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„Mazedonische Frage“ bedenklich ausgeweitet

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In Jugoslawien und insbesondere der Teilrepublik Mazedonien rufen die Feiern zum Jahrestag des Vertrages von St. Stefano, durch den vor 100 Jahren kurzfristig ein großbulgarisches Reich entstanden war, heftige Reaktionen hervor. Sofia wird des Revanchismus und territorialer Gelüste auf jugoslawische Territorien bezichtigt.

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In Jugoslawien und insbesondere der Teilrepublik Mazedonien rufen die Feiern zum Jahrestag des Vertrages von St. Stefano, durch den vor 100 Jahren kurzfristig ein großbulgarisches Reich entstanden war, heftige Reaktionen hervor. Sofia wird des Revanchismus und territorialer Gelüste auf jugoslawische Territorien bezichtigt.

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Diese Anklagen erhoben vor aller Öffentlichkeit der mazedonische Parteichef Cemerski und sein Ministerpräsident Popov, nachdem die jugoslawische Presse bereits seit Wochen eine heftige Kampagne gegen Bulgarien führt. Jugoslawien und seine Publizistik revanchieren sich damit offenbar für die Haltung Sofias gegenüber der mazedonischen Minderheit, die von bulgarischen Wissenschaftlern und Politikern als bulgarischer Stamm bezeichnet wird. Von dieser Behauptung ist es nach Meinung Belgrads und Skopjes nur ein Schritt zur Negierung der mazedonischen Nation. Anschlußforderungen würden unmittelbar darauf erfolgen.

„Wir erwarten von Bulgarien nichts anderes, als die Wiederherstellung der Rechte, die Dimitroff und die Kommunistische Partei Bulgariens der mazedonischen Minderheit nach dem Kriege einräumten“, erklärte jetzt Cemerski in der mazedonischen Landeshauptstadt Skopje.

Der historische Streit ist so zu handfesten politischen Spannungen zwischen den kommunistischen Nachbarn Jugoslawien und Bulgarien ent-

artet Die politische Vorwärtsstrategie Belgrads und Skopjes, die jetzt offen Forderungen zum Schutze der rrikze-' donischen Minderheiten in Griechenland und Albanien angemeldet haben, scheint die sogenannte „mazedonische Frage“ sogar in bedenklicher Weise ausgeweitet zu haben. Albanien hat bereits vor einigen Wochen abweisend auf Zahlenangaben des Blattes „Nova Makedonija“ über die Mazedonier in der Roten Republik an der Adria reagiert. Albaniens Parteichef Enver Hodscha hat jetzt seinerseits Athen eine Verbesserung der zwischenstaatlichen Beziehungen angeboten, einschließlich der Regulierung des Status der 300.000 in Albanien lebenden Griechen.

Dagegen schraubt Athen sukzessive den kleinen Grenzverkehr zu Jugoslawien zurück, den Status des Freihafens von Saloniki und selbst den Fremdenverkehrsstrom. Gleichsam die Antwort auf das Drängen Belgrads und Skopjes in Fragen der „mazedonischen Minderheit“.

Uber die Lage der Mazedonier im kommunistischen Albanien, nach jugoslawischen Schätzungen etwa 60.000, weiß man so gut wie nichts. Die Aufforderung des mazedonischen Parteichefs Angel Cemerski an Athen und Tirana, Zählungen der Minderheiten durchzuführen, dürfte dort auf ebensowenig Verständnis stoßen, wie sein Argument, gleiche Rechte im Völkerstaat Jugoslawien für alle Nationen und Nationalitäten.müßten auch nach außen hin verfochten werden und genausowenig seine Beteuerungen, Lage und Rechte der Minderheiten in Albanien und Griechenland, durch Gespräche und Verhandlungen regeln zu wollen.

Abgesehen von Ungereimtheiten, daß Österreich die Zählung der slowenischen Minderheit zum Vorwurf gemacht wird, von Griechenland und Albanien aber eine solche der Mazedonier gefordert wird, bleibt die Frage nach dem Sinn einer solchen Politik gegenüber Nachbarn offen: Schließlich führt sie im Süden zu einer Einigung des Warschauer-Pakt-Mitgliedes Bulgarien, des NATO-Verbündeten Griechenland und des kommunistischen Albanien gegen das blockfreie Tito-Jugoslawien...

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