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Spartakus, der Bulgare

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Jugoslawiens Premier Bijedic stattete Mitte April Moskau einen offiziellen Besuch ab. Dabei geht es um die „stalinistische“, sowjetfreundliche „Opposition“ und auch um die ewig ungelöste Mazedonienfrage. Tito möchte,, daß die Kremlherren zugunsten Jugoslawiens bei den bulgarischen Genossen intervenieren. Eine solche diplomatische Demarche — deren Aussichten gar nicht so gering sind — würde den vorläufigen Höhepunkt einer künstlich geschürten Krise zwischen den beiden Balkanstaaten darstellen.

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Jugoslawiens Premier Bijedic stattete Mitte April Moskau einen offiziellen Besuch ab. Dabei geht es um die „stalinistische“, sowjetfreundliche „Opposition“ und auch um die ewig ungelöste Mazedonienfrage. Tito möchte,, daß die Kremlherren zugunsten Jugoslawiens bei den bulgarischen Genossen intervenieren. Eine solche diplomatische Demarche — deren Aussichten gar nicht so gering sind — würde den vorläufigen Höhepunkt einer künstlich geschürten Krise zwischen den beiden Balkanstaaten darstellen.

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Kaum war der Propagandasturm in den jugpsla wischen Massenmedien gegen Österreich in der Kärntner Slowenenfrage abgeebbt, erhob sich aus dem Nichts ein wahrer Orkan gegen den südlichen Nachbarn des Tito-Staates. Im einzelnen wirft man den Bulgaren „gewaltsame Assimiliation“ der mazedonischen Minderheit und „Bulgari-sierüng““ dieses Volkes vor, obendrein „Geschichtsfälschung“ und „Revanchismus“. Seltsamerweise fallen diese Polemiken in eine Periode, die durch eine schrittweise wirtschaftliche und politische Annäherung auf Staatsebene gekennzeichnet ist.

Von früheren, ähnlichen Attacken unterscheidet sich die jetzige Kampagne vor allem durch die Tatsache, daß erstmals von jugoslawischer Seite Beispiele für die Verfolgung von Angehörigen der mazedonischen Minderheit in Bulgarien angeführt werden.

Hintergrund des plötzlich erwachten Schutzmachtinteresses ist Bulgariens Plan, dieses Jahr wieder eine Volkszählung durchzuführen. Nach jugoslawischer Lesart gab es 1956 noch 180.000 Mazedonier in Bulgarien. Eine Belgrader Wochenzeitung zitierte einen Mann aus Pirin-Mazedonien, der gesagt haben soll: „Den Anweisungen der Partei folgend, werde ich mich diesmal als Bulgare deklarieren.“

„Nedeljne Informativne Novina“ schreibt dann weiter: „Die Mazedonier werden gezwungen, ihre bisherigen Siedlungsgebiete zu verlassen. Sie sollen sich, als Volksgruppe aufgelöst, in ganz Bulgarien ansiedeln. Denn das bulgarische Strafrecht vom 12. April 1968 sieht drei administrative Strafen vor: Zwangsumsiedlung, Zwangsarbeit und die Rechtlosigkeit des einzelnen, seinen Wohnort selbst zu bestimmen.“

Dabei übersah die Belgrader Wochenzeitung allerdings, daß diese Maßnahmen in erster Linie gegen die — für die bulgarische Wirtschaft und Kultur — bedrohliche Landflucht und gegen ein gewisses Halb-starkentum ins Leben gerufen worden waren. Aber die recht unqualifizierten Anklagen Belgrads gehen weiter: Verboten ist angeblich das Singen mazedonischer Lieder, das Abfassen mazedonischer Bücher (obwohl erst vor kurzem ein nach Bulgarien emigrierter mazedonischer Dichter zum Helden der Arbeit ernannt worden ist).

Mazedonier seien von guten Posten vertrieben, aus Schulen und Universitäten hinausgworfen worden. Außerdem habe man sie „grundlos eingesperrt“, 1973 in Petric allein über 100 Personen. Im Vorjahr hätten gar Prozesse gegen patriotische Mazedonier in Blagoev-grad stattgefunden.

Nun, außer NIN in Belgrad hat niemand etwas davon gehört, aber die Töne einer solchen Propaganda klingen bekannt. Ähnlich grotesker Dinge hat man auch Österreich beschuldigt, das gar nicht ahnte, daß es ein „Herd des Neonazismus, des Terrors und des Faschismus“ sei, wie das Belgrader KP-Organ „Borba“ behauptet hat.

Irritiert wurden die Jugoslawen auch durch die inzwischen berühmt gewordene Rede Ludmilla Schivko-vas in Blagoevgrad, der Hauptstadt Pirin-Mazedoniens. Die Tochter des Staats- und Parteichefs und Stellvertretende Vorsitzende des Komitees für Kunst und Kultur negierte die Existenz einer mazedonischen Nation und proklamierte die „berühmten Mazedonier“ Spartakus und Prinz Marko als Bulgaren.

„Borba“ brachte daraufhin ein Gedicht unter dem Titel „Schivkova und Prinz Marko“, dessen Höhepunkt in der Aussage bestand, ein „Georgi Dimitrov sei für Bulgarien nötiger als Prinz Marko“.

Auch Gesehichtsprofessor Hristo Vakarlevski aus Sofia bekam eine Rüge. Er hatte dreist behauptet, die

mazedonischenjugoslawischen Städte Bitola, Ochrid, Struga, Titov-Veles und überdies auch Serrai in Griechenland seien bis zu den Balkan-Kriegen von 1912 bulgarisch gewesen. Auch Zar Samuil und Prinz Marko, dessen Verwalter, hatte er als Bulgaren bezeichnet.

Dieser Schulbücherstreit mag auf den ersten Blick als lächerlich erscheinen. Aber Marschall Tito nimmt ihn offensichtlich ernst, denn sonst würde er wohl kaum seinen Premier nach Moskau entsenden.

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