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Balkanische Zinnsoldaten

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Albanien ist ein David unter den europäischen Ländern mit den militärischen Ambitionen eines Goliath. Im 28.748 Quadratkilometer großen gebirgigen, armen Küstenland leben derzeit 2,2 Millionen Staatsbürger, von denen 3,5 Prozent Dienst in den bewaffneten Streitkräften leisten müssen. Mehr als 80.000 Männer schützen somit das „erste gottlose Land der Welt”, als welches sich Albanien vor zwei Jahren feierlich deklarierte. Wenn Österreich oder die Bundesrepublik ähnlicherweise militarisiert und aufgerüstet wären, müßten sie Armeen von 245.000 respektive von mehr als 2,2 Millionen Mann unterhalten.

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Albanien ist ein David unter den europäischen Ländern mit den militärischen Ambitionen eines Goliath. Im 28.748 Quadratkilometer großen gebirgigen, armen Küstenland leben derzeit 2,2 Millionen Staatsbürger, von denen 3,5 Prozent Dienst in den bewaffneten Streitkräften leisten müssen. Mehr als 80.000 Männer schützen somit das „erste gottlose Land der Welt”, als welches sich Albanien vor zwei Jahren feierlich deklarierte. Wenn Österreich oder die Bundesrepublik ähnlicherweise militarisiert und aufgerüstet wären, müßten sie Armeen von 245.000 respektive von mehr als 2,2 Millionen Mann unterhalten.

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Dem einst moskau-roten, heute peking-gelben Regime des Enver Hoxha gefallen die Uniformierten mit ihren klirrenden Waffen wesentlich besser als die im Westen propagierten „Bürger in Uniform”, die nolens volens dienen. Infolgedessen zählt das stehende albanische Heer, das aus sieben Brigaden, darunter einer Panzerbrigade, besteht, mehr als 40.000 Mann. Bei der Luftwaffe dienen mehr als 4000 Mahn, denen mindestens 80 einsatzfähige Flugzeuge zur Verfügung stehen, und bei der Marine dienen weitere 3500 auf mehr als 45 kleineren Schiffen. Die zwischen zwei Stühlen sitzende Militärmacht, das zwischen NATO und Warschauer Pakt lavierende Albanien, dessen Schutzpatron im fernen China sitzt, fühlt sich gar nicht sicher — und das mit Recht! Deswegen unterhält das Regime auch eine große Parteiarmee in der Stärke von mehr als 35.00 Bewaffneten, zu welchen die rein politisch ausgerichteten „inneren Sicherheitskräfte” und die ganze Grenzwache hinzuzurechnen sind.

Viele balkanische Zinnsoldaten kosten auch viel. Ungefähr 12 Prozent des Jahresnationaleinkommens werden von ihnen verspielt, verspeist und verpulvert. Das sind ungefähr 120 Millionen Dollar jährlich, wobei die militärische allgemeine Schulung und das Abwehrtraining der zivilen „Volksmassen” weitere ansehnliche Ausgaben beanspruchen.

Der militärische Machtapparat Albaniens wurde in den vergangenen Wochen von der größten Führungskrise seit Gründung der kommunistischen Volksarmee heimgesucht. Die Armee wurde förmlich enthauptet, da Generaloberst Beqir Baliuku, Albaniens Verteidigungsminister seit 1953, Mitte Juni spurlos verschwand. Gerüchte, die nicht bewiesen sind, wollten von seiner Hinrichtung wissen. Rein theoretisch könnte er auch nur schwer erkrankt sein, aber andere schwerwiegende Umstände sprechen gegen eine solche Annahme. Anfang Oktober finden nun sogenannte „Wahlen” im Lande statt und wenn der Generaloberst nur vorübergehend an der Ausübung seiner Pflichten verhindert wäre, müßte er als parlamentarischer Vertreter Sku-, taris wieder auftauchen. Es ist jedoch zu befürchten, daß dies nicht geschehen wird. Was Baliuku verbrochen haben könnte, weiß man nicht, weil die zuständigen Instanzen sich wie immer in Schweigen hüllen. Für die Öffentlichkeit und für das Ausland existiert in Tirana kein

„Fall Baliuku”. Der Generaloberst war seit einem Vierteljahrhundert Politbüromitglied, seit 11 Jahren Verteidigungsminister und seit 10 Jahren stellvertretender Ministerpräsident. Als Politkammissar einer Partisanenbrigade begann er seine kometenhafte militärische Karriere. Avancierte als bewehrter Kämpfer durch eine gar nicht zimperliche Tätigkeit bei einem Militärgericht, das „Kriegsverbrecher und Volksfeinde” zu liquidieren hatte, und wurde im Jahre 1948 Stabschef der damaligen albanischen Roten Armee. Als Auszeichnung war es aufzufassen, daß er auf eine hohe Moskauer Militärschule abkommandiert wurde, um in fast zwei Jahren seine Fachkenntnisse entsprechend zu erweitern. Von Moskau kehrte er als bereits designierter Kriegsminister nach Tirana zurück, weshalb ihn oberflächliche Beobachter als russenhörig einstufen. Dem war aber nicht so. Seit der Wendung des Regierungskurses nach Peking war der Generaloberst einer der eifrigsten, fleißigsten und exponiertesten Befürworter der chinesischen Orientierung. Er führte in der vergangenen Dekade mehrere Militärdelegationen nach China, weilte mehrmals wochenlang in Maos Reich und lud große Militärabordnungen wiederholt auf monatelange „Sommerurlaube” an der Adriaküste ein.

Was mag Generaloberst Baliuku verbrochen haben? Keine Spekulation hilft da weiter, nur geduldiges Abwarten.

Bemerkenswert ist, daß Baliuku nicht allein aus dem Verkehr gezogen wurde. Die ganze Armeeführung wurde nachgerade geköpft. Dem Generaloberst folgten Generals’tabs- chef Petrit Dume, der höchste Polit- kommissar der Volksarmee, General Hito Cako, der stellvertretende Verteidigungsminister General Arif Hasko und mehrere Stabsoffiziere.

Der Generalstab und das Politische Direktorat der Volksarmee blieben nicht lange verwaist. Der neuernannte Generalstabschef heißt General Sami Metollari, Chefpoliferuk ist General Dilaver Poci. Von diesem letzteren weiß man nur, daß er Politbüromitglied war. Der frischgebackene Generalstabschef hingegen ist vollkommen unbekannt.

In Tirana spricht noch niemand von einer „Säuberung” und das Wort „Verrat” ist offiziell nicht gefallen. Daß eine derartige Erschütterung aber auf die Volksarmee nicht ohne Auswirkung bleiben kann, ist anzunehmen.

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