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Als die deutschen Truppen Jugoslawien im Mai 1945 verließen, schlössen sich ihnen, als Nachhut, die Reste der regulären kroatischen Armee an — 150.000 Mann. Parallel mit ihnen flüchteten rund 60.000 Volksdeutsche, Frauen und Kinder.

Nach erfolgreichen Kämpfen mit- nachdrängenden bulgarischen Truppen und Tito-Partisanen überschritten die Flüchtenden die Drau und erreichten am 15. Mai das Bleiburger Becken. Die kommandierenden Generäle wollten ihre Leute den inzwischen bis nach Südkärnten vorgedrungenen Engländern, nach den Bestimmungen der am 2. Juli 1929 von 48 Staaten abgeschlossenen Genfer Konvention, als Kriegsgefangene übergeben.

Späteren Behauptungen, die kroatischen Truppen seien „keine Armee“ gewesen, muß entgegengehalten werden, daß der Staat Kroatien tatsächlich bestanden hat und von drei Groß-mähten: Deutschland, Italien und Japan, sowie von der Schweiz formell anerkannt worden war. Er hatte demnach das Recht, eine eigene Defensivarmee aufzustellen, die niemals die Grenzen des eigenen Staates in „aggressiver“ Absicht überschritt, sondern sich nur gegen den inneren Feind, die kommunistischen Partisanen, verteidigte. Die Armee entsprach selbst den überspitzten Forderungen des amerikanischen öffentlichen Anklägers, Robert H. Jackson, der im Nürnberger Prozeß die These aufstellte, daß „jeder Staat das Recht habe, eine Defensivarmee aufzustellen, da man logischerweise einem Staat nicht das Recht nehmen könne, sich eu verteidigen“.

Für die Flüchtlinge bedeutete das Erreichen Oesterreichs soviel wie die Freiheit. In den umliegenden Wäldern lauerten keine Partisanen mehr und die Bauern kamen den verängstigten Menschen freundlich entgegen. In der Nacht flammten überall Feuer auf, und die Flüchtenden waren nach den wochenlangen Märschen zum erstenmal wieder zuversichtlich.

Am 16. Mai begaben sich die Generäle Heren-cic und Pecnikar, begleitet von Professor Doktor Crljen, zum englischen Kommandanten ins Sebjoß-des Grafen Thum und Taxis in Bleiburg, um Verhandlungen wegen der Kapitulation aufzunehmen. Nach stundenlangem Warten wurden sie empfangen. Der Engländer musterte ■ sie feindselig, gab ihnen nicht die Hand und bot ihnen keinen Platz an.

Professor Crljen sagte: „Wir bieten Ihnen die bedingungslose Kapitulation von 150.000 regulären Soldaten der kroatischen Armee sowie von 60.000 Frauen und Kindern an.“ Nach einer Pause setzte er hinzu: „Im Sinne der Bestimmungen der Genfer Konvention vom Juli 1929, der auch Kroatien beigetreten ist.“

„Wann?“

„Im Jänner 1943. Das Schweizer Konsulat in Zagreb richtete am 13. März 1943 eine Note an die kroatische Regierung, nach der das Schweizer außenpolitische Amt den Beitritt angenommen und alle interessierten Staaten hiervon verständigt habe.“

Der Engländer schüttelte den Kopf. „Davon ist mir nichts bekannt.“

Der Professor erhob seine Stimme: „Das dürfte nichts an den Tatsachen ändern. Im übrigen sind wir vom Moment der angebotenen Uebergabe an, im Sinne des Absatzes 2 der Konvention, nicht Ihre Kriegsgefangenen, sondern Kriegsgefangene Ihrers Staates — Ihrer Regierung.“

Der Engländer zog sich mit seinem Stab zu einer Beratung zurück. Nach qualvollem, langem Warten erschien er wieder — in Begleitung von zwei Tito-Partisanen-Offizieren, denen er lächelnd Platz, Zigaretten und Schnaps anbot.

Er sagte: „Ich kann Ihre sogenannte Kapitulation nicht annehmen. Sie müssen sie den beiden Herren“ — er wies auf die Partisanenoffiziere — „anbieten. Mich gehen Sie nichts an.“

Der Professor starrte den Engländer entgeistert an. „Aber das geht doch nicht. Wir sind mit dem Königreich Großbritannien im Krieg, wir sind eine Armee unter Waffen. Sie repräsentieren die reguläre englische Armee. Nach internationalem Recht müssen Sie uns als Kriegsgefangene annehmen.“

Der eine der Partisanenoffiziere sagte: „Es sind Verbrecher, Räuber ...“

Der Professor unterbrach ihn. Er war totenblaß und seine Stimme zitterte. „Die Partisanen haben die Konvention nicht unterschrieben. Sie repräsentieren nicht den Staat Jugoslawien. Nach internationalem Recht...“

Er verstummte. Totenstille herrschte im Raum. In die Stille hinein sagte der Engländer ruhig: „Tito hat Marschall Alexander versprochen, alle Gefangenen menschlich zu behandeln.“ Er wandte sich an die beiden Partisanen: „Stellen Sie Ihre Bedingungen.“

Der Größere, ein Oberst, lächelte. „15 Minuten.“ Er sah auf seine Uhr. „Es ist drei Uhr fünfundvierzig. Wenn die Uebergabe nicht bis vier Uhr erfolgt, eröffnen wir das Feuer. Dürfen wir auf die Unterstützung der königlichen Armee rechnen?“

Der Engländer nickte. „Selbstverständlich.“

General Herencic trat einen Schritt vor. „Sie wollen auf Frauen und Kinder schießen lassen?“ *

Um 16 Uhr erschienen die ersten weißen Fahnen zwischen den Haufen der Flüchtlinge. Auf den umliegenden Höhen kauerten englische Kanoniere hinter ihren Schnellfeuergeschützen. Spitfires überflogen in 20 Meter Höhe das Lager. Man konnte die abwurfbereiten Bomben sehen.

Als die ersten weißen Fahnen erschienen, brach im Lager der Frauen und Kinder Panik aus. Ein Schrei stieg auf — ein schrecklicher, unmenschlicher Schrei der Verzweiflung, der Angst und des Grauens, übertönt vom Donner der Flugzeuge.

Die Soldaten schrien wild durcheinander. Eine Masse junger, tapferer Menschen empörte sich gegen das unbarmherzige Schicksal. Einige warfen die Waffen weg, andere zögerten. Auf den östlichen Hügeln erschienen Partisanen, von den Engländern eilends herbeigeholt — ausgesuchte Kurierabteilungen, Diversanten und Offiziere der OZNA. Irgendwo in der durcheinanderwogenden Masse peitschten Schüsse auf. Aeltere Offiziere richteten ihre Waffen gegen sich. Hatte es denn einen Sinn, in dieser Welt der Lüge, der Heuchelei und der Niedertracht zu leben?

Am südwestlichen Waldrand sammelt General Rafael Boban 4000 entschlossene Leute und bricht durch. Er fegt die Partisanen und Engländer hinweg und verschwindet im Wald. Drüben formieren sich die ersten Gefangenenzüge zum Abmarsch. Es sind waffenlose, junge Menschen, die aufrecht in die ewige Freiheit gehen — in den Tod.

Viele tausend Frauen und Kinder knien und beten laut. Die ersten OZNA-Leute wagen sich in die wehrlose Masse und schlagen auf die Unglücklichen ein, bis die Masse in Bewegung kommt. Nördlich der Straße steht der englische Kommandant mit einigen Begleitern neben einem funkelnagelneuen Packard, einem Geschenk des Partisanengeneralobersten Kosta Nagj.

Jahre später kam bei einem Festessen, das der Generalsekretär der Kommunistischen Partei Kroatiens, Dr. Vladimir Bakaric, 23 Freunden gab, die Sprache auf diesen Packard. Die größte kroatische Zeitung, „Hrvatska Drzava“, die in München erscheint, bringt in der Ausgabe vom 25. August 1955 folgenden Bericht eines Ohrenzeugen:

„ ... Was sollen wir über ... sagen, der ... entwaffnete Menschen an Titos Schlachthaus lieferte und dafür einen Packard bekam ... Bakaric sagte, halb betrunken: „Wir gaben dem ... einen Packard. Für diesen wurde die ganze Pavelic-Armee gekauft* ...“

In der Nacht gelingt es einer Gruppe von 8000 Kroaten, durchzubrechen; beim Klopeiner-see treffen sie auf einen irländischen Hauptmann, der sie passieren läßt. Wenige Tage später geraten sie in einen Hinterhalt. Sie schlagen sich noch bis zur Drau durch. Der Kommandant, Oberst Hasic, erschießt seine Frau, seine Kinder und sich selbst vor den Augen des englischen Hauptmannes. Aber die 10.000 Kroaten, die bei der Annabrücke auf einen schottischen Major geraten, wurden gerettet. Er hält die nachdrängenden Partisanen auf.

10.000 Soldaten und '30.000 Frauen und Kinder, geführt von General Walter Rolf, werden bei Lavamünd vom englischen Major Johnson aufgehalten. Stundenlang verhandelt General Rolf. Schließlich bittet er nur für die Frauen und Kinder um Asyl. Als ihm auch diese Bitte

* Es sei hier an die in Oesterreich wohlbekannte Affäre des Obersten K. erinnert, der vom Kommunistenführer Marinko einen wertvollen Schmuck bekam — für den nach Lienz geflüchteten katholischen Bischof Rozman. Die österreichische Presse vereitelte damals den „Menschenkauf“ durch rechtzeitige Publikation.

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