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„Europa schaut weg"
Die Albaner Mazedoniens sträubten sich gegen die Unabhängigkeit dieser jugoslawischen Teilrepublik. Sie boykottierten das Plebiszit vom 8. September, das eine 70prozentige Mehrheit für die Souveränität brachte.
Die Albaner Mazedoniens sträubten sich gegen die Unabhängigkeit dieser jugoslawischen Teilrepublik. Sie boykottierten das Plebiszit vom 8. September, das eine 70prozentige Mehrheit für die Souveränität brachte.
FURCHE: Was hatten Sie gegen das Plebiszit zur staatlichen Unabhängigkeit Mazedoniens?
NEVZAT HALILI: Vorbedingungen, die uns Albanern versprochen wurden, wurden nicht eingehalten. Zwischen der Inneren Mazedoni-. sehen Revolutionären Organisation (VMRO), der größten Parlamentspartei, und unserer Partei gab es eine Übereinkunft, nach der Albaner wie Mazedonier, beide Völker also, als staatstragendes Subjekt des neuen zukünftigen Staates betrachtet werden (siehe dazu das FURCHE-Interview mit Mazedoniens Vertreter im jugoslawischen Staatspräsidium, Vasil Tuburkovski, in Nummer 36 vom 5. September 1991, Anm. d. Red.). Es sollte also nicht so sein, daß Mazedonier das staatstragende Volk sind, wir Albaner aber nur eine nationale Minderheit. Wir stellen 30 Prozent der Einwohner. Der Boykott des Plebiszits war ein Zeichen unseres Protestes, um den Mazedoniern zu zeigen, daß wir miteinander auskommen müssen, daß wir gleichberechtigte Bürger sind.
FURCHE: Jetzt im Oktober will das Parlament eine neue Verfassung verabschieden, in der nirgends von Mazedoniern die Rede ist. Man spricht ausdrücklich von Bürgern und verwirft die Idee eines NationalstaatesJst das nicht ein gutesZeichen? Kroatien vertritt in seiner Verfassung die Idee des Nationalstaates, die Serben gehen mit Gewalt dagegen vor. Droht so etwas auch in Mazedonien?
HALILI: Die Mazedonier haben aus den Erfahrungen in Kroatien bereits gelernt. Wir Albaner sind aber auf alles gefaßt. Wir werden aber keinesfalls als erste zu den Waffen greifen.
Soweit darf es erst gar nicht kommen. Ich setze noch immer auf politische Vereinbarungen, wenngleich ich in gewisser Hinsicht enttäuscht bin. Selbst die Formulierung „Bürger" im Verfassungsentwurf wird nicht von allen Parlamentariern geteilt. Da gibt es in der Tat welche, die wollen alle Nicht-Mazedonier zu Ausländern erklären, das beträfe uns Albaner, in kleinerer Zahl die Roma, Serben und Moslems.
Wir müssen jetzt abwarten, welche Verfassung von der Mehrheit des Parlaments angenommen wird. Entspricht sie unseren Vorstellungen, werden wir in den Albanergebieten ein zweites Plebiszit zur Souveränität ausrufen und gegebenenfalls nachträglich das Referendum vom 8. September gutheißen. Klar muß sein, da3 wir uns nicht als nationale Minderheit mit begrenzter Autonomie im neuen Staat in die Ecke drängen lassen werden, wie in der Kommunistenära, in der wir Bürger zweiter Klasse waren.
FURCHE: Aufweiche Ohren stoßen Ihre Forderungen außerhalb Mazedoniens?
HALILI: Fast überall auf taube Ohren. Die Kroaten und Slowenen sagen, ihre Probleme seien ihnen schon über den Kopf gewachsen, sie wollen sich mitdermazedonisch-albanischen Frage erst gar nicht beschäftigen. Und Europa schaut erst recht weg von unseren Problemen. Bevor hier nicht die ersten Schüsse fallen, wird Europa die Hegemonieansprüche Serbiens gegenüber Mazedoniern, Moslems und uns Albanern gar nicht bemerken. Wir Albaner sind mit drei Millionen Menschen (das offizielle Jugoslawien spricht von zwei Millionen, Anm. d. Red.) das drittgrößte Volk in Jugoslawien. Aber in Den Haag war kein einziger unserer Vertreter eingeladen. Ich frage mich wirklich, wann die europäischen Staaten das albanische Volk wahrnehmen werden.
Mit dem Chef der albanischen „Partei der demokratischen Prosperität" in Mazedonien, Nevzat Halili, sprach Roland Hofwiler.
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