Dieser FURCHE-Text wurde automatisiert gescannt und aufbereitet. Der Inhalt ist von uns digital noch nicht redigiert. Verzeihen Sie etwaige Fehler - wir arbeiten daran.
Seltsamer kalter Krieg
Es begann mit Protestversammlungen in der sogenannten Zone B, die seit 1946 unter jugoslawischer Verwaltung steht, aber eine beträchtliche italienischsprechende Minderheit aufweist. Das italienische Interesse an einem ausreichenden Minderheitsschutz für die Söhne und Töchter Roms wurde in Belgrad stets mit scheelen Augen angesehen. Aus noch unerfindlichen oder allzu naheliegenden Gründen ließ es das Tito-Regime jetzt nicht mehr bei einem diplomatischen Notenwechsel bewenden, sondern beanspruchte die volle Souveränität über das von ihm besetzte Gebiet. An der 170 km langen Demarkationslinie wurden Tafeln mit der Aufschrift „Sozialistische Bundesrepublik Jugoslawien“ angebracht. Belgrad verbittet sich die Einmischung Italiens in seine inneren Angelegenheiten und betrachtet alle Bewohner der Zone B als jugoslawische Staatsbürger, die keines anderen Schutzes bedürfen. Seit bald 30 Jahren besteht zwisehen Italien und Jugoslawien längs der Demarkationslinie nur ein Waffenstillstand, kein Friede. Unter dem Vorzeichen einer ragen wirtschaftlichen Zusammenarbeit und eines zunehmenden Reiseverkehrs präsentierte sich jedoch bis vor kurzem der Status quo zwischen den beiden Ländern — die Verwaltung der Zone A durch Italien und der Zone B durch Jugoslawien — als normaler Friedenszustand.
In diplomatischen Kreisen der italienischen Hauptstadt fragt man sich, was Tito veranlaßt haben kann, kurz vor Ostern zu Beginn der Reisesaison die leidige Frage einmal mehr hochzuspielen. Daß Rom gegenüber Belgrad irgendwelche Gebietsansprüche erhebe, wird strikte abgeleugnet. Solche Ansprüche pflegen neofaschistische Hitzköpfe geltend zu machen, von denen sich die Regierung Rumor ausdrücklich und entschiedein distanziert. Sicherlich dürfen auch' die NATO-Manöver im Adriatischen Meer nicht als Provokation zur Unterstreichung italienischer Gebietsansprüche aufgefaßt werden.
Da man sich also in Italien keiner Schuld bewußt ist, spielen hohe Funktionäre in der Farnesina, dem Außenministerium, mit dem Gedanken, Tito habe einmal mehr den Status quo zur Diskussion gestellt, um gewisse innerjugoslawische Schwierigkeiten zu überbrücken. Bekanntlich ist Jugoslawien aus zivilisatorisch und kulturell sehr verschiedenartigen Einzelstaaten zusammengesetzt. Ohne äußere Bedrohung streben sie leicht auseinander. Einen gemeinsamen Feind könnte auch Bulgarien abgeben, das bekanntlich nie auf den von Jugoslawien besetzten Teil von Mazedonien verzichtet hat. Doch hinter Bulgarien steht die Sowjetunion, während Italien trotz seiner Mitgliedschaft in der Atlantischen Bündnisgemeinschaft über keine so sichere Rückendeckung verfügt.
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!