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Der „Freiwilligen“-Exodus

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In Bulgarien herrscht großer Mangel an qualifizierten Bauarbeitern. Infolgedessen war das Staatsunternehmen Sofstroj, das in der Hauptstadt größere Wohnobjekte baut, gezwungen, Gastarbeiter aus Jugoslawien zu importieren, wie in einer amtlichen Mitteilung zu lesen stand. Das Unternehmen Sofstroj hat Kontrakte mit der Makedonia-Invest in Skoplje und der Gimoba in Niä unterzeichnet, wonach ungefähr 500 Bauarbeiter aus den genannten zwei Städten bei der Fertigstellung von 1000 Apartments in Sofia beschäftigt werden sollen. In Wirklichkeit sind es derzeit schon 600 Arbeiter. Jugoslawien hat sich außerdem verpflichtet, Zement nach Bulgarien zu liefern, da die bulgarische Zementproduktion nicht ausreicht.

Die Arbeits- und Lebensverhältnisse der jugoslawischen Gastarbeiter in der bulgarischen Hauptstadt sind nicht gerade großartig, ihre wöchentliche Arbeitszeit beträgt 60 bis 70 Stunden. Wegen der langen Arbeitszeit müssen für die Jugoslawen längere Schlaf Zeiten gesichert werden. So bleibt keine Zeit für Unterhaltung und Entspannung.

Mit den Leistungen der jugoslawischen Gastarbeiter sind die bulgarischen Behörden sehr zufrieden. Schon sind Verhandlungen im Gange, um ihre Tätigkeit in Bulgarien zu verlängern und um weitere jugoslawische Gastarbeiter nach Bulgarien zu bringen.

Es ist erwähnenswert, daß Sofia vorerst 1972 mit Ägypten einen Gasi-arbeiterkontrakt unterzeichnet hat, der aber nie in Kraft trat.

Warum braucht Bulgarien fremde Bauarbeiter? Die Antwort ist einfach. Derzeit arbeiten nämlich ungefähr 12.000 bulgarische Arbeiter, meist vom Baufach, in der Sowjetunion und in der Äußeren Mongolei, wo der „chinesischen Gefahr“ wegen fieberhaft Tiefbauanlagen, Straßen, Flugplätze und Kasernen errichtet werden müssen. Bulgaren sind bei 23 sowjetischen Bauvorhaben beschäftigt. Ihre Leistung wird Bulgarien gegenüber mit Roheisen und Papier beglichen.

Die bulgarischen Gastarbeiter wurden als „Freiwillige“ angeworben, obwohl kaum jemand frohen Herzens in die Sowjetunion gehen wollte. Besonders die autonome Sowjetrepublik Kami, wo die Bulgaren unter schwersten sibirischen Wetterund Arbeitsverhältnissen als Holzfäller in Urwäldern arbeiten müssen, ist unter den Arbeitern unbeliebt. Dafür erhält aber die bulgarische staatliche Holzindustrie viel Holz.

Im Oktober 1973 wurde eine Intensivierung des bulgarischen Arbeitseinsatzes beschlossen, als eine Delegation unter Todor Schiwkoff und dem Ersten Stellvertretenden Vertei-teidigungsminister, Generaloberst Atenas Semedschieff, in Ulan Bator mit den Russen verhandelte.

Die bulgarische Hilfe soll sich in Hinkunft auch auf geologische Schürfungen, auf Planung und Aufbau eines großen agro-industriellen Kombinats, auf die Einrichtung einer großen Schweinezuchtkolchose, mehrerer Treibhäuserkomplexe und auf die Ausarbeitung eines langfristigen ökonomischen Kooperationsprogramms erstrecken.

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