6542644-1946_49_04.jpg
Digital In Arbeit

Großmazedonien ?

Werbung
Werbung
Werbung

Das Problem Mazedonien blieb durch alle diese Zeiten und es war nicht zu übersehen, daß ohne die Bereinigung • der mazedonischen Frage der Friede am Balkan stets gefährdet war. Eine konstruktive Lösung mußte auf einer höheren Ebene erfolgen, im Rahmen einer weitgehenden Einigung oder Vereinigung der um Mazedonien rivalisierenden Mädite, vor allem Jugoslawiens und Bulgariens. Deser letztere Gedanke ist an sich keineswegs neu. Schon dem kroatischen Bauernführer Stepan Radic schwebte eine Zeitlang die Idee einer kroatisch-serbischbulgarischen Union vor — von Agram aus gesehen ein Gegengewicht gegen Belgrad. Neu ist an der sich jetzt vorbereiteten Lösung, daß sie von einer starken, allen Partnern übergeordneten Macht ausgeht und daß sie eine Bereinigung der ewig drohenden Streitfrage Mazedonien durch dessen Heraushebung aus dem Staaten verband der beiderseitigen Vertragspartner anstrebt. Ein neues staatliches Gebilde, Mazedonien, mußte in den Sattel gehoben werden. Über die dahingehende Entwicklung unterrichtet ein höchst interessanter Aufsatz von Stephan Clissold in „The Fortnightly“ (Oktober 1946). Die Bewegung zur Vereinigung aller strittigen Gebiete (IMRO) entstand aus dem Lande selbst, wenn sie auch in — Wien gegründet wurde. Ihr Führer ist D i m i t a r P 1 a h o v, jetzt Präsident der mazedonischnationalen Front. Seine Laufbahn ist merkwürdig genug. Erst Mitglied des jungtürkischen Parlaments, dann im bul-garisdien Konsulardienst in Wien und Odessa tätig/trat er in enge Beziehungen zur Sowjetunion, auf die sich seine Bewegung stützt. Von 1934 bis 1943 leitete Plahov die Arbeit seiner Organisation von Moskau aus und errang in der neuen Partisanenregierung eine Schlüsseisteilung. Sein Programm, zu umfangreich, um auf eklen Streich bewältigt zu werden, umfaßt drei Stufen: die Errichtung einer mazedonischen Republik im Rahmen des jugoslawischen Staatsverbandes, die Einbeziehung des, Pirin genannten bulgarischen Mazedonien und endlich den Anschluß Griediisch-Mazedoniens. Schon die enste Stufe war nach Jahren abwechselnder Serbisierung und Bulgarisierung nicht leicht. Im Jugoslawien vor 1941 war das in Frage kommende Gebiet einfach „Südserbien“ gewesen und stand wegen seiner politischen Unzuverlässigkeit unter starkem Belgrader Druck. Dann kam das kurze bulgarische Zwischenspiel mit neuer Unterdrückung. Aus ihr erwuchs die Partisanenbewegung. organisiert von Mihaljo Apostolski und Titos persönlichem Vertreter, einem jungen Kommunisten mit dem Pseudonym „Tempo“. Die Partisanen setzten in den von ihnen befreiten Gebieten ihre eigene Verwaltung ein und dehnten sie nach dem Abzug der Deutschen auf ganz „Südserbien“ aus. Am 2. August 1944 wehte die mazedonische Flagge, Symbol neuer Eigenstaatlichkeit — ein gelber Stern in rotem Feld —, neben der jugoslawischen über dem in Bitolj (Mona-stir) tagenden „ersten antifaschistischen Rat zur Befreiung Mazedoniens“. De Mazedonier waren von ihren slawischen Brüdern als eigene Nation anerkannt, mit dem Recht auf eigene Sprache, Kultur, Schule und lokale Selbstverwaltung. Die Jugoslawische Mazedonische Republik war gegründet und konnte „das Piemont für alle Mazedonier außerhalb Jugoslawiens“ werden. Der Grad ihrer Autonomie war freilich vorerst beschränkt. Obzwar der Präsident der mazedonischen Regierung. Lazar Kulisevski, wie die meisten seiner Ministerkollegen überzeugter Kommunist ist, fand Belgrad eine stete Aufsicht und in manchen Fällen kräfttge Interventionen gegen den überschäumenden mazedonischen Nationalismus notwendig. In Bitolj forderten mazedonische Truppen den Marsch auf Saloniki. Anderen Extremisten genügte nicht einmal die Vertreibung der serbischen Kolonisten vom mazedonischen Boden.

Sie wollten die Beziehungen zu Belgrad abbrechen und dieses mußte einen Serben, der lange in Mazedonien gelebt hatte und geschulter Kommunist war, in die mazedonische Regierung entsenden. De Bewegung mußte vorsichtig gesteuert werden. In einem Land, das so rückständig und von Fehden zerrissen war, ist auch der Kampf rivalisierender Parteigruppen gegen die Regierung nicht verwunderlich. Schwere Vorwürfe der Gegner gegen die IMRO fielen. Die Regierung mußte neben dem Kampf gegen diese Gruppen ihre Reform des Er-ziehungs- und Verwaltungssystems starten. Man suchte einen der mazedonischen Dialekte zur Schriftsprache zu erklären. Ein energischer Kampf gegen das Analphabetentum begann, neue Lehrbücher wurden verfaßt, die Schulen von serbischem Einfluß gereinigt. Die verschiedenen anderen Volksgruppen — Griechen, Aibanesen, Türken, Juden und andere — wurden zur Entwicklung ihres Kulturlebens ermuntert und erhielten ihre eigenen Zeitungen. Überall fehlt es freilich an geschulten Mitarbeitern.

Die neue staatsrechtliche Bildung mußte nach orthodoxem Brauch auch die Gründung einer autokephalen mazedonischen Kirche nach sich ziehen. Mazedonien, bis zur Jahrhundertwende ein Zankapfel zwischen bulgarischem Exarchat und griechischem Patriarchat, ist nun auch im Begriffe, der serbisch-orthodoxen Kirche zu entwadisen.

Diese ganzen konstruktiven Arbeiten konnten noch nicht weit gediehen sein, als die Frage der Angliederung des 220.000 Einwohner umfassenden bulgarischen Mazedonien herantrat. Ein im August dieses Jahres in S k o p 1 j e erlassenes Manifest drückt den Wunsch aus, daß „durch die Stärkung der kulturellen Bande zu Pirin-Mazedonien und den Fortschritt der nationalen Entwicklung unseres Volkes wie durch das freundschaftliche Einvernehmen zwischen der Vaterländischen Front in Bulgarien und den vereinigten jugoslawischen Volksrepubliken Pirin mit der mazedonischen Republik vereinigt werden möge“. Ungeachtet offizieller bulgarischer Dementis hat Anfang 1945 Dr. Smodlaka, damals jugoslawischer Kommissar für auswärtige Angelegenheiten, das gute Forusdireiten der Bestrebungen zugegeben. Es ist müßig zu erwägen, inwieweit Bulgarien von der Friedenskonferenz eine Entschädigung für die Aufgabe Buigarisch-Mazedoniens ftuf Kosten Griechenlands erhofft haben mag.

Mit dem Herantasten an die dritte Entwicklungsstufe nähert sich das Problem Mazedonien seiner schwierigsten.' weil international heikelsten Entwicklungsphase, jener, die über die Föderation Jugoslawien-Bulgarien territorial hinausgreift.

De Zahl der unter griechischer Herrschaft lebenden Mazedonier ist umstritten. Die griechische Volkszählung weist sie, sicherlich zu niedrig, mit 80.000 aus. Jugoslawien schätzt sie viel höher. Das ethnische Bild ist hier.durch den etwa 60.000 Köpfe umfassenden griechisch-bulgarischen Bevölkerungsaustausch von 1922 bis 1926 und das Einströmen von 600.000 kleinasiatischen Griechen in dieses Gebiet verwischt. Heftige Klage erheben die jugoslawisch-mazedonischen Politiker gegen die Unterdrückung der Slawen in Griechenland and haben auch ihre Beschwerden der Pariser Friedenskonferenz vorgelegt. Es ist sicher, daß die Griechen einige scharfe Maßnahmen gegen die Slawen ergriffen haben. Sie behaupten, zu ihnen durch deren Hinneigung zu den Achsenmächten gezwungen zu sein. Da die griechische EAM. unter dem Drucke der griechischen öffentlichen Meinung, die „bulga •ophonen“ Partisanen fallen lassen mußte, haben sie sich jenseits der Grenze in die unter jugoslawischen Auspizien stehende „Griechk Ji-Mazedonische Brigade“ einreihen lassen. Fieser steht auch eine politische Organisation zur Seite.

Marschall T'to hat seine Mißbilligung aller antigriechischen Akte ausgesprochen und hat erklärt, daß Jugoslawien keine feindlirhen Absichten gegen Griechisch-Mazedonien hege und daß keine jugoslawischen Truppen die griechische Grenze überschreiten würden. Doch fehlt es nicht an Nachrichten über kleinere Grenzzwischenfälle und Einfälle jugoslawischer Bewaffneter nach Griechenland. De Lage der EAM in der mazedonischen Frage erinnert an jene der italienischen Kommunisten bezüglich Triests und der früheren Venezia Giulia. Das griechische Plebiszit für die Rückkehr König Georgs ist zweifellos ein Hindernis für die Einigung aller drei Teile Mazedoniens. Ernste Kämpfe werden aus Griecbisch-Mazedonien gemeldet und vor wenigen Tagen hat der frühere griechische stellvertretende Ministerpräsident M a n e 11 o p u 1 o s erklärt, „daß fast ganz Mazedonien in den Händen Titos sei“. Hier ist die Entwicklung im Fluß und kann noch nicht abgeschätzt werden. Zweifellos darf man hoffen, daß — wie in der Triester Frage — eine friedliche Lösung gefunden werden wird.

Das mazedonische Problem wird jedenfalls eines der schwierigsten sein,* die aus einer Föderation Jugoslawien-Bulgarien resultieren können. Diese wäre eme Macht von achtunggebietender Stärke und könnte im Gefühle derselben versöhnlich sein. Sie würde ja doch etwa 21 Millionen Einwohner und Gebiete von rund 360.000 Quadratkilometer umfassen. Von Poll bis Varna wird, wenn sie in Kraft tritt, ein einheitliches Zoll gebiet den Balkan durchziehen* Di Hochöfen von Aßling und Servola, cie Quecksilbergruben von Idria, bosnisches Etz und bulgarische Kohle, neben lind- und forstwirtschaftlichen Schätzen jeder Art und Schattierung würden in ihr vereinigt seift. Die Föderation würde einer der wichtigsten Donaustaaten sein, die Transitgüter nadi Griechenland und der Türkei würden über ihr Gebiet laufen.

Manche Auswirkungen werden sich erst überblicken lassen, bis die Details der Vereinbarungen von den beteiligten Staatskanzleien bekanntgegeben werden. Eine bedeutende konstruktive Lösung läßt sich aber heute schon aus den Konturen ablesen, wenn nicht alles täuscht, ein Beitrag zum europäischen Frieden.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung