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Tote Landschaft?

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In Jugoslawien zeichnet sich immer mehr eine härtere, dogmatischere Haltung in Fragen der Kulturpolitik ab. Der Partei fällt es schwer, den Freiheitsdrang der Künstler in Grenzen zu halten. Sie versucht, zu kühn vorwärts drängende literarische und philosophische Richtungen zu bremsen. Aus Artikeln der offiziellen Tageszeitungen, aber auch aus Literaturzeitschriften (von denen mehrere, die liberale, offene, christliche oder nationale Tendenzen aufgewiesen hatten, in den letzten Jahren und Monaten verboten wurden), geht deutlich hervor, daß besonders die avantgardistischen, „formzersetzenden“, „bürgerlich-dekadenten“, „nihilistischen“ und „formalistischen“ Arbeiten „nicht toleriert werden dürfen“.

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In Jugoslawien zeichnet sich immer mehr eine härtere, dogmatischere Haltung in Fragen der Kulturpolitik ab. Der Partei fällt es schwer, den Freiheitsdrang der Künstler in Grenzen zu halten. Sie versucht, zu kühn vorwärts drängende literarische und philosophische Richtungen zu bremsen. Aus Artikeln der offiziellen Tageszeitungen, aber auch aus Literaturzeitschriften (von denen mehrere, die liberale, offene, christliche oder nationale Tendenzen aufgewiesen hatten, in den letzten Jahren und Monaten verboten wurden), geht deutlich hervor, daß besonders die avantgardistischen, „formzersetzenden“, „bürgerlich-dekadenten“, „nihilistischen“ und „formalistischen“ Arbeiten „nicht toleriert werden dürfen“.

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Schon im Herbst 1973 haben die kommunistischein Kulturfunktionäre Jugoslawiens in Belgrad auf der Veranstaltung „Die Arbeiterklasse und die Kultur“ mit großem Propagandaaufwand die kulturellen Probleme des Landes zu „lösen“ begonnen und dies darm auf dem zehnten Kongreß Jugoslawiens im Mai 1974 sanktioniert. Sie möchten die „Machtzentren“ der „elitären und nationalistischen Kultur Jugoslawiens“ zerstören und eine neue Kultur der arbeitenden Menschen (ohne zu wissen, wie diese ausschauen soll) ins Leben rufen.

Die Leidtragenden sind die kritischen jugoslawischen Intellektuellen, die eine freie, pluralistische kulturelle Situation schaffen möchten. In Slowenien allein hat man seit 1956 drei Literaturzeitschriften („Beseda“, Revija 57“, „Perspektive“) verboten und andere zum Einstellen des Erscheinens („Prostor in cas“ im Jahre 1975) gezwungen. Man hat große Bereiche der kroatischen und serbischen kulturellen Tätigkeit ausradiert, die Schriftsteller verhaftet oder öffentlich gerügt.

Es ist wenig bekannt, daß sich viele jugoslawische Schriftsteller in großer existenzieller Not befinden — und das nicht nur in Serbien und Kroatien, sondern auch in Slowenien, wo im vorigen Jahr der sogenannte Fall Kocbek in kommunistischen Kreisen große Verunsicherung ausgelöst hat. Kocbek, der im „antifaschistischen Rat Jugoslawiens“ den heutigen multinationalen südslawischen Staat mitbegründet hat und einige Zeit unter anderem Bundesminister für Kultur in der ersten Belgrader Nachkriegsregierung Titos war, hat in einem Interview, das in dem Buch „Edvard Kocbek, ein Zeuge unserer Zeit“ (Triest 1975) erschien, die Probleme der kulturellen Freiheit im Sozialismus aufgegriffen — 'Und unter anderem nach dem Schicksal von mehr als 12.000 slowenischen katholischen Landwehr-soldaten gefragt, die schon nach dem Krieg in den Wäldern von Kocevje und an anderen Orten im Jahre 1945 getötet wurden. Man hat gegen Kocbek eine regelrechte Kampagne entfesselt, ihn aber wegen seines großen Prestiges nicht nur bei der slowenischen Bevölkerung Jugoslawiens, sondern auch im Ausland, nicht verhaftet. Desto härter ist man gegen die Freunde und Anhänger Kocbeks vorgegangen. Der junge Dichter Vojc Gorjan, unter behördlichen Druck gesetzt, verübte Mitte August 1975 in Laibach Selbstmord. In Laibaoh wurden im Mai 1976 der 47jährige Kulturjournaiist Viktor Blai.it, ein angesehener Mitarbeiter der ehemaligen Kulturzeitschrift „Prostor in cas“ und Mitarbeiter der slowenischen kommunistischen Zentraltageszeitung „Delo“, und der 54jäh-rige Richter Franz Miklavöic „wegen feindlicher Propagandatätigkeit“ und wegen Pro-Kocbek-Äußerungen verhaftet. Einigen jungen slowenischen Dichtern, die wir hier nicht nennen wollen, hat man gedroht, sie zu verhaften oder ihnen die literarische und berufliche Tätigkeit zu untersagen. Edward Kocbek selbst kann nichts veröffentlichen, von einigen anderen Autoren (Alojz Rebula, Boris Pahor usw.) wurden bereits gedruckte Bücher wieder eingestampft.

Die angesehene Triestiner Wochenzeitschrift „II Meridiano di Trieste“

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24. Juni 1976, daß die jugoslawischen Sicherheitsorgane einen slowenischen Theologen und Dichter, den 1912 in Görz geborenen Professor der Gre-goriana in Rom, Doktor Vladimir Truhlar, der seit 1972 als Pensionist in Slowenien lebt, an der italienisch-jugoslawischen Grenze bei Triest verhaftet, ihn fünf Stunden lang auf grobe Art verhört und ihm, bevor sie ihn wieder freiließen, den Reisepaß abgenommen hätten (den man ihm nach unbestätigten Meldungen allerdings kürzlich wieder zurückgegeben habe).

Truhlar, der auch in deutscher Sprache mehrere theologische Bü-

cher veröffentlicht hat und der in Rom das Institut für Spirituelle Theologie gegründet hat, ist auch Autor von mehreren Gedichtsammlungen in slowenischer Sprache. Im Jahre 1958 erschienen seine Gedichte „Nova zemlja“ (Neue Erde) und im Jahre 1961 die Gedichtsammlung „Rdece bivanje“ (Rotes Sein). In den letzten Jahren hat Truhlar neue Gedichte in Jugoslawien veröffentlicht (zu denen Edward Kocbek die einleitenden Worte schrieb) und neue theologische Arbeiten verfaßt.

Seine Interpretation des slowenischen Schriftstellers Ivan Cankar (über den er im Jänner 1976 auch im Katholischen Bildungsheim in Tainach, Kärnten, sprach; Truhlars Referat wurde im slowenischen Programm des ORF-Senders Klagenfurt ausgestrahlt) verärgerte die slowenischen komimunistischen Behörden. Man übt derzeit Druck auf den Erz-bischof von Ljubljana Dr. Josef Po-gacnik und die katholische Kirche aus. Es ist bezeichnend, daß die kommunistenfreundliche slowenische Organisation in Triest, Görz und Klagenfurt diese Kampagne gegen die slowenischen demokratischen Intellektuellen und gegen die katholische Kirche unterstützen. So veröffentlichte die „linke“ Klagenfurter slo-

wenische Zeitung „Slovenski Vest-nik“ in der Ausgabe vom 25. Juni 1976 einen Artikel von Dr. Jurij Za-lokar aus Jugoslawien „Über die Religion und ihren Mißbrauch“, der an den berüchtigten Hexenjammer des Mittelalters erinnert. In diesem Artikel versucht man die slowenische Kirche und die slowenischen Gläubigen zu kompromittieren, den verstorbenen Bischof von Laibach, Doktor Rozman, als Nazi-Kolaborateur und Mitarbeiter ,der ärgsten Kräfte der Unmenschlichkeit“ zu bezeichnen.

Die mahnenden Worte Edvard Kocbeks, der die Bedeutung des Dialogs, der Offenheit, der Solidarität betont hat, waren umsonst. Die Hinrichtung des katholischen slowenischen Schriftstellers Norte Velifconja im Jahre 1946, die Hinrichtung des katholischen Schriftstellers France

Kunstelj im Jahre 1945 (der unter anderem auch Übersetzer des österreichischen Schriftstellers Waggerl war — im Jahre 1941 erschien seine slowenische Übersetzung des Buches „Das Jahr des Herrn“), dem man vor dem Tod noch auf bestialische Art beide Hände abgehackt hat, die Ermordung der Dichter Balantic, Hribovsek und anderer in den Kriegsjahren, all das war offenbar nicht genug. Der „Krieg“ gegen die „literarischen Feinde“ wird in Jugoslawien und außenhalb der jugoslawischen Grenzen (durch rechtswidrige Einmischungen) weitergeführt. Denn die „bürgerliche“ Kultur des „Zynismus, Nihilismus und Pessimismus“ muß endlich zerstört werden. Über der toten Kulturlandschaft wind dann endlich die freie Sonne der neuen Zukunft strahlend aufgehen.

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