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„Objektiverweise gefährlich“

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Edvard Kocbek, geb. 1904 in Sv. Jurij ob Scavnici (St. Georgen a. d. Stainz), heute Videm, Untersteiermark, Slowenien, Diplom der Philosophischen Fakultät in Ljublana,. Postdiplomstudium in Berlin, Lyon und Paris. Dann Professor in Ljubljana, früher Mitglied' der slowenischen akademischen Kreuz-Bewegung, jetzt Redakteur der Zeitschrift „Kriz“ (Kreuz). Im Jahre 1938 gründete er die progressiv orientierte Zeitschrift „Dejanje“ (Die Tat), um die sich die christlich-soziale Intelligenz in Ljubljana sammelte. 1941 ging er zu den Partisanen, wurde- Vizepräsident der slowenischen Befreiungsfront und des Befreiungsausschusses, dann Vizepräsident der.jugoslawischen Partisanenregierung, 1945 Kultusminister der jugoslawischen Regierung in Belgrad und 1946 Vizepräsident des Präsidiums der Republik Slowenien. Seit 1952 lebt er als freier Schriftsteller und Übersetzer. Unter zahlreichen Werken sind besonders seine lyrischen Antologien Hervorzuheben: „Zemlja“ (Die Erde, 1934), „Groza“ (Der Schauer, 1963), „Porocilo“ (Der Bericht, 1969), ferner seine Erzählungen „Strah in pogum“ (Angst und Mut, T951), die Tagebücher „Tovarisija“ (Die Kameradschaft, 1949), „Listinä“ (Die Urkunde, 1967), „Slovensko poslanstvo“ (Die slowenische Mission, 1964). Jüngst erschien bei Jaca book in Mailand die italienische Ausgabe der „Tovarisija“ („Compagnia“). Gegenwärtig ist Edvard Kocbek ein schwieriges politisches und ideologisches Problem für Slowenien und Jugoslawien geworden. Die Affäre brach mit einem Interview aijs, das dann in einem in Triest erschienen Buch wiedergegeben wurde.

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Edvard Kocbek, geb. 1904 in Sv. Jurij ob Scavnici (St. Georgen a. d. Stainz), heute Videm, Untersteiermark, Slowenien, Diplom der Philosophischen Fakultät in Ljublana,. Postdiplomstudium in Berlin, Lyon und Paris. Dann Professor in Ljubljana, früher Mitglied' der slowenischen akademischen Kreuz-Bewegung, jetzt Redakteur der Zeitschrift „Kriz“ (Kreuz). Im Jahre 1938 gründete er die progressiv orientierte Zeitschrift „Dejanje“ (Die Tat), um die sich die christlich-soziale Intelligenz in Ljubljana sammelte. 1941 ging er zu den Partisanen, wurde- Vizepräsident der slowenischen Befreiungsfront und des Befreiungsausschusses, dann Vizepräsident der.jugoslawischen Partisanenregierung, 1945 Kultusminister der jugoslawischen Regierung in Belgrad und 1946 Vizepräsident des Präsidiums der Republik Slowenien. Seit 1952 lebt er als freier Schriftsteller und Übersetzer. Unter zahlreichen Werken sind besonders seine lyrischen Antologien Hervorzuheben: „Zemlja“ (Die Erde, 1934), „Groza“ (Der Schauer, 1963), „Porocilo“ (Der Bericht, 1969), ferner seine Erzählungen „Strah in pogum“ (Angst und Mut, T951), die Tagebücher „Tovarisija“ (Die Kameradschaft, 1949), „Listinä“ (Die Urkunde, 1967), „Slovensko poslanstvo“ (Die slowenische Mission, 1964). Jüngst erschien bei Jaca book in Mailand die italienische Ausgabe der „Tovarisija“ („Compagnia“). Gegenwärtig ist Edvard Kocbek ein schwieriges politisches und ideologisches Problem für Slowenien und Jugoslawien geworden. Die Affäre brach mit einem Interview aijs, das dann in einem in Triest erschienen Buch wiedergegeben wurde.

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„Edvard Kocbek, pricevalec nase-ga casa“ (Edvard Kocbek, ein Zeuge unserer Zeit) ist der Titel des besagten Buches, das im Verlag der Triester slowenischen Zeitschrift „Zaliv“ (Der Golf) erschien.

Verfasser sind zwei Triester slowenische Romanciers, Boris Pahor und Alojz Rebula. Der erstere neigt zum humanen Sozialismus, der zweite ist Katholik.

Beide Romanciers anerkennen die politische Realität Jugoslawiens

nach dem Zweiten Weltkrieg, nehmen aber hinsichtlich der kulturellen und nationalen Lage des Landes eine kritische Stellung ein.

So erfolgte auch die Herausgabe des Buches sozusagen als Antwort auf die Tatsache, daß das Jubiläum des Poeten, Schriftstellers und Denkers Kocbek in den Massenmedien der Teilrepubliken Slowenien nicht nur völlig ignoriert, sondern daß er sogar in der Parteizeitung als einer von jenen verhöhnt worden war, die nicht wissen, was sie wollen.

Edvard Kocbek war am Vorabend des Zweiten Weltkrieges die führende Persönlichkeit unter den Christlichen Sozialisten Laibachs gewesen. Die Christlichen Sozialisten setzten sich für eine pluralistische Gesellschaft ein; Sie verlangten selbständiges, intensives Suchen nach der Wahrheit, wandten sich gegen das Monopol irgendeiner Weltanschauung, gegen den Mißbrauch des Glaubens zu politischen Zwecken und gegen den Mißbrauch der Politik zu-weltanschaulichen Zwecken.

Kocbeks „Meditation über Spanien“, ein Artikel, der in der Zeitschrift „Dejanje“ (Die Tat) am Vorabend des Zweiten Weltkrieges erschien und in welchem er sich für das republikanische Spanien aussprach, brachte den definitiven Bruch zwischen den Christlichen Sozialisten einerseits und den anderen katholischen und demokratischen Fraktionen in Laibach. Diesem Bruch folgte dann zu Beginn des Krieges der Eintritt der Christlichen Sozialisten in die „Osvobodilna fronta“ (Befreiungsfront), eine Koalition von Kommunisten und Linksliberalen, die im besetzten Slowenien den Partisanenkampf aufnahm.

Die Christlichen Sozialisten akzeptierten dabei den Marxismus-Leninismus als „soziopolitische Methode für die Strategie und Taktik des Befreiungskampfes“ und übernahmen die „marxistisch-leninistische Erkenntnis . der positiven Gesetze der Gesellschaftsentwicklung“. In ihren utopischen Vorstellungen beanspruchten sie lediglich kulturelle Autonomie für ihre Gruppe in einer angeblich pluralistisch geordneten Gesellschaft nach dem Krieg.

Doch die (kommunistische) Methode der Strategie und Taktik des Befreiungskampfes erwies sich bald als etwas ganz anderes, als sie sich vorgestellt hatten. Unter dem Druck der Kommunisten mußten sie, ebenso wie die Linksliberalen, ihre Positionen in der Koalition aufgeben und die Leitung des Befreiungskampfes ausschließlich den Kommunisten überlassen. Die christlich-sozialistischen Funktionäre traten der KP bei — mit Ausnahme Kocbeks, des Leiters ihrer Gruppe. Er beharrte auf christlicher Weltanschauung, blieb jedoch weiterhin Mitglied des slowenischen Partisanenstabs.

In seinem oben erwähnten Interview berichtet nun Kobcek über die Auflösung der Koalition in der slowenischen Befreiungsfront: „Vom Augenblick an, als Edvard Kardelj festgestellt hatte, daß er mich nicht manipulieren konnte, begann er mich mit der Behauptung zu bedrohen, daß ich mit meiner humanistischen Auffassung der Revolution unausweichlich zum Sammelpunkt der reaktionären Kräfte prädestiniert sei, sollte ich mich auch noch so sehr bemühen, diesem Schicksal zu entgehen. „Du bist zwar ein feiner Bursch, doch objektiv betrachtet, bist du gefährlich. Dieser Satz wurde zu einem stehenden Bestandteil des Partisanenhumors, aber es war mir nicht gleichgültig... Warum diese Tortur? Weil ich nicht den einen Klerikalismus verlassen hatte, um einen anderen anzunehmen —?“

Die „nicht-humanistische Auffassung“ vom Befreiungskampf, welche einer kommunistischen Revolution im besetzten Slowenien gleichkam, löste in dem Gebiet um und in Lai-

bach einen Bürgerkrieg aus. Aus den Reihen der slowenischen Parteien, besonders der Volkspartei, welche zu Beginn des Krieges einen Befreiungskampf abgelehnt hatten, um Repressalien seitens der Besatzungsmacht zu vermeiden, formierten sich -die antikommunistischen Verbände, die „Domobranci“ (Heimwehrleute), und kämpften unter der Kontrolle der italienischen, später der deutschen Besatzer gegen eine kommunistische Machtübernahme, gegen die Partisanen also. Am Ende des Krieges zogen die „Domobranci“ nach Kärnten, das die Engländer schon besetzt hatten. Rund elf tausend von ihnen wurden kurz danach von den Engländern an die neuen kommunistischen Machthaber in Slowenien ausgeliefert und dort erschossen.

Offizielles Schweigen herrschte bisher in Slowenien über das Schicksal der „Domobranci“. Das Unausgesprochene aber drückt bis heute auf das Gewissen der Bevölkerung und lähmt das Zusammenleben der Slowenen verschiedener Anschauung. In slowenischen Exilkreisen hingegen tobte ein Pressekrieg über das Schicksal der Ausgelieferten und über Kocbek, der sich als Christ zu einer Zusammenarbeit mit den Kommunisten bereitgefunden hatte.

In dem besagten Interview bricht nun Edvard Kocbek sein Schweigen. Er, der Kultusminister Titos in den Nachkriegs Jahren, antwortet auf die Frage, wann er von der Niedermetz-lung der „Domobranci“ erfahren habe: „Verhältnismäßig spät; als ich im Sommer 1946 von Belgrad (nach Slowenien) zurückkam... Ich wollte die Nachricht überprüfen, doch waren alle Wege zur Wahrheit gera-

dezu hermetisch verschlossen ... Ich verlangte vom \Zentralkomitee eine klare und aufrichtige Antwort... Alle redeten mir (aber) ein, ich sei falsch informiert worden, die „Domobranci“ befänden sich in Umerziehungslagern, sie würden allmählich nach Hause entlassen, nur ihre Führer würden bestraft, wie jeder von ihnen es verdient habe... Und (die Kommunisten) drehten den Spieß um: Du wärest also froh, wenn wir sie umgebracht hätten... ?“

Als Kocbek endlich die Wahrheit über das Schicksal der „Domobranci“ erfahren hatte, wollte er zurücktreten. Doch die kommunistischen Kollegen warteten nicht erst auf seine Demission. Die Gelegenheit, ihn zu entfernen, bot sich anläßlich des Erscheinens seines Partisanenbuches „Tovarisija“ (Die Kameradschaft) und der Novellen „Strah i pogum“ (Angst und Mut). Kardelj und Kid-ric (beides führende slowenische und jugoslawische Politiker) machten Kocbek auf' die allzu große Freiheit seines Ausdrucks, auf das Anstößige des Inhalts und auf den Ästhetizis-mus der Form aufmerksam. Mit derlei pauschalen Urteilen erzwangen sie seinen Rücktritt. Zehn Jahre lang blieb er ein Verfemter, dem das Recht entzogen war, irgend etwas zu publizieren.

Hinsichtlich des unerhörten Schicksals der „Domobranci“ bekennt Kocbek: „Vor allem müssen wir vom Ableugnen zum öffentlichen Eingeständnis gelangen... Es geht um das öffentliche Eingeständnis einer Schuld, die uns alle betrifft. Wir werden uns so lange von Alpträumen nicht befreien können, so lange wir nicht offen unsere Schuld, unsere große Schuld, bekennen. Ohne eine solche Tat werden wir Slowenen niemals in eine bessere Zukunft finden.“

Wie erwartet, lösten diese Worte eine hysterische Hetzkampagne aus, zuerst in Triest, wo die jugoslawientreue Presse, wie „Primorski Dnev-nik“ (Küstenländisches Tagblatt) von einer „Verunglimpfung des Befreiungskampfes“ schrieb. Die Gör-zer unabhängige „Katoliski Glas“ (Katholische Stimme) wußte hingegen zu berichten, daß die Nachricht von Kocbeks Äußerungen in Slowenien weite Verbreitung gefunden habe.

Das umstrittene Interview wurde schließlich im Laibacher Blatt „Nasi hazgledi“ (Unser Horizont) gemeinsam mit einer Distanzierung seitens des offiziellen Slowenien abgedruckt.

Bedeutet nun der Nachdruck der Äußerungen Kocbeks über den Befreiungskampf und über das bisher folgenschwere Schicksal der slowenischen „Domobranci“ im Laibacher Blatt einen ersten Schritt zur Beendigung des geistigen Zwiespaltes und zum inneren Frieden der Slowenen oder aber den Auftakt zu einem politischen Prozeß gegen den 70jähri-gen Poeten Edvard Kocbek?

Dies hängt nicht allein von der slowenischen kommunistischen' Partei ab, in der die Meinungen, wie zu hören war, geteilt sind. Stane Do-lanc, der Bundesparteisekretär, und Edvard Kardelj, Mitglied des Präsidiums in Belgrad, wären für strenge Maßnahmen, während Mitja Ribi-<5ic, ehemaliger Ministerpräsident in Belgrad und nun Obmann des Sozialistischen Bundes Sloweniens, hingegen eher versöhnlich eingestellt wäre. Doch die Affäre hat sich auf ganz Jugoslawien ausgedehnt. Kocbek wurde bereits als Mann der Opposition gebrandmarkt.

Im Gegensatz zu Milovan Djilas und Mihajlo Mihajlov ist Edvard Kocbek der einzige katholische Oppositionsmann unter den Denkern, Literaten und ehemaligen Politikern Jugoslawiens. In Slowenien gilt er geradezu als Symbol für die Treue zu Europa und zum Christentum. „Heute weiß ich: „du bist mehr als irgendein anderer der Schöpfer unserer Feiheit“, schrieb in einem ihm gewidmeten Gedicht, das in der Laibacher Zeitschrift „Problemi“ erschien, der nihilistische junge Dichter Salamun. Die Ausgabe der „Problemi“, in der dieses Gedicht erschien, wurde beschlagnahmt.

Kocbeks Persönlichkeit, sein Leben, seine geistige und kulturelle Schöpfung sind zwar nicht durch Kerker und Verfolgung, wie sonst in Osteuropa, sakralisiert worden, sie sind nicht, wie im Falle Solsche-nizyns, weitum in der Welt bekanntgeworden, sie sind aber nicht weniger tragisch, nicht weniger symptomatisch. Edvard Kocbek ist nicht nur Fingerzeig für zahlreiche Christen, die durch ihr Bekenntnis zum Sozialismus progressiv zu sein wähnen, er ist neben seiner geistigen und literarischen Leistung auch Zeuge für die Treue zum Christentum, allein schon durch die Aufforderung zum Eingeständnis „unserer großen Schuld“.

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