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Die Literatur der „Staatsfeinde“

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Nach dem Bruch Jugoslawiens mit dem stalinistischen Kominform im Jahre 1949 liberalisierte sich das jugoslawische Kulturleben. Die Schriftsteller, die unter dem engherzigen „Sozialistischen Realismus jugoslawischer Spielart“ gelitten hatten, in dem aber noch Funken von Symbolismus und Expressionismus glommen, atmeten auf und wandten sich neuerlich den westeuropäischen literarischen Strömungen zu. Besondere Impulse gab dieser Entwicklung in der Teilrepublik Slowenien die junge Generation. Sie knüpfte an die existenzialistische Strömung mit ihrem bedeutendsten slowenischen Vertreter, Edvard Koebek, an. Aus dieser positiven Entwicklung folgt aber noch lange nicht, daß der nonkonformistische Schriftsteller es in Slowenien leichter hätte. Besonders in den letzten Jahren 'sind, im Gegenteil, Schikanen und Unterdrük-kung wieder an der Tagesordnung.

„Eine Handvoll von Dogmatikern, Kominformisten, Liberalen und Nationalisten sucht uns den Wind aus den Segeln zu nehmen und unsere Errungenschaften zu beschmutzen.“ Mit solchen und ähnlichen Worten versucht der jugoslawische Staatspräsident Josip Broz Tito immer wieder warnend auf die „Zersetzungstätigkeit innerer Feinde“ hinzuweisen. Mit derlei Gegnern des „sozialistischen Selbstverwaltungssystems“, pflegt dann der alte Präsident hinzuzufügen, werde im Interesse von 99 Prozent des Volkes „unbarmherzig abgerechnet“ werden.

Nach der im vorigen Jahr erfolgten „Abrechnung“ mit Edvard Koebek (der lange Zeit ein enger Mitstreiter Marschall Titos gewesen war), verurteilte ein Gericht der Stadt Kranj (Krainburg) am 15. Oktober 1976 den Bezirksrichter Fronce Miklavöic zu sechs Jahren Gefängnis.Der Linkskatholik Miklavcic, im Zweiten Weltkrieg zusammen mit Edvard Koebek als junger christlicher Sozialist Mitglied der von Titos Kommunistischer Partei beherrschten Slowenischen Volksbefreiungsfront, wurde der „feindlichen Propaganda“ und der „Bedrohung der territorialen Integrität Jugoslawiens“ für schuldig befunden. Miklavcic war im Juni 1976 verhaftet worden. Nach Angaben des slowenischen Parteichefs France Popit hatte Miklavcic in einem Artikel für die slowenischsprachige Kulturzeitschrift „Zaliv“, die in Triest erscheint, das Volk '„grob beleidigt“ und ein „Konzept für eine künftige Ordnung“ ausgearbeitet.

Wenn die inoffiziellen Angaben stimmen (offiziell hat die jugoslawische Presse über den Fall nie berichtet), hat France Miklavcic sich für Edvard Koebek eingesetzt und die Meinung vertreten, daß man die Fragen, die Edvard Koebek aufgeworfen hat, nicht mehr übergehen könne. Ohne Ethik werde die Revolution zu banaler und nichtswürdiger Manipulation. In diesem Sinne fragte auch Miklavcii nach dem Schicksal von 12.000 slowenischen Soldaten der Landwehr, nach den sogenannten „Domobranci“, die gegen Tito gekämpft hatten. Es ist im Ausland bekannt und wird in Jugoslawien verschwiegen, daß man diese Soldaten nach dem Krieg auf grausame Art ermordet hat.

Klarere Erkenntnisse über Miklavcic' Konzept „für eine zukünftige neue slowenische Ordnung“ lassen sich aber aus diesem Essay nicht ableiten. Das gelang der Polizei erst, als sie bei einer Hausdurchsuchung ein privates Tagebuch beschlagnahmte. Die Staatsanwaltschaft von Kranj wertete Teile dieses Tagebuchs als den „Entwurf einer neuen Gesellschaftsordnung“ und sah in ihnen das Hauptbeweismittel für die Anklage, Miklavcic' habe das kommunistische System durch eine pluralistische Demokratie westlichen Vorbilds ersetzen wollen.

Wegen ähnlicher Beschuldigungen war Mitte September auch der slowenische Kulturjournalist und Essayist Viktor Blazic, Redaktionsmitglied der Parteitageszeitung „Delo“, zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt worden.

Es drängt sich die Vermutung auf, daß mit diesen beiden Urteilen wieder ein Warnsignal gesetzt werden sollte. Die Slowenen flirten nämlich „mit der mitteleuropäischen Demokratie und mit bürgerlichen Lebensgewohnheiten“.

Wegen des Lesens eines in Amerika veröffentlichten Buches von Dr. Ciril Zebot über „ein neues, unabhängiges Slowenien“ und wegen des Besitzens des in Amerika gedruckten sogenannten „Slowenischen Weißbuches“ mit den Namen der 12.000 nach dem Krieg getöteten slowenischen Landwehrleute wurde vor zwei Jahren vor einem Gericht der Stadt Maribor der junge liberale Schriftsteller und ehemalige Kulturredakteur der Marburger Tageszeitung „Vecer“, Drago Jancar, zu einem Jahr Gefängnis verurteilt.

Es ist bezeichnend, daß die führenden slowenischen Kulturschaffenden der Kommunistischen Partei immer mehr als Zielscheibe dienen. Der Prozeß gegen den Essayisten und Dramatiker Marian Rozane, der in Triest einige liberale Aufsätze philosophischer Art veröffentlicht hatte, konnte im letzten Moment nur durch eine spontane Intervention italienischer Schriftsteller und Publizisten verhindert werden.

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