rolle dürfte stattdessen die neugegründete kommunistische Parteiorganisation innerhalb der Armee von Alt-Partisanen und Alt-Kommunisten, zu Beginn des Jahres geschaffen, spielen. Zuverlässigen Quellen nach hat sie in den entscheidenden Tagen vor der feierlichen Unabhängigkeitsklärung der beiden Republiken eine Art Parteikonferenz abgehalten. Angeblich wurden bei gefangenen Soldaten in Slowenien Rundschreiben eben dieser Organisation gefunden, in denen den Rekruten klargemacht wird, daß sie in Slowenien „den Sozialismus" beziehungsweise das sozialistische Jugoslawien, verteidigen sollen, denn die Slowenen wollten sich mit den Feinden Jugoslawiens verbünden. Das mag kurzfristig verschreckte junge Menschen motiviert haben.

Der Armee gegenüberstehen in Slowenien, aber auch in Kroatien, sowohl Einheiten der territorialen Verteidigung, die noch zu Titos Zeiten entstanden und als Bürgermiliz fungieren sollten, als auch neugeschaffene gut ausgebildete Spezialheinhei-ten. Hinsichtlich des Oberbefehls über die territorialen Truppen, die von Region zu Region mit unterschiedlicher Intensität ausgebildet und bewaffnet worden waren, hat es immer wieder internen Streit zwischen der Armee und den Republiken gegeben. Als die Armee vor ein paar Jahren sich anschickte, den territorialen Einheiten die Waffen wegzunehmen, entstand der wohl tiefste Konflikt zwischen den Republiken und der Armee. Kroatien lieferte, wenn auch murrend, seine Waffen ab. Die Slowenen, deren Mißtrauen gegen alles Militärische tief sitzt, widersetzte sich dem Ablieferungsbefehl.

Es ist kaum ein Zweifel, daß die Armee in ihrer serbisch dominierten Führung gegenüber den Slowenen so etwas wie Rachegedanken hegt. Denn die Slowenen haben schon vordiesem Konflikt als erste der Republiken nach Titos Tod gegen den Stachel der Armee gedrückt, sich gegen den politischen Einfluß der serbischen Truppe zur Wehr gesetzt. Als Mitte der achtziger Jahre der Zeitschrift der slowenischen Jugendorganisation „Mladi-na" ein Dokument zugespielt wurde, das geplante Aggressionen der Armee gegen Slowenien enthüllte, und sie es veröffentlichte, kam es zu offenem Streit. Milan Kucan stützte zwar die „Mladina", konnte aber nicht verhindern, daß ein Militärgericht die Verantwortlichen Redakteure vor ein Gericht stellte und verurteilte. Einer der damals verurteilten ist der heutige slowenische Verteidigungsminister Janez Jansa.

B isher hatten die Slowenen den Ruf, ein bedächtiges, realitätsbezogenes, zivilisiertes Volk zu sein, das in Ruhe und Frieden leben und arbeiten möchte. Die Serben hatten den Ruf, zur Skrupel los igkeit zu neigen, brutal und unflexibel bei Meinungsunterschieden zu reagieren, beseelt von der Auffassung, zum Herrschen geboren zu sein. Im Aufeinanderprallen der letzten Jahre haben die Slowenen eine erstaunliche Zähigkeit und großen Mut bewiesen. Seit Jahren spielen sie mit offenen Karten in Richtung dieses Wunsches nach Souveränität und Unabhängigkeit. Wenn sie als internationaler Staat anerkannt werden wollen, dann müssen sie die völkerrechtlichen Voraussetzungen dafür schaffen. Dazu gehört die Sicherung von eigenen Staatsgrenzen.

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