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Titos drei verlorene Armeen

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Marschall Tito hat sich wiederholt darüber beklagt, daß „drei große Armeen“, nämlich 280.000 gelernte Arbeiter und andere Fachleute, außer Landes beschäftigt sind, weil die Jugoslawen einen unstillbaren Durst nach westlichen Währungen verspüren. Vom chronischen Devisendurst des föderativen Staates jedoch sprach der Staatschef nicht.

Die „drei großen Armeen“ bilden nur die Creme der mehr als eine Million zählenden jugoslawischen Gastarbeiter, die gegenwärtig im Westen tätig sind. Mehr als die Hälfte der Gastarbeiter ist jünger als 30 Jahre und unter ihnen bilden wieder die Zwanzigjährigen die größte Gruppe.

Im Jahre 1973 haben Gastarbeiter aus den westlichen Ländern 800 Millionen Dollar überwiesen und in westdeutschen Banken mehr als eine Milliarde Dollar jugoslawischer Guthaben angehäuft.

Natürlich war der Gastarbeiterexport immer schon ein zweischneidiges Schwert. Einerseits eine bequeme Lösung des Arbeitslosenproblems und eine gute Deviseneinnahmequelle, anderseits bestand aber auch die Gefahr, daß die Gastarbeiter mit den „Bazillen der kapitalistischen Philosophie“ verseucht würden.

Der stellvertretende Verteidigungsminister, General Ivan Dolm-öar, kämpft nun seit etlichen Monaten energisch gegen den Arbeitskräfteexport und läßt dabei die wirt-sehaftspolitischen Aspekte des Problems vollkommen außer acht. Seiner Meinung nach ist es unverantwortlich und unhaltbar, daß Jugoslawien die größte Zahl von Arbeitskräften in die Welt hinaus exportiere. Für die Arbeiteremigranten allerdings stellt sich die Frage sehr einfach: „Gebt uns Arbeit in der Heimat, und wir bleiben zu Hause!“

General Dolnicar wind vom Verteidigungsminister Nikola Ljubicic und anderen Generälen in der Armeeführung lebhaft unterstützt. Indessen wurde die unkontrollierte Ausreise der Arbeiter tatsächlich eingeschränkt. In Kürze soll ein Abkommen der sechs Teilrepubliken und der zwei autonomen Provinzen unterzeichnet werden, mit dessen Hilfe die Abwanderung der Reserveoffiziere, Experten und gelernten Facharbeiter generell unterbunden werden soll. Und das Informationsmini-sterium verlautbarte' kürzlich, daß alle dienstpflichtigen Personen zwischen dem 17. und 55. Lebensjahr nur mit einer Spezialerlaubnis länger als 60 Tage dem Lande fernbleiben dürfen. Der Ausreisende muß seinen Militärausweis beim zuständigen Kommunalamt hinterlegen. In dem Staate, in welchem der Dienstpflichtige arbeiten wird, muß er sich unverzüglich bei der jugoslawischen diplomatischen oder konsularischen Vertretung melden. Im Kriegsfall oder bei Kriegsgefahr muß er sich den Anweisungen der jugoslawischen Auslandsvertretung fügen.

Trotz aller „Entspannungmomente“ rechnet die Belgrader Armeeführung stets mit einer Kriegsgefahr in Europa und fühlt sich von Sowjeteuropa bedroht. Sie wagt freilich nicht offen darüber zu sprechen und malt den eigenen Soldaten daher das Gespenst einer „kapitalistischen Kriegsdrohung“ an die Wand.

General Dolnicar gibt zu, daß vorläufig nicht einmal eine Verminderung der Zahl der jugoslawischen Gastarbeiter vorstellbar ist. Die Landesverteidigung muß also mit diesem Problem, das die Verteidigungskapazität Jugoslawiens vermindert, auf lange Sicht fertig werden.

Indessen hat die Föderative Versammlung eine Resolution verabschiedet, welche sich mit den Verteidigungsschwierigkeiten des Landes beschäftigt. Es wird darin empfohlen, daß die Organisationen, die für die Ausreise der Gastarbeiter zuständig sind, nicht nur die arbeitsrechtliche und die soziale Seite der Frage vor Augen behalten sollten, sondern auch die politischen Verhältnisse im Gastland, die dort herrschenden Aktivitäten der jugoslawischen Emigration und alle Einflüsse, die auf die Gastarbeiter einwirken könnten, wobei der katholischen Kirche eine besondere Aufmerksamkeit zu widmen ist

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