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Blumen zum Armee-Tag

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Einiges deutet darauf hin, daß Gorbatschow im Mazedonienkonflikt nicht mehr gewillt ist, einseitig Sofia zu unterstützen. Steht auf dem Balkan eine neue Entwicklung bevor?

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Einiges deutet darauf hin, daß Gorbatschow im Mazedonienkonflikt nicht mehr gewillt ist, einseitig Sofia zu unterstützen. Steht auf dem Balkan eine neue Entwicklung bevor?

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Oberflächlich gesehen, scheint in der Mazedonienkontroverse alles beim alten zu sein: Während nach Meinung Belgrads die erste Bedingung für eine Verbesserung der Beziehungen zwischen den beiden kommunistischen Nachbarstaaten Jugoslawien und Bulgarien eine Anerkennung der „mazedonischen Nation“ ist, gibt sich Sofia weiterhin kompromißlos: Die 1,7 Millionen Einwohner zählende jugoslawische Teilrepu-

blik Mazedonien sei lediglich eine „geografische Einheit“, in der Bulgaren leben.

In Wirklichkeit aber führen eine Reihe von Zeitungen, Zeitschriften und Instituten eine Art „wissenschaftlichen Stellvertreterkrieg“ und sind bemüht, durch teilweise einseitig gefärbte Bücher oder Veranstaltungen der eigenen Seite einen propagandistischen Vorsprung zu verschaffen.

In Sofia läßt man kaum eine Gelegenheit aus, um darauf hinzuweisen, daß Bulgarien in der mazedonischen Frage eine Ungerechtigkeit widerfahren sei. Zum Tag der Armee werden Blumen auf die Gräber der in der Schlacht um Mazedonien gefallenen Soldaten gelegt, der Armeechef General Samardschiew erklärt offen, die Armee sei bereit, die „Schmach von San Stefano“ zu rächen. Nach dem Vertrag von San Stefano im Jahre 1878 ist den Bulgaren das Recht auf Mazedonien abgesprochen worden.

Was Belgrad offensichtlich am meisten ärgert, ist die Tatsache, daß die Bulgaren den Emigranten aus Mazedonien politisches Asylrecht gewähren. Ein Beispiel dafür ist der nach Bulgarien geflüchtete Schriftsteller Venko Markovski mit seinem Buch „Goli otok“ (Die öde Insel).

Darin beschreibt der ehemalige Spitzenfunktionär und Mitstreiter Titos die grausame Wirklichkeit in den jugoslawischen Gefängnissen, in denen er als politischer Gefangener nahezu zwanzig Jahre zugebracht hatte. Im Hinblick auf Bulgariens Schutzmacht UdSSR betont Markovski in seinem Buch, daß er bewußt als „moskautreuer Kommunist“ in Jugoslawien verfolgt worden sei.

Doch Bulgariens Draht zur Schutzmacht Sowjetunion

scheint im Augenblick gestört zu sein. Einiges deutet darauf hin, daß die Bulgaren nach dem Amtsantritt des sowjetischen Partei-

chefs Michail Gorbatschow immer weniger mit der uneingeschränkten Schützenhilfe Moskaus rechnen können. In einem Interview mit der bulgarischen Zeitschrift „Pogled“ signalisierte der sowjetische Botschafter in Sofia, Leonid Grekow, die sowjetisch-bulgarische Freundschaft dürfe nicht als „selbstverständlich“ aufgefaßt werden, sondern müsse , vielmehr durch immer neue „Taten und Impulse“ belebt werden.

In privaten Gesprächen sollen die Sowjets bereits mehrmals die bulgarischen Führungskader wegen „unproduktiven Verhaltens“, insbesondere in der Wirtschaft, getadelt haben. Gleichzeitig prangerte das Sofioter Parteiorgan „Rabotnitschesko Delo“ in einer Artikelserie die „miserablen Arbeitsgewohnheiten“ der führenden Funktionäre im Parteiapparat an.

Viele vermuten darin den Anfang einer „allgemeinen Diszipli-nierungskampagne“ in Bulgarien, ähnlich wie sie derzteit vom sowjetischen Parteichef Gorbatschow in der UdSSR praktiziert wird.

Außerdem haben die Bulgaren mit ihrer Assimilierungskampa-gne gegen die Türken und Moslems dem stets auf Image bedachten Kremlchef sicherlich keinen guten Dienst erwiesen.

Die mutmaßliche Verwicklung der Bulgaren in Attentate im Ausland geht der gegenwärtigen sowjetischen Parteiführung ebenfalls gegen den Strich. Allein die Tatsache, daß man den treuesten Verbündeten Moskaus dunkler Machenschaften sowie der Beteiligung am internationalen Waffenhandel verdächtigt, muß Gorbatschow in hohem Maße mißfallen.

Es ist daher nur logisch, daß die Sowjets den Bulgaren auch in der Mazedonienfrage mehr Mäßigung empfehlen. Andererseits scheint der Mazedonienstreit die bulgarische Parteiführung in zwei Lager gespalten zu haben: Die erste Gruppe besteht aus Dogmatikern stalinistischer Prägung, die kompromißlos für die Beibehaltung der einseitig auf die Sowjetunion fixierten bulgarischen Politik eintreten. Man könnte behaupten, daß gerade bei dieser Gruppe die nationalistische Haltung in der Mazedonienfrage als eine Art Ventil für die Unzufriedenheit mit der totalen Fixierung Bulgariens auf die Sowjetunion betrachtet werden kann.

Die zweite Gruppe vertritt eine mäßigende Haltung in der Maze-

donienfrage. Diese Gruppe befürwortet auch eine wirtschaftliche Öffnung gegenüber dem Westen und ist im allgemeinen bemüht, das getrübte Image des Balkanstaates im Ausland durch internationale Kontakte zu verbessern. Sie hat es dabei keineswegs leicht, weil der größte Teil der bulgarischen Intelligenz die Meinung vertritt, die Mazedonienfrage sei das Hauptanliegen der bulgarischen Außenpolitik.

Dieses in weiten Teilen der Bevölkerung tief verankerte Bewußtsein weiß der bulgarische Staats- und Parteichef Todor Schiwkow gut zu nützen, um durch eine betont „mazedonienorientierte Außenpolitik“ Pluspunkte zu sammeln.

Zusammen mit der Propagierung der Konsumpolitik scheint diese Fixierung auf Mazedonien die Loyalität der Bulgaren dem Regime gegenüber soweit gestärkt zu haben, daß man in Bulgarien, im Unterschied zu anderen osteuropäischen Ländern, kaum von einer nennenswerten Opposition in den Intellektuellenkreisen sprechen kann.

Für die Jugoslawen stellt sich das Mazedonienproblem von einer anderen Seite. Innerhalb des Vielvölkerstaates sind die Mazedonier eine alte und zugleich sehr junge Nation. Älter als Moskau und nahezu so alt wie Byzanz, fielen Volk und Kirche Mazedoniens der Türkeneroberung, des Balkans zum Opfer. Erst 1944 haben die jugoslawischen Kommunisten unter Tito die Anerkennung einer „mazedonischen Nation“ gefordert und gaben den Mazedoniern eine eigene Republik.

In der 1967 gegründeten Mazedonischen Kirche (Serbien, Bulgarien und Griechenland verweigern die Anerkennung!) erkannten die Kommunisten eine Grundlage, die zur Gründung der mazedonischen Nation führen könnte. Aus dem jugoslawisch-bulgarischen Streit profitieren die mazedonische Nation und die Kirche.

Wenn man heute von einer Polarisierung innerhalb der bulgarischen KP bezüglich der Mazedonienfrage spricht, dann ist das in erster Linie das Ergebnis einer Veränderung des politischen Klimas im Ostblock seit dem Machtantritt Gorbatschows. Die Devise heißt nun Kräfte sammeln, um einen wirtschaftlichen Aufschwung herbeizuführen, „ethnisch-historische“ Anliegen müssen hintangestellt werden.

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