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„Es geht nicht mehr um Jugoslawien"

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Aufregung war in den Tagen vor dem 26. Juni auf den Straßen Laibachs nicht zu bemerken. Hinter den Kulissen gab es jedoch hektische Aktivitäten. Lojze Peterle erklärte der FURCHE, wie es nach der Unabhängigkeitserklärung weitergehen soll.

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Aufregung war in den Tagen vor dem 26. Juni auf den Straßen Laibachs nicht zu bemerken. Hinter den Kulissen gab es jedoch hektische Aktivitäten. Lojze Peterle erklärte der FURCHE, wie es nach der Unabhängigkeitserklärung weitergehen soll.

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FURCHE: Gibt es am 26. Juni eine neue Deklaration über die Unabhängigkeit Sloweniens oder tatsächlich einen neuen Staat in Europa?

MINISTERPRÄSIDENT LOJZE PETERLE: Der 26. Juni bedeutet eigentlich den Abschlußeines Prozesses der Selbständigkeitswerdung auf den meisten Gebieten, die dazugehören. An diesem Tag werden mehr als zehn neue Gesetze unterschiedlichster Art verabschiedet. Diese Gesetze bilden die rechtliche Grundlage für die effektive Übernahme der Macht. Auf einigen Gebieten haben wir diese schon jetzt übernommen, zum Beispiel auf fiskalischer Ebene. Einige Gebiete der Souveränität, wie zum Beispiel die Abwehr oder die Diplomatie, werden wir erst stufenweise durchsetzen und die Tür offenlassen für weitere Möglichkeiten der Absprache.

An diesem Tag wird unter anderen Akten auch die Deklaration über die Unabhängigkeit verabschiedet, womit der slowenischen und internationalen Öffentlichkeit mitgeteilt wird, warum und auf welche Weise es zum selbständigen Slowenien kam, welche Beziehungen wir zu anderen Republiken Jugoslawiens pflegen und so weiter.

FURCHE: Dann gehört Slowenien nicht mehr zu Jugoslawien?

PETERLE: Wenn sich Slowenien und Kroatien gleichzeitig für selbständig erklären, entsteht ein neuer rechtlicher Status. Es handelt sich dann nicht mehr um Jugoslawien. Obwohl es in rechtlich formeller Weise zu einer Diskontinuität kommt, wollen wir Beziehungen zum übrigen Jugoslawien der neuen Art weiterführen.

FURCHE: Wie soll das sein?

PETERLE: Wir nehmen das Zollgebiet in unsere eigenen Hände. Nur in der Übergangsphase soll das bisherige System noch funktionieren. Wir wollen nicht, daß es wegen der Änderungen zu Stauungen im Warenaustausch kommt.

Wir sollten auch weiterhin eine Armee haben, deren Befehlshaber das Präsidium sein soll. Auch deswegen sollten wir in der Übergangsphase noch die Mitgliedschaft im Bundespräsidium behalten.

FURCHE: Wie wollen sie Bundesund slowenische Armee entflechten?

PETERLE: Unser Vorschlag zielt darauf ab, daß sich die Armee bis 1993 stufenweise zurückzieht. Jedes Jahr soll die Armee um ein Drittel verringert werden. Und in diesem Zeitraum sollte die Bundesarmee noch den sogenannten grünen Streifen der Grenze schützen und die Lufthoheit gewährleisten. Wir sind also bereit, die Armee unter ihrem bisherigen Namen während der Übergangszeit funktionieren zu lassen. Die Truppen sollten aber unter slowenisches Kommando gestellt werden und auch die slowenische Sprache gebrauchen.

Weiters sind wir bereit, alle Mittel für Gehälter, Pensionen und für Invalidität von unserer Seite zu bezahlen. Auf keine Weise wollen wir die Hochachtung und Rechte dieser Leute angreifen. Mittels des Dialogs streben wir ein Übereinkommen mit der Armee an. Gleichzeitig sehen wir auch die Möglichkeit vor, in Zukunft wieder eine gemeinsame Armee auf der Basis der nationalen Armeen einzurichten.

FURCHE: Aus Slowenien ist zu hören, daß man eine Armee von 200.000 Mann • also zehn Prozent der Bevölkerung • aufstellen will.

PETERLE: Ich habe diese Zahl von niemandem gehört. Wir visieren eine Höhe an, wie sie dem derzeit hier anwesenden Militär entspricht; das sind etwa 20.000 Mann. Wir wollen es mit einer minimalen Abwehr versuchen. Wenn es keine Anzeichen für besondere Geschehnisse seitens der Bundesarmee gibt, kann die Zahl noch niedriger sein.

FURCHE: Slowenien soll Waffen in Österreich gekauft haben.

PETERLE: Die slowenische territoriale Abwehr hat bisher jedes Jahr neue Waffen angekauft, aber immer innerhalb Jugoslawiens. Nachdem es heuer nicht möglich war, Waffen in Jugoslawien zu besorgen, haben wir uns an das Ausland gewandt. Ich weiß nicht genau, woher die Waffen kommen, daher kann ich auch nicht sagen, ob aus Österreich. Ich möchte aber darauf hinweisen, daß Slowenien im Unterschied zu anderen Republiken, in denen sich andere Leute bewaffnen, Waffen nur für die territoriale Abwehr kauft.

FURCHE: Wie können Sie auf Bundesebene weiter auf Dialog setzen, wenn schon das bisherige System des Bundespräsidiums nicht funktioniert?

PETERLE: Der Weg Sloweniens ist schon einige Jahre bekannt. Durch die Deklaration vom 2. Juli vergangenen Jahres wurde unser Souveränitätsstreben noch klarer, seit dem 26. Dezember 1990 als das Resultat der Volksabstimmung veröffentlicht wurde, steht auch das genaue Datum fest. Bundespremier Ante Markovic hat diesen Wunsch erst vor kurzem ernst genommen (siehe FURCHE 25/ 1991, Anm. d. Red.). Erst jetzt haben ernste Gespräche mit der Bundesregierung begonnen. Und ich bin der Meinung, daß auch viele andere Staaten erst jetzt unser Streben ernst nehmen.

Was den Dialog betrifft: Wir haben die Bundesorgane und die anderen Republiken darüber informiert, was wir wollen und worüber wir Gespräche führen möchten. Viele Antworten sind aber nicht hereingekommen. Heute sprechen wir nicht mehr über das Recht auf Selbstbestimmung, sondern darüber, wie wir sie ausführen wollen. Wären wir bloße Separati-' sten, hätten wir alles schon längst durchgeführt.

FURCHE: Verstehe ich Sie richtig, Sie wollen, daß das Bundespräsidium auch nach dem 26. Juni bestehen bleibt?

PETERLE: Es scheint sinnvoll zu sein, daß wir in der Übergangsphase als ein Institut der Entscheidung das Bundespräsidium beibehalten, da es den Oberbefehlshaber der Armee darstellt. Selbstverständlich wird unser Vertreter eine neue Funktion bekleiden.

FURCHE: Auf höchster Ebene befürworten Sie eine gewisse Einheit?

PETERLE: Es betrifft eine völlig 'pragmatische Stellungnahme. Bislang werden wir noch einige gemeinsame Funktionen des bisherigen Bundesstaates beibehalten, es ist auch verständlich, daß wir einige Institutionen bewahren. Auch ein Konkursverfahren muß erfolgreich durchgeführt werden. Wir werden unsere Politiker des Bundesrates abberufen, ebenfalls alle Delegierten des Rates der Republiken und der Länder. Dorthinkommt aber eine Abgeordnetengruppe, die Absprachen einleiten und Verhandlungen weiterführen soll. Der Name Jugoslawien dürfte aber in Zukunft nur mehr für etwas Neues verwendet werden.

FURCHE: Könnte Premier Ante Markovic in diesem neuen Staat sein Amt weiterführen?

PETERLE: Herr Markovi£ könnte dazu verhelfen, daß es im Rahmen von Jugoslawien zu einer neuen Formel der Zusammenarbeit käme!, doch können wir uns nicht über die Methodologie verständigen und auch bei den Zielen könnte man Unterschiede wahrnehmen.

FURCHE: In Europa wird es also bald neue Grenzen geben, die wirtschaftliche Kooperation wird erschwert. Um nach Kroatien zu kommen, müssen Österreicher künftig zwei Grenzbalken passieren.

PETERLE: Die wirtschaftliche Lage wird tatsächlich komplizierter. Wir haben natürlich ein Interesse, so wenig wie möglich derartige Ängste hervorzurufen. In Slowenien möchten wir ein eigenes Wirtschaftssystem schaffen, weil wir im bisherigen nur zugrundegehen konnten. Daher werden wir auch eine eigene Währung einführen; nicht sofort am 26. Juni, aber später. Das ist eine Angelegenheit der Selbstabwehr. Denn wir wünschen nicht in eine Hyperinflation zu schlittern. Serbien soll seine Inflationsprobleme auf eigene Rechnung lösen. Wir haben die Gesetze, was die Grenzen betrifft, nach europäischem Standard verändert. Laut Gesetz mußte bisher jedermann an unserer Grenze aufgehalten werden; jetzt ist es dem Beamten zu entscheiden überlassen, ob er 20 oder 30 einfach durchwinkt. Auch unsere Grenze zu Kroatien wird sehr seicht ausfallen. Unser Interesse gilt der Kommunikation untereinander und mit dem übrigen Europa. Wir wollen nicht, daß Österreicher auf dem Weg in den Süden fünf Grenzen passieren müssen.

FURCHE: Wie will das kleine Slowenien wirtschaftlich bestehen und zu Devisenreserven kommen?

FURCHE: Wie wollen Sie Vertrauen bei der Bevölkerung und bei ausländischen Investoren erreichen?

PETERLE: Vertrauen ist eine empfindliche Sache. Es ist schwierig aufzubauen. aber leicht zu verlieren. Wenn es Slowenien mit dem Neuaufbau der wirtschaftlichen Funktionen und der ökonomischen Erneuerung schafffen wird, wenn die Makrodaten einmal stimmen und das Budget konsolidiert ist, dann wird die Bevölkerung aufs neue Vertrauen schöpfen. Wichtig ist, daß wir uns wirtschaftlich von den Strukturen Jugoslawiens trennen. Das meinen auch Geschäftsleute aus dem Westen. Ist unsere Selbständigkeit einmal völlig klar, dann werden auch Investoren aus dem Ausland zurückkehren.

FURCHE: Die Überbeschäftigung in Slowenien ist sehr groß, eine Privatisierung der staatlichen Unternehmungen bedeutet daher zunächst ein Ansteigen der Arbeitslosigkeit.

PETERLE: Es gibt bei uns Sektoren der Überbeschäftigung. Wir haben aber noch immer einen Ausfall bei der gewerblichen Tätigkeit und bei den Kleinbetrieben. Dafür interessieren sich aber Fremdinvestoren am meisten. Wir sehen auch im Tourismus unsere große Chance. Die Politik wird also in diese Richtung zielen müssen. Alte Arbeitsplätze sollen nicht sofort vernichtet, sondern neue geschaffen werden. Dieser Prozeß hat bereits begonnen, das können wir beobachten. Die Beschäftigtenzahl im Privatsektor ist in den letzten Monaten schon gestiegen. Mit unserer Wirtschaftspolitik wollen wir gewährleisten, daß dieser Zuwachs noch größer wird.

Stahlwerke und Bergbau sind Wirtschaftszweige, die noch längere Zeit zur Umstrukturierung und Reinigung brauchen werden. Aber diese Arbeit wird jemand durchführen müssen. Dabei muß der gesunde Kern der Produktion erhalten bleiben. Wir sind sicher, daß diese Umwandlung eine soziale Durchmischung verursachen wird. Die öffentliche Hand führt diesen Prozeß schon durch. Es geht dabei um die Umqualifizierung der Arbeiter. Das ist auch eine wesentliche politische Arbeit. Wir wollen nicht bloß das Lohnniveau auf Verlangen außer-ordentl icher Unternehmen halten, son -dem neue Wege unterstützen. Daher investieren wir auch viel in die Managerausbildung.

FURCHE: Das Ausland ist bezüglich der Lage in Jugoslawien sehr verunsichert, die Touristen bleiben aus.

PETERLE: Vor kurzem gab der Wiener Haydn-Chor in Slowenien ein Konzert. Auf ihren Ansichtskarten haben die Gäste aus Wien ihren Freunden in aller Welt versichert, daß sie selten ein so ruhiges Land wie Slowenien erlebt hätten, nirgendwo sei ein Panzer zu sehen. Es ist eben so, wenn CNN Panzer in Belgrad oder anderswo zeigt, wird gleich angenommen, in ganz Jugoslawien herrsche Krieg. Wir bemühen uns zu beweisen, daß wir hier ganz anders leben.

Natürlich werden die Folgen der serbischen Politik oder des Militärs für den Fremdenverkehr furchtbar sein. Wir stehen vor dem Ausfall einer touristischen Saison.

FURCHE: Berichten die Medien Ihrer Meinung nach korrekt über die Lage in Jugoslawien?

PETERLE: Ich beobachte die Medien ziemlich sorgfältig. Sie tendieren zur Übertreibung. Leider trägt unsere Zentralregierung viel dazu bei. Außenminister Budimir Loncar hat beim KSZE-Treffen vergangene Woche in Berlin ohne Absprache mit den Republiken die Furcht vor den Entwicklungen in Jugoslawien geschürt So hat er es übrigens bisher überall in der Welt gemacht. Es ist ein Glück für uns, daß viele dies zum Anlaß nehmen, um sich über unsere Situation mit eigenen Augen zu informieren. Auch EG-Kommissionspräsident Jacques Delors hat bei seinem Belgrad-Besuch zuerst Instruktionen von Loncarerhalten, bevor er sich bei Konfrontationen mit Republiksvertretern ein anderes Bild machen konnte.

FURCHE: Was soll Österreich am 26. Juni oder danach tun?

PETERLE: Am idealsten für uns wäre, würden uns alle Nachbarn gleichzeitig anerkennen. Das wäre der normale Weg. Kroatien wird natürlich alle anderen übertreffen. Wir erwarten eine solche Unterstützung von Österreich, Italien, von Ungarn und von der Tschecho-Slowakei. Zwar haben wir die Versicherung einiger nichteuropäischer Länder, uns anerkennen zu wollen, uns wären aber die Europäer lieber.

Mit dem slowenischen Ministerpräsidenten Lojze Peterle sprach Franz Gansrigier.

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